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Analyse
Unions-Fraktionsvorsitzender:Jens Spahn: Der (zur Zeit) Unersetzbare
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Jens Spahn hat es bei der Richterwahl verbockt. Ist er als Fraktionschef der CDU/CSU schon gescheitert, bevor er richtig begonnen hat? Kanzler Merz stärkt ihm den Rücken.
Friedrich Merz hat in den vergangenen Wochen zwei wichtige Aufgaben verteilt. Und zweimal ist er dabei von den eigenen Leuten enttäuscht worden. Zunächst setzt sein Kanzleramtsminister Thorsten Frei die kommunikative Koordination der Strompreissenkung in den Sand. Und dann vergeigt Jens Spahn die mit der SPD fest verabredete Wahl von drei neuen Verfassungsrichtern.
Deutschlands Regierung schlittert kurz vor der Sommerpause in eine Krise. Der Bundeskanzler verteidigt Spahn im Sommerinterview der ARD. Merz räumt zwar ein, die verpatzte Wahl sei "nicht schön" gewesen, aber halt auch "keine Krise der Demokratie, keine Krise der Regierung". Und "ja, eindeutig" sei Spahn noch der richtige Mann im Amt des Fraktionschefs, so Merz am Sonntagabend.
Peter Müller: "Eklatantes Führungsversagen"
Um Merz und Spahn herum zeichnet sich ein anderes Bild. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier attestiert der Regierung im ZDF, die Koalition habe "sich selbst beschädigt". Der ehemalige Verfassungsrichter und frühere saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) spricht in der "Süddeutschen Zeitung" von einem "eklatanten Führungsversagen der Union".
Nun ist es zunächst nicht überraschend, wenn sich innerhalb der Union die Reihen schließen, während draußen der Proteststurm tobt. Aber auch für die Fraktionsführung von CDU und CSU stellt sich nach dem letzten Freitag die Autoritätsfrage. Konnte oder wollte Spahn seine Fraktion nicht auf Linie bringen?
Ist Brosius-Gersdorf wirklich eine linke Aktivistin?
Als sich am Freitagmorgen in der Unionsfraktion die Stimmung gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf dreht, fehlt Spahn die notwendige Durchsetzungskraft. Ein Gerücht über einen nicht belegten Plagiatsvorwurf, der sich zudem noch als falsch herausstellte, reicht aus, die ungeliebte Kandidatin unwählbar für einen größeren Teil der Fraktion zu machen. Von bis zu 50 Abgeordneten ist die Rede.
Es ist unbestritten, dass Brosius-Gersdorf in Fragen des Abtreibungsrechts liberale Positionen vertritt. Ihre Haltung zur Rente mit 70 oder ihre positive Haltung zu Privatschulen sprechen aber eher nicht für den Stempel einer linken Aktivistin. Hätte Spahn da nicht auf den Tisch hauen müssen? Schließlich stand er bei seinem Kollegen Matthias Miersch von der SPD im Wort.
Merz schützt Spahn - Koalition in Gefahr?
Friedrich Merz schützt Spahn jetzt mit dem Hinweis, dass auch bei so einer Personalentscheidung die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen seien. Aber was heißt das denn für die Stabilität der Koalition? Öffnet diese Formulierung die Büchse der Pandora?
Denn auch bei den Sozialdemokraten gibt es Abgeordnete, die mit dem einen oder anderen Vorhaben der schwarz-roten Regierung so gar nicht einverstanden sind. Seien es die Zurückweisungen an den Grenzen oder die Waffenlieferungen in die Ukraine. Die Folge wäre Unregierbarkeit. Daran kann Merz nicht gelegen sein.
Die Rolle Spahns ist noch nicht auserzählt
So manche Politiker haben in den vergangenen Tagen gemutmaßt, dass Spahn einfach unkonzentriert war bei der Vorbereitung der Richterwahl. Insbesondere die Debatten um die Maskenkäufe während der Pandemie hätten ihn abgelenkt. Es sind übrigens dieselben Politiker, die jetzt seinen Rücktritt ins Spiel bringen. Dass diese der Opposition angehören ist keine Überraschung.
Aber ist ein Rücktritt auch im Sinne des Kanzlers? Sehr wahrscheinlich nicht. Spahn hat sich den Job des Fraktionsvorsitzenden hart erkämpft. Sein Verhältnis zu Merz ist nicht unkompliziert. Einst kandierte er gegen ihn um den Parteivorsitz.
In den Koalitionsverhandlungen brillierte er mit Detailwissen zu Finanzfragen und soll jetzt eine Art Bollwerk gegen einen Durchmarsch von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sein, wenn Friedrich Merz eines Tages nicht mehr Kanzler ist. Die Rolle, die Spahn im Personaltableau des Kanzlers spielt, ist längst noch nicht auserzählt.
Mathis Feldhoff ist ZDF-Hauptstadtkorrespondent
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