Gesundheit am Arbeitsplatz: Warum Auskurieren keine Schwäche ist

Arbeiten statt Auskurieren:Krank zur Arbeit? Warum das doppelt schadet

von Bonnie Kruse

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Wer krank zur Arbeit geht, riskiert Folgeerkrankungen und die Ansteckung von Kollegen. Wie wir zwischen Pflichtgefühl und Selbstfürsorge die richtige Entscheidung treffen.

Ein Mann, der sich sichtbar nicht wohlfühlt, sitzt vor dem Laptop im Homeoffice.

Aus Pflichtgefühl im Homeoffice statt im Büro zu arbeiten, ist bei Krankheit selten eine gute Zwischenlösung. Wann Präsentismus mehr als die eigene Gesundheit gefährdet.

Quelle: imago/Westend61

Die Taschentücher liegen griffbereit, der Husten ist omnipräsent und die Stimme weg: Wenn Kollegen krank zur Arbeit kommen, sprechen Psychologen von Präsentismus. Anstatt sich auszukurieren, gehen sie ins Büro, reparieren das Dach oder geben Unterricht.

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Einen Gefallen tut man den Kollegen damit aber nicht - im Gegenteil, wie der in Potsdam und Marburg tätige Arbeitspsychologe Sebastian Jakobi sagt: "Für Unternehmen entsteht so ein verdeckter Produktivitätsverlust: Mitarbeitende sind zwar anwesend, aber nicht voll leistungsfähig." Für die Kollegen bedeute das oft eine Mehrbelastung durch ansteckende Krankheiten oder Übernahme zusätzlicher Aufgaben. "Viele sorgen sich, Krankheiten mit nach Hause zu nehmen und sie dort weiter zu verbreiten", sagt Jakobi.

Langfristig drohen höhere Fehlzeiten und steigende Kosten durch längere Ausfälle.

Sebastian Jakobi, Arbeitspsychologe

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Gefährdung der eigenen Gesundheit

Präsentismus ist kein Zeichen von Engagement, sondern ein Risikofaktor für die Gesundheit - auch für den, der sich mit laufender Nase zur Arbeit schleppt. "Studien zeigen: Wer regelmäßig krank arbeitet, hat ein höheres Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, psychische Erschöpfung und spätere Langzeiterkrankungen", erläutert Arbeitspsychologe Jakobi.

Gründe, die die Mehrheit der Arbeitnehmenden in Deutschland (63 Prozent) nicht abgeschreckt haben, im Jahr 2024 krank zur Arbeit zu gehen, wie aus einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hervorgeht.

Eine krankheitsbedingte Kündigung ist laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) nur möglich, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Es liegt eine negative Gesundheitsprognose vor, etwa bei einer chronischen Krankheit.
  • Die Fehlzeiten beinträchtigen in zu großem Maße die wirtschaftlichen und betrieblichen Interessen des Arbeitgebers.
  • Die Interessen des Arbeitgebers wiegen stärker als die des Arbeitnehmenden (Interessenabwägung).


Angst vor Arbeitsplatzverlust und Pflichtgefühl

Als Gründe für den Präsentismus wurden vor allem betriebliche Bedingungen genannt, darunter: Sorge vor Arbeitsplatzverlust, hohes Arbeitspensum (Arbeitsdichte) und ein schlechtes Betriebsklima.

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Eine andere Erhebung (veröffentlicht in der Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie) hat ergeben, dass Menschen, die krank zu Arbeit kommen, dies unter anderem auch machen, weil sie ihre Kollegen nicht im Stich lassen wollen. "Dieses Pflichtgefühl hat oft mit Verantwortungsbewusstsein, aber auch mit überhöhten Ansprüchen an sich selbst zu tun und der Sorge, andere könnten die eigene Leistungsbereitschaft übersehen", erklärt Jakobi.

Viele Menschen möchten als verlässlich gelten. Das ist grundsätzlich positiv - wird aber problematisch, wenn jemand die eigenen Grenzen übergeht.

Sebastian Jakobi, Arbeitspsychologe

Der Präsentismus-Falle entkommen

Akzeptieren, dass die Arbeit warten muss, fällt vielen Menschen schwer. Um Ängste oder das Pflichtgefühl zu minimieren, rät Sebastian Jakobi zu einem Perspektivwechsel: "Wer krank zur Arbeit kommt, entlastet Kollegen nicht, sondern belastet sie zusätzlich. Da kann man sich fragen: Will ich das wirklich?"

Ein weiterer Schritt sei, das eigene Verantwortungsgefühl realistisch zu kalibrieren: "Verantwortung bedeutet auch, für die eigene Gesundheit zu sorgen, damit man langfristig leistungsfähig bleibt", so der Experte.

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Trotzdem scheint Homeoffice für viele die perfekte Zwischenlösung. "Man zeigt Leistungsbereitschaft und kann sich gleichzeitig etwas schonen", sagt Jakobi. Bei ausklingenden Krankheiten kann das Arbeiten von zu Hause einen sanften Übergang schaffen. "Problematisch wird es aber, wenn etwa der Laptop zur Krücke wird, um sich nicht 'schwach' zu fühlen oder um die Erwartungen anderer zu erfüllen."

Laut Sebastian Jakobi wirken moralische Appelle wie "Du solltest nicht arbeiten, wenn du krank bist" oft belehrend.
Besser seien wertschätzende Botschaften, wie zum Beispiel "Du siehst heute erschöpft aus. Mach dir keinen Stress, die Arbeit läuft auch weiter, wenn du dich auskurierst", oder "Ich merke, dass du dich durchkämpfst. Vielleicht wäre es besser, wenn du dich heute schonst - dann bist du schneller wieder fit".


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Arbeitgeber in der Pflicht

Ein Betriebsklima, bei dem das Thema Gesundheit offen thematisiert werden darf, hilft, Präsentismus zu vermeiden. "Wenn in Teams dagegen Krankheitsfälle infrage gestellt werden, begünstigt das Präsentismus", so Jakobi.

Daher sei es wichtig, dass Arbeitgeber offen über Präsentismus sprechen, Führungskräfte schulen und klare Signale senden ("Gesundheit geht vor"). Jakobi: "Funktionierende Vertretungsregelungen und realistische Arbeitsmengen sind zentrale strukturelle Voraussetzungen."

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