Jahresbericht: Mehr Menschen wehren sich gegen Diskriminierung

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Antidiskriminierungsbericht:Mehr Menschen wehren sich gegen Diskriminierung

von Stefanie Reulmann
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Mehr Diskriminierungen, aber auch mehr Menschen, die sich wehren. In ihrem Jahresbericht 2024 warnt die Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman vor zunehmender Ungleichbehandlung.

03.06.2025, Berlin: Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, stellt den Jahresbericht 2024 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vor.
Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurden 2024 so viele Erfahrungen gemeldet wie noch nie. Fast die Hälfte davon waren rassistische Diskriminierungen.03.06.2025 | 1:39 min
Ein Mann bekommt wegen seines Vornamens Mahmoud keinen Termin für eine Wohnungsbesichtigung. Eine Werkstudentin wird nicht eingestellt, weil sie ein Kopftuch trägt. Eine Bank verweigert einem 88-jährigen Mann eine Kreditkarte wegen "erhöhtem Rückzahlungsrisiko im Alter", und eine Vermieterin verweigert einem Rollstuhlfahrer den Einbau einer Rampe.

Mehr Fälle von Diskriminierungen im Jahr 2024

Viele Menschen erleben im Alltag Diskriminierungen. Sie sollen ermutigt werden, sich gegen diese Benachteiligung zu wehren - notfalls auch juristisch. Anlaufpunkt dafür ist die im Jahr 2006 gegründete Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung
Quelle: dpa

Ferda Ataman wurde im Juli 2022 auf Vorschlag der Bundesregierung vom Deutschen Bundestag zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung gewählt. Ihre Amtszeit beträgt fünf Jahre.

Mehr als 11.400 Beratungsanfragen hat die Behörde im vergangenen Jahr registriert. Das geht aus dem Jahresbericht der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman hervor. Damit hat sich die Zahl gegenüber 2019 fast verdreifacht.

Wir haben ein massives Problem mit Rassismus, wir haben ein massives Problem mit Sexismus, und wir haben einen massiven Unwillen, Menschen mit Behinderungen die gleiche Teilhabe zukommen zu lassen.

Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte

Am häufigsten wenden sich Betroffene wegen rassistischer Diskriminierungen an die Behörde. Ihre Anfragen machten mit 43 Prozent knapp die Hälfte aller Fälle aus. Die Zahl hat sich seit 2019 mehr als verdreifacht. An zweiter Stelle folgen mit 27 Prozent Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit und an dritter Stelle mit 24 Prozent Benachteiligungen wegen des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität. Es folgen Diskriminierungen wegen des Alters, der Religion und der sexuellen Identität.
Diskriminierung: Fälle seit 2019 mehr als verdoppelt
Bundespressekonferenz: Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle mit Ferda Ataman (Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung)03.06.2025 | 25:32 min

Ataman: Mehr "geschlechtsbezogene Diskriminierungen"

Jeder dritte Fall von Diskriminierung findet im Rahmen des Arbeitslebens statt, 22 Prozent der Fälle beziehen sich auf Alltagsgeschäfte, und knapp 25 Prozent auf den öffentlich-rechtlichen Bereich, wie Ämter oder Behörden.
Die Geschlechtsdiskriminierung steht im Mittelpunkt des aktuellen Berichts. Darin heißt es:

Mehr als sieben Jahre nach der #MeToo-Bewegung zeigt sich: Geschlechtsbezogene Diskriminierungen sind in unserer Gesellschaft immer noch tief verankert und sie nehmen wieder zu.

