Warum Europas Industrie beim CO2-Einsparen hinterher hängt

Emissionshandel:Warum Europas Industrie beim CO2-Einsparen hinterher hängt

von Celine Grosch

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Europas Industrie ist im Klimastress: Der Emissionshandel wird strenger, Energie teurer - Unternehmen suchen nach Lösungen auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Der CO2-Ausstoß ist in Europa seit Einführung des ETS um 51 Prozent gesunken. 20 Jahre Europäischer Emissionshandel

Der CO₂-Ausstoß ist in Europa seit Einführung des ETS um 51 Prozent gesunken. Vor allem die Energiewirtschaft hat durch den Ausbau Erneuerbarer Energien merklich CO₂ eingespart.

27.11.2025 | 6:32 min

Es ist Europas wohl ehrgeizigstes Experiment: Klimaschutz durch Marktwirtschaft. Seit 2005 legt der Emissionshandel der EU eine Grenze für Treibhausgase fest und lässt Unternehmen mit ihren CO2-Rechten handeln.

Wer Effizienz vorweist, profitiert. Wer weitermacht wie bisher, zahlt drauf. Doch das System steht vor einer Bewährungsprobe: Vor allem energieintensive Branchen kämpfen damit, ihre Emissionen zu reduzieren.

Fast die Hälfte aller CO2-Emissionen in der EU stammen aus der Energiewirtschaft und der Industrie. Um diese zu senken, wurde vor 20 Jahren der EU-Emissionshandel ETS 1 eingeführt.

Der Europäische Emissionshandel (EU ETS 1) ist das wichtigste Klimaschutzinstrument der EU. Er legt fest, wie viel CO2 große Industrieanlagen und Energieunternehmen insgesamt ausstoßen dürfen. Für jede ausgestoßene Tonne CO2 benötigen die Betriebe ein Zertifikat. Diese sind begrenzt und können gehandelt werden - wer weniger ausstößt, spart Geld und kann Zertifikate verkaufen, wer mehr verursacht, muss zukaufen.

Dadurch entsteht ein CO2-Preis, der Anreize schaffen soll, Emissionen zu senken. Viele energieintensive Branchen wie Zement, Chemie oder Stahl erhalten bislang noch einen großen Teil ihrer Zertifikate kostenlos. Schrittweise soll die Zahl der kostenlosen Zertifikate sinken, sodass klimafreundliche Produktion langfristig finanziell attraktiver wird und die Industrie stärker in emissionsarme Technologien investiert.


Emissionsminderung bleibt in der Industrie schwierig

Finanzielle Anreize sollen Unternehmen dazu bewegen, in emissionsärmere Produktion zu investieren. Das funktioniert teilweise: Seit 2013 hat die Energiewirtschaft ihre Emissionen durch den Umstieg auf erneuerbare Energien um 56 Prozent gesenkt, die Industrie lediglich um 17 Prozent. Woran liegt das?

Sektoren wie Zement oder Chemie stehen vor einer größeren Hürde, da ein Großteil ihrer Emissionen nicht durch Energieverbrauch, sondern direkt in den Produktionsprozessen entstehen - etwa wenn Kalkstein oder Erdgas chemisch reagieren. Diese prozessbedingten Emissionen lassen sich kaum vermeiden.

Bayer-Werk in Leverkusen in der Morgendämmerung

Der chemischen Industrie in Deutschland machen unter anderem die hohen Energiepreise zu schaffen. Die schwierige Lage schlägt sich auch in der Halbjahresbilanz des Verbands nieder.

17.07.2025 | 1:32 min

Zement: Das Problem liegt im Rohstoff

Zementhersteller Dyckerhoff hat seine Emissionen seit Einführung des ETS 1 um rund 20 Prozent gesenkt. Etwa 80 Prozent der Drehofenenergie stammen heute aus aufbereiteten Abfallresten statt aus Kohle.

