Vergewaltigungen durch Russen:Ukrainerinnen brechen ihr Schweigen
von Anne Brühl
Nach mehr als dreieinhalb Jahren Krieg beginnen ukrainische Frauen, offen über ihre Vergewaltigung durch russische Soldaten zu sprechen. Sie brechen damit ein Tabu.
Vergewaltigt im Krieg - ein Kriegsverbrechen, über das lange geschwiegen wurde. Immer mehr ukrainische Frauen brechen ihr Schweigen und fordern Gerechtigkeit für die Taten russischer Soldaten.
29.10.2025 | 6:40 minEinmal in der Woche treffen sich in der Stadt Cherson im Süden der Ukraine Frauen, um über das zu sprechen, was russische Soldaten ihnen angetan haben. Für Anna Korschun-Samtschuk war es der 19. April 2022, der ihr Leben veränderte.
Als ihr Onkel verhaftet wird, geht sie zur russischen Kommandantur, um seine Freilassung zu erreichen. Sie wird in einen Verhörraum geführt, muss sich ausziehen. Dann wird sie von mehreren russischen Soldaten zum Oralsex gezwungen. Sie wird bewusstlos geprügelt und mit Wasser übergossen, damit die Männer weitermachen können. Ein anderer Russe vergewaltigt sie anal.
Es ist schwer, darüber zu sprechen, weil man sich an alles erinnert und der Körper den Schmerz erneut spürt. Der Körper erinnert sich, was war.
Anna Korschun-Samtschuk
Sie hat Hilfe bei einem Arzt bekommen, später auch eine Reha machen können. Mit ihrem Mann aber, sagt sie, konnte sie lange nicht über das Erlebte sprechen - aus Scham. Fast wäre ihre Ehe daran zerbrochen. Heute glaubt Anna, dass es wichtig ist, das Schweigen zu brechen. Für sich selbst - aber auch für andere.
Wie viele Frauen in der Ukraine von den russischen Soldaten vergewaltigt wurden - und werden - ist unklar. Nun trauen sich die ersten Betroffenen darüber zu sprechen.
01.11.2025 | 2:19 minAktivistin über sexualisierte Gewalt: "Enorme Zahl von Betroffenen"
Bislang sind lediglich 255 Fälle sexueller Gewalt von Russlands Soldaten an Frauen und Mädchen bei der ukrainischen Staatsanwaltschaft registriert. Das UN-Menschenrechtsbüro in Kiew hat 61 solcher Fälle dokumentiert - die Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. Iryna Dowgan spricht von "Kriegsverbrechen". Sie hat "SEMA Ukraine" gegründet, eine Organisation, die sich um die Opfer sexueller Gewalt im Krieg kümmert. Darum, dass Täter benannt und bestraft werden.
"In einem Land im Krieg gibt es eine enorme Zahl von Betroffenen, die in Angst leben, dass Russland morgen vielleicht doch in ihr Dorf kommt und sie als Zeugen russischer Verbrechen keine Überlebenschance hätten", glaubt Dowgan. Die Behörden in der Ukraine stünden am Anfang eines langen Prozesses, für die Frauen sei das oft sehr belastend:
Die Straflosigkeit ist etwas unglaublich Zerstörerisches - und sie steckt im Fundament der sexuellen Gewalt, die mit Krieg verbunden ist.
Iryna Dowgan, Gründerin der Organisation "SEMA Ukraine"
Vergewaltigungen und andere sexuelle Straftaten sind ein Mittel der Kriegsführung, über das oft geschwiegen wird. Unser Reporter Timm Kröger hat eine mutige Frau getroffen, die darüber spricht.
19.06.2025 | 2:46 min"Wir wissen, dass jede Furchtbares erlebt hat"
In Cherson erzählt Natalija, die eigentlich anders heißt und anonym bleiben möchte, wie wichtig diese Treffen in der Gruppe sind:
Wir müssen einander nicht erzählen, was geschehen ist. Wir wissen, dass jede Furchtbares erlebt hat.
Natalija
Sie selbst kommt aus einem kleinen Dorf, dem Teil der Region, der immer noch von den Russen besetzt ist. Dort weiß niemand von ihrer Geschichte.
Sie wurde von den Russen an die Front verschleppt, zur 6. Kompanie bei Wasylivka. Sie blieb dort vier Tage lang, wurde zigfach vergewaltigt. Dann ließen die Russen sie laufen - im Glauben, dass sie die Flucht durch direktes Kampfgebiet niemals überleben würde. Natalija ist Anwältin, hat einen der Täter angezeigt. Nur einen:
Ich wollte alles vergessen und deshalb verschwammen Gesichter in meinem Gedächtnis.
Natalija
Sexualisierte Gewalt sei im Ukraine-Krieg "systematisch", erklärt Russland-Expertin Sabine Fischer. Es treffe dabei nicht nur Frauen. In der Ukraine gebe es auch viele Fälle von Männern.
01.12.2024 | 4:19 min0800 22 55 530
(kostenfrei + anonym)
https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/
116006 (Opfer-Telefon)
Hilfe auch per Chat oder vor Ort
https://weisser-ring.de/
Korschun-Samtschuk: "Die russische Welt bedeutet keinen Frieden"
Auch Anna Korschun-Samtschuk konnte einen ihrer Täter anzeigen. Dass sie mit Gesicht und Namen über das spricht, was ihr angetan wurde - damit will sie anderen Frauen Mut machen. Seit sie ihre Geschichte öffentlich erzählt, gehe es ihr mental besser.
Ich möchte mit meinem Beispiel unseren Frauen zeigen, dass die Betroffene niemals schuld ist an dem, was passiert ist. Schuldig ist nur der Täter.
Anna Korschun-Samtschuk
Ihr geht es aber auch um etwas anderes. Die Welt, glaubt sie, muss wissen, was russische Soldaten im Namen Wladimir Putins ukrainischen Frauen antun. "Russkij Mir, die russische Welt bedeutet keinen Frieden. Es bedeutet Schmerz. Es bedeutet Vergewaltigung. Wenn wir jetzt nicht darüber sprechen, wird ihnen wieder alles vergeben."
ZDF-Reporterin Anne Brühl berichtet aus der Ukraine.
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