Jahresbericht 2024

Demo Barrierefreiheit
heute - in Deutschland07.05.2025 | 2:03 min

Frau-Sein als Nachteil

Betroffen sind in erster Linie Frauen. Sie verdienen weniger Geld, haben schlechtere Karrierechancen. Auch sexuelle Belästigung gehöre "leider noch zum Arbeitsleben von Frauen in Deutschland", sagt die Antidiskriminierungsbeauftragte. Bei Bewerbungen werden Frauen mit Kopftuch oder Behinderungen häufig nicht berücksichtigt.
Aber auch trans, inter und nicht binäre Personen sind von Diskriminierungen betroffen. Ihre Beratungsanfragen haben sich seit 2022 mehr als verdoppelt, auf 388 im Jahr 2024. Sie werden immer wieder bewusst mit falscher Anrede angesprochen und auch offen angefeindet, sagt die Antidiskriminierungsbeauftragte:

Auch fühlen sich offenbar immer mehr Menschen legitimiert, Trans- und Schwulenfeindlichkeit am Arbeitsplatz zu äußern.

Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte

Kleine Figuren von Männern und Frauen sitzen auf Geldmünzen, um zu verdeutlichen, dass Frauen weniger verdienen als Männer
Frauen verdienen im Schnitt immer noch weniger als Männer. Ein Gesetz sollte die Unterschiede transparent machen. Doch bei der Umsetzung gibt es noch Probleme.08.03.2025 | 2:22 min

Gleichbehandlungsgesetz als Meilenstein

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das 2006 in Kraft trat, war ein Meilenstein für den Diskriminierungsschutz. Es schützt Menschen vor Benachteiligung, sei es auf Grund ihres Alters, ihres Geschlechts, einer chronischen Krankheit oder Behinderung, ihrer Religion, ihrer sexuellen Identität oder aus rassistischen und antisemitischen Gründen.
Doch viele Gründe für Diskriminierung sind im Gleichbehandlungsgesetz noch nicht enthalten, und so sind allein im letzten Jahr mehr als 2.000 Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle ins Leere gelaufen. Darunter "Fälle von Benachteiligungen wegen der Staatsangehörigkeit, des sozialen Status, des Familienstands, wegen Elternschaft, Care-Arbeit, Aussehen oder Gewicht".

Staatliche Stellen bieten keinen Schutz vor Diskriminierung

Und das Gesetz hat weitere Lücken: Wenn das Jugendamt einem gleichgeschlechtlichen Ehepaar ein "krankhaftes, unnatürliches Beziehungsgeflecht" vorwirft, und ihm keine Kindererziehung mehr anvertrauen will, zählt das nicht als Diskriminierung im Sinne des AGG. Der Grund: Nach der aktuellen Gesetzeslage sind Bürger auf Ämtern, bei der Polizei oder vor Gericht nicht ausreichend vor Diskriminierung geschützt. Gleiches gilt für Schulen und im Bildungsbereich.
Eine Frau hebt ihre Faust in die Höhe. Auf ihrem Arm ist das Venussymbol zu sehen, das für das weibliche Geschlecht und Frauenrechte steht.
Nicht nur am Weltfrauentag stellt sich die Frage: Was fehlt zur echten Gleichberechtigung beider Geschlechter? Was wünschen sich die Frauen? Wo macht es ihnen das System schwer?08.03.2025 | 2:48 min
Sie werde daher zeitnah Gespräche mit der Bundesregierung über eine dringend notwendige Refom des Gesetzes führen, sagt Ataman bei der Pressekonferenz in Berlin:

Menschen sind in Deutschland im Restaurant besser vor Diskriminierung geschützt als auf dem Amt. Dieser ungleiche Standard ist einer der Punkte, der im AGG dringend reformiert werden muss.

Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte

Auch wenn sich das gesellschaftliche Bewusstsein gegenüber Diskriminierungen geschärft hat, sind die im Bericht genannten Fälle "nur die Spitze des Eisberges", sagt Ataman. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.
Mehrere Personen von hinten, sitzend in einer Reihe, unter ihnen eine Kopftuchträgerin
Laut einer aktuellen Studie fühlen sich Angehörige von Minderheiten in Deutschland regelmäßig diskriminiert. 54 Prozent seien demnach mindestens einmal monatlich betroffen.20.03.2025 | 1:30 min

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