Dennoch bleibt Klimaneutralität schwer erreichbar: Zwei Drittel der Emissionen entstehen beim Brennen des Kalksteins, dem zentralen, kaum ersetzbaren Rohstoff des Zements - unabhängig davon, welche Energiequelle den Ofen befeuert. Eine Lösung sieht Werksleiter Martin Oerter in der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS). Dafür brauche es allerdings Genehmigungsverfahren, so Oerter.

Es muss ein Konsens darüber erzielt werden, wo CO2 möglicherweise gespeichert wird, unter welchen Randbedingungen es genutzt werden kann.

Martin Oerter, Werksleiter Dyckerhoff Zement Lengerich

Carbon Capture and Storage (CCS) bezeichnet die Abscheidung und dauerhafte Speicherung von CO2. Dabei wird das Gas direkt an der Quelle aufgefangen und über Leitungen oder per Schiff zu geeigneten Lagerstätten transportiert. In mehrere Kilometer tiefen Gesteinsschichten unter der Erde oder dem Meeresboden wird das CO2 dauerhaft gespeichert. Die Technik ist erprobt, gilt aber als teuer und energieaufwendig.

In Deutschland fehlten bislang rechtliche Grundlagen und eine Infrastruktur für Transport und Speicherung. Allerdings hat der Bundesrat im November diesen Jahres dem Gesetz zur unterirdischen Speicherung von CO2 zugestimmt. Damit ist erstmals die rechtliche Grundlage geschaffen, um CO2 auch in Deutschland in größerem Maßstab zu lagern.

Dennoch wird weiterhin nach geeigneten Speicherstandorten gesucht. Das Potenzial offshore, unter der Nordsee, erscheint zwar groß, doch Deutschland hat bislang keine eigenen, genehmigten Speicherstandorte ausgewiesen.


USA: Petra Nova CCS-Anlage im NRG-Kraftwerk in Richmond

Die Bundesregierung will durch eine Gesetzesnovelle das Verpressen von Kohlendioxid-Emissionen im Boden ermöglichen. Für einige Industriezweige könnte diese Änderung überlebenswichtig sein.

02.09.2025 | 9:12 min

Chemie: zwischen Klimazielen und Energiepreisen

Auch die Chemieindustrie steht unter Druck. Am Standort Köln produziert INEOS in komplexen Prozessen Grundstoffe für zahllose Alltagsprodukte. Das Herzstück ist der sogenannte Steamcracker, ein Reaktor, in dem Kohlenwasserstoffketten aufgespalten werden - die Basis nahezu aller Kunststoffe, Lacke und Lösungsmittel. Ein Teil des Stroms stammt bereits aus grünen Quellen, das reiche allerdings laut Energy Manager Stephan Müller nicht aus.

Würde man jetzt zum Beispiel den Standort Köln komplett auf erneuerbarem Strom laufen lassen, beispielsweise auf Wind, muss man berücksichtigen, dass man sehr viele Windanlagen benötigt, weil die Menge an Energie und an Strom sehr, sehr groß ist.

Stephan Müller, Energy Manager INEOS Köln

Außerdem seien Wind- und Solarstrom nicht kontinuierlich verfügbar. Selbst kurze Ausfälle dürfen nicht passieren, weil die Anlagen rund um die Uhr laufen. Daher bliebe das Unternehmen vorerst auf steuerbare Kraftwerke angewiesen. Batteriespeicher könnten nur kurze Überbrückungen liefern.

Abgase werden von einer Fabrik in die Luft geblasen

Mit dem Instrument des Emissionshandels darf nur eine bestimmte Menge an CO2 produziert und als Zertifikate auf dem freien Markt angeboten werden. Aber wie funktioniert das eigentlich?

03.11.2021 | 1:33 min

Industrie warnt vor Produktionsverlagerung ins Ausland

Seit dem Krieg in der Ukraine sind die Energiepreise stark gestiegen und setzen die Chemiebranche unter Druck. Innerhalb der EU droht die Schließung von 21 Anlagen und eine mögliche Verlagerung der Produktion in Nicht-EU-Länder.

Und dem Klima ist damit gar nicht geholfen, weil die Produkte weiterhin hier benötigt werden. Sie werden dann nur irgendwo anders hergestellt und über die Weltmeere nach Europa exportiert.

