Integration in Salzgitter:"Wir leben in einer Parallelgesellschaft"
"Wir schaffen das", hieß es 2015. Doch was ist heute daraus geworden? In Salzgitter gibt es zwei Lebenswelten. Wie Geflüchtete und Einheimische nebeneinander leben.
Zehn Jahre nach Angela Merkels historischem Satz "Wir schaffen das" zieht Sarah Tacke schonungslos Bilanz: Wie hat die Migration seit 2015 unser Land verändert? Haben wir es "geschafft"?
14.08.2025 | 43:20 minEs ist ein ganz normales Geschäft in Salzgitter-Lebenstedt. "Allafimode" steht an der Tür, dahinter hängen festliche Kleider. "Ich bin eigentlich Zahntechniker", erzählt Haytham Allafi, der vor zehn Jahren aus Syrien geflüchtet ist. In Syrien hatte Allafi ein eigenes Labor. In Deutschland hätte er dafür den Meister nachmachen müssen. Also begann er neu - mit Damenmode.
Warum Allafi nach Deutschland geflohen ist? "Ich habe zwei behinderte Töchter", erklärt er. In Syrien habe es keine Medikamente mehr gegeben, keine Physiotherapie. "In Deutschland gibt es Hilfe für solche Kinder, das hat mir Hoffnung gegeben", sagt er.
Haytham Allafi kam 2015 nach Deutschland. In Syrien war er Zahntechniker, heute führt er ein Modegeschäft in Salzgitter.
Quelle: ZDFFünf Prozent der Bewohner von Salzgitter stammen aus Syrien
In Lebenstedt liegt der Ausländeranteil bei fast 35 Prozent. Rund fünf Prozent der Bevölkerung in Salzgitter sind Syrer. Allafi fühlt sich wohl. "Hier gibt es viele Moscheen, es gibt überall arabische Beamte." Leute, die nicht gut Deutsch sprechen, hätten in dem Stadtteil keine Probleme, meint Allafi. Unsicher ist sich Allafi, ob er gut integriert sei.
Ich finde mich immer nur bei arabischen Leuten. Es ist wie eine arabische Stadt hier.
Haytham Allafi, Syrer, der in Salzgitter lebt
Salzgitter-Lebenstedt hat einen hohen Ausländeranteil. Viele Syrer leben hier und fühlen sich angekommen. Doch statt Integration sehen viele eine Parallelgesellschaft.
14.08.2025 | 1:52 minSyrer in Lebenstedt fühlen sich als Familie
Nach der Arbeit trifft Allafi seine syrischen Freunde. Die Männer sitzen zusammen, trinken Tee, lachen, spielen Tarneeb, ein syrisches Kartenspiel. "Wir haben uns erst in Deutschland kennengelernt und sind trotzdem wie eine Familie", erzählt Fathi Al Soliman, einer der Männer am Tisch.
Ein anderer Freund, Mahmoud Alazawi, beschreibt die Anfänge als "schwer, fremd und voller Hürden". Jetzt fühle er sich angekommen: "Zurück nach Syrien? Das schaffe ich nicht mehr. Ich habe mich an die Bräuche hier gewöhnt." Sie alle nennen Salzgitter ihr Zuhause, es klingt nach einem syrischen Zuhause mitten in Niedersachsen.
Syrien gehört neben Afghanistan und Irak zu den führenden Asylherkunftsländern. Vor dem Flüchtlingssommer 2015 lebten rund 120.000 Syrer, 75.000 Afghanen und knapp 90.000 Iraker bei uns im Land. Heute - zehn Jahre später - sind die Zahlen deutlich gestiegen: auf etwa 975.000 Syrer, 440.000 Afghanen und 270.000 Iraker.
Die eingebürgerten Migranten zählen da allerdings gar nicht dazu: Allein bei den Syrern haben rund 250.000 Menschen mittlerweile einen deutschen Pass.
Kriegsflüchtlinge und immer mehr Asylbewerber treffen auf überlastete Behörden. Die Willkommenskultur in Deutschland ist erschöpft - die Integration am Limit.
09.02.2025 | 30:00 minEhrenamtliche: Mehr Flüchtlinge aufgenommen, als Salzgitter vertragen kann
Ist das das "Wir schaffen das", was wir uns erhofft haben? "Wir leben hier in einer absoluten Parallelgesellschaft", sagt Stefani Steckhan über ihre Heimatstadt. Über viele Jahre hat sie sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, ist in der CDU aktiv. Sie erkenne ihr Salzgitter schon lange nicht mehr. "Wir haben mehr aufgenommen, als die Stadt vertragen kann", kritisiert sie. Ihre Forderung:
Die Migranten müssen sich mehr einbringen, nicht nur in ihren Gruppen bleiben.
Stefani Steckhan, Bewohnerin von Salzgitter
Steckhan sieht einerseits die Zuwanderer in der Pflicht, hat aber auch klare Forderungen an den Staat. "Es heißt ja eigentlich, wir schaffen das. Aber wer ist mit wir gemeint?" Es könne nicht sein, dass die Bürger alles auffangen sollen, sagt Steckhan. "Im Bereich Schule ist es hier nicht mehr zu schaffen. Dabei wäre das so wichtig, die Kinder müssen lesen, sie müssen schreiben können. Da fängt Integration doch an", klagt sie.
Wählerstimmen, Populismus und die AfD: Ein Blick auf den Parteiaufstieg inmitten der Flüchtlingskrise und die internen Machtkämpfe.
19.08.2025 | 43:33 minArbeiten mit Symbolen statt mit Sprache in der Grundschule
In einer ersten Klasse der "Grundschule am See" in Salzgitter sprechen nur drei Kinder Deutsch als Muttersprache. Wie ist Lernen da überhaupt möglich? Klassenlehrerin Christina Scholz arbeitet mit Symbolen, mit einfacher Sprache und vielen Wiederholungen. Es fällt auf, die Kinder haben unterschiedliche Sprachniveaus.
Viele hier starten ganz ohne Deutschkenntnisse ins System. "Wir werden ein Stück weit allein gelassen", sagt Scholz. Auch heute kämen noch Kinder in die Klassen, die gar kein Deutsch sprechen können, beklagt Scholz.
Die sitzen dann hier, können kein Wort Deutsch und wir müssen dann irgendwie damit umgehen.
Christina Scholz, Lehrerin an der "Grundschule am See" in Salzgitter
Gleichzeitig berichtet die Lehrerin auch von Chancen. "Einerseits erkläre ich den Adventskalender - und dann reden wir über Ramadan oder das Zuckerfest, um gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz zu entwickeln", sagt sie.
2015 kamen Hunderte Asylsuchende nach Templin, einer Kleinstadt in Brandenburg. Inwieweit hat die Integration in den Arbeitsmarkt geklappt?
21.08.2025 | 4:17 minGesellschaftliche Durchmischung stockt
Verständnis, Akzeptanz und natürlich Sprache - wichtige Grundpfeiler für Integration. Doch das Beispiel Salzgitter zeigt: Wirtschaftliches Ankommen ist vielen Geflüchteten gelungen. Doch die gesellschