Schutz von Frauen:Gewaltschutz: Was macht Spanien besser?
von Louisa Hadadi
Nach spanischem Vorbild will Deutschland die elektronische Fußfessel einführen. Doch Gewaltschutz in Spanien funktioniert, weil er umfassend ist. Was wir lernen können.
Jennifer Weist spricht über Gewalt in Beziehungen und gibt Betroffenen eine Stimme. Wie entkommt man toxischen Mustern? Was kann Deutschland von Spanien in Sachen Gewaltschutz lernen?
19.11.2025 | 43:30 minSpanien ist Vorreiter im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Aufgeweckt durch den brutalen Femizid an Ana Orantes ergriff Spanien schon vor Jahren viele Maßnahmen.
Brutale Tötung nach Fernsehauftritt
40 Minuten lang erzählte Ana Orantes 1997 im andalusischen Nachmittagsfernsehen von vier Jahrzehnten gewaltvoller Ehe. Geschlagen, von ihrer Familie isoliert, erniedrigt - sie sei nichts wert. Immer wieder versprach ihr Ehemann, ihr keine Gewalt mehr anzutun.
Ich habe es geglaubt, weil ich nirgendwo sonst hingehen konnte, niemanden hatte. Ich musste es aushalten, Prügel um Prügel.
Ana Orantes, 1997 im Lokalfernsehen
Doch immer wieder schlug er sie, fasste auch die zehnjährige Tochter an. Mehrfach zeigte Orantes ihren Mann an, bat um Hilfe.
Fast jeden Tag stirbt eine Frau durch einen Mann. In Spanien geht die Polizei gezielt mit einer Risikobewertungs-Software, viel Berufserfahrung und Fußfesseln gegen drohende Femizide vor.
21.11.2025 | 1:56 minAls die Ehescheidung 1981 erlaubt wurde, ging sie auch diesen Weg - doch ihr Mann überredete den Richter, ihren Scheidungsantrag abzulehnen. 15 Jahre später ging ihr Antrag durch, aber der Scheidungsrichter verfügte, dass sie sich das Haus mit ihrem Mann teilen muss.
Ein Jahr später erzählte Ana Orantes im Fernsehen von der Gewalt. Die Moderatorin ermutigte sie, sprach über neu gewonnene Freiheit. 13 Tage später war Orantes tot. An einen Stuhl gefesselt, mit Benzin übergossen und angezündet - von ihrem Ex-Mann.
Sozialwissenschaftlerin Julia Habermann sagt, dass Frauen häufig im Zusammenhang mit Trennungen getötet werden. Zur Bekämpfung bräuchte es auch ein stärkeres Beratungsangebot.
17.03.2025 | 8:41 minFall Orantes als Anstoß für umfassende Reformen
Als "Einzelfall eines Außenseiters" bezeichnete der damalige spanische Vizepräsident Francisco Fernández-Cascos die Tat. Doch schon bald begannen erste Reformen. Denn: Die Tötung von Orantes, die auch nach der Scheidung trotz Gewalt im selben Haus wie ihr Ex-Mann bleiben sollte, verdeutlichte die strukturelle Dimension der Probleme.
Ohne Gegenstimme verabschiedete das spanische Parlament im Jahr 2004 das Gesetz zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Ganz zu Beginn stellt es klar:
Geschlechtsspezifische Gewalt ist kein Problem des privaten Bereichs. Im Gegenteil, sie ist der brutalste Ausdruck der Ungleichheit in unserer Gesellschaft.
Spanisches Gesetz zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt
Das Gesetz enthält einen umfassenden Katalog: von Bildungsmaßnahmen zur Prävention geschlechtsbezogener Gewalt über stärkere Hilfen für Betroffene bis hin zu härteren Strafen für Gewalttäter.
Im Jahr 1976 verwendete die US-amerikanische Soziologin Diana Russel den Begriff "Femizid", um zu verdeutlichen, dass Frauen häufig aus anderen Gründen getötet werden als Männer. Bekanntheit erlangte der Begriff in Lateinamerika, wo er seit den 1990er Jahren genutzt wird und mittlerweile in einige Strafgesetze Eingang gefunden hat.
Das Bundeskriminalamt (BKA) nutzte den Begriff erstmals in seinem Bundeslagebild 2023 zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten. Es versteht Femizide als Tötungsdelikte an Frauen, denen die Annahme einer geschlechtsbezogenen Ungleichwertigkeit zugrunde liegt.