Stephan Müller, Energy Manager INEOS Köln

Um dem entgegenzuwirken, führt die EU ab 2026 den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) ein.

CO2-Zoll soll Wettbewerbsnachteile ausgleichen

Der CBAM ist ein geplanter CO2-Grenzausgleich der EU. Ab 2026 sollen Importeure für bestimmte Grundstoffe eine Klimagebühr zahlen, wenn diese in Ländern mit geringeren Umweltauflagen produziert wurden. So soll verhindert werden, dass europäische Unternehmen durch strengere Klimastandards Wettbewerbsnachteile erleiden und dass klimaschädliche Produktion einfach ins Ausland verlagert wird.

Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) ist im Prinzip ein CO2‑Grenzausgleich der Europäischen Union. Ab dem 1. Januar 2026 müssen Importeure für bestimmte Grundstoffe wie zum Beispiel Stahl, Zement, Aluminium, Dünger, Wasserstoff oder Strom, Zertifikate kaufen, deren Preis an den europäischen CO2‑Preis im Emissionshandel (ETS 1) gekoppelt ist.

Die Umsetzung ist jedoch kompliziert. Die Erfassung der tatsächlichen Emissionen in globalen Lieferketten ist aufwendig. Außerdem gibt es das Risiko der Emissionsverlagerung: Produzenten könnten ihre klimafreundlich hergestellten Produkte in die EU exportieren, während sie ihre restlichen emissionsintensiveren Produkte in Länder mit geringeren Klimaschutzstandards exportieren. So würden Emissionen nicht reduziert, sondern lediglich verlagert.

Da der CBAM zunächst nur wenige Grundstoffe umfasst, entstehen Lücken in der Wertschöpfungskette. Hersteller könnten CO2-Abgaben umgehen, indem sie weiterverarbeitete Produkte statt der betroffenen Materialien in die EU exportieren.


Das System ist komplex. Denn die Ermittlung der wirklichen CO2-Emissionen im Ausland ist aufwendig und es besteht das Risiko, dass Unternehmen außerhalb der EU ihre sauber produzierten Waren gezielt in die EU exportieren, während sie an anderen Standorten weiterhin klimaschädlich produzieren. Zudem gilt der CBAM vorerst nur für Grundstoffe, nicht für Produkte weiter hinten in der Wertschöpfungskette.

Ein Balanceakt zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit

Trotz seiner Schwächen gilt der CBAM als wichtiger Schritt, um Klimaschutz und fairen Wettbewerb zu verbinden. Damit nehme die EU weltweit eine Vorreiterrolle ein, sagt Reena Skribbe vom Öko-Institut, das die EU als NGO bei der Evaluierung des Emissionshandels berät. Der ETS 1 und seine Instrumente könne für Länder wie zum Beispiel China eine Orientierung für ihre eigenen Emissionshandelssysteme bieten, so Skribbe.

Da können gerne alle kopieren. Ich glaube, das ist genau der Sinn und Zweck der Sache.

Reena Skribbe, Klimaökonomin, Öko-Institut

CO2 soll verringert werden  Muss der Emissionshandel angepasst werden, um Klimaschutz und Wirtschaft zu vereinen?

Zölle, Konkurrenz und Klimaschutz – die deutsche Industrie kämpft. Muss der Emissionshandel angepasst werden, um sie zu stärken? Ist er wirklich effektiv? Wir sprechen mit Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

27.11.2025 | 6:12 min

Doch finanzielle Anreize allein verhindern keine Emissionen. Damit Europas Industrie wirklich klimaneutral wird, braucht sie technologische und vor allem marktreife Lösungen für ihre unvermeidbaren Emissionen, wie zum Beispiel die Abscheidung und Speicherung von CO2, aber auch grundlegende Veränderungen in Produktionsweisen und Konsumverhalten.

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Quelle: dpa

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Über dieses Thema berichtete 3sat in der Sendung Nano am 27.11.25 ab 18.30 Uhr.

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