Mangels Daten zur Tatmotivation erfasst das BKA folgende Taten an Frauen als Femizid: Mord im Zusammenhang mit Sexualdelikten und sonstiger Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge. Ausgenommen sind unter anderem Sexualdelikte mit Todesfolge und Brandstiftung mit Todesfolge.
Der Missbrauchsfall Pelicot schockiert die ganze Welt. Wie der Fall rechtlich in Deutschland zu bewerten wäre, erklärt Rechtsexpertin Sarah Tacke.
19.12.2024 | 1:26 minSpezialisierte Gerichte in Spanien
Außerdem richtete Spanien besondere Justizabteilungen für Fälle von Gewalt gegen Frauen ein. Die Richter*innen und Staatsanwält*innen sind speziell zu Gleichstellung und Geschlechtsdiskriminierung geschult. Der Gedanke dahinter: Gegenüber dem geschulten Justizpersonal können sich die Frauen leichter öffnen.
In Deutschland stirbt fast jeden zweiten Tag eine Frau durch Partnergewalt. Eine neue Studie zeigt das Ausmaß und die Hintergründe solcher Femizide auf.
20.11.2025 | 1:40 minSystem "VioGén" macht Risikoanalyse per Algorithmus
Damit es gar nicht erst zu weiterer Gewalt kommt, nutzt die Polizei seit fast 20 Jahren das System "VioGén". "VioGén" steht für "violencia de género", geschlechtsspezifische Gewalt. Das System erfasst die bisherigen Fälle und berechnet auf Grundlage verschiedener Indikatoren, wie sehr eine Person in Gefahr ist, von ihrem (Ex-)Partner angegriffen zu werden.
Die Betroffene Noelia París profitiert von dem spanischen System VioGén. Ihr gewalttätiger Ex-Mann trägt jetzt eine Fußfessel.
Quelle: ZDFErfragt wird unter anderem, ob der potenzielle Täter vorher schon gewalttätig war oder Waffen hat. Die Polizist*innen, die das System bedienen, können ein vom Algorithmus berechnetes Risikolevel nur hoch-, nicht aber runterstufen. Für Betroffene wie Noelia París eine Erleichterung.
In keinem Moment habe ich daran gezweifelt, dass man mir glauben würde. Es war logisch, ich musste nichts erfinden.
Noelia París, Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt
Je nach Risikoeinschätzung gibt es unterschiedliche Maßnahmen, beispielsweise Annäherungsverbote, Kontaktsperren oder die elektronische Fußfessel. Bei dem höchsten Risikolevel bekommt die Frau rund um die Uhr Polizeischutz.
Justizministerin Stefanie Hubig will Opfer häuslicher Gewalt besser schützen. So sollen Gewalttäter künftig zum Tragen einer elektronischen Fußfessel verpflichtet werden dürfen.
19.11.2025 | 1:10 minAm 25. November 2025 ist der internationale Orange Day - der Tag, der auf Gewalt an Frauen aufmerksam macht und ein Zeichen dagegensetzt. Das ZDF begleitet diesen Tag unter dem Slogan "Alle Augen auf! Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" mit einem umfangreichen Programmangebot im November.
Problem der gesamten Gesellschaft
Geschlechtsspezifische Gewalt beschäftigt alle in der spanischen Gesellschaft. Kommt es zu einem Femizid, halten die Parlamente eine Schweigeminute ab, die Abendnachrichten berichten.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahl der Femizide in Spanien fast halbiert. Auch dank der verschiedenen Maßnahmen ist die Zahl stark gesunken. Es gibt vieles, was Deutschland lernen könnte.
Derya war eine von 113 Frauen, die 2021 von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet wurden. Auch ihr Sohn musste sterben, weil der leibliche Vater die beiden als Störfaktoren sah. Ein Femizid.
05.11.2025 | 19:13 min- Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 116 016, Online-Beratung via Chat oder E-Mail
- Bundesweite Frauenhaussuche
- KI-Hilfe-Chat Maya: ein KI-Chat, der rund um die Uhr auf vielen Sprachen anonym und sicher verfügbar ist und hilft, passende Unterstützungsangebote zu finden.
- Juristische Unterstützung: Die Feminist Law Clinic gibt kostenlose Rechtsberatung für Betroffene von Gewalt oder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, auch zum Gewaltschutzgesetz. Die Beratung ist bundesweit online sowie in Köln, München, Hamburg, Tübingen und Göttingen in Person möglich. Weitere Infos via Mail an beratung@feministlawclinic.de erhältlich.
- Weitere Unterstützung: Bundesweit gibt es unterschiedliche Anlaufstellen beispielsweise für Selbsthilfegruppen oder die anonyme Spurensicherung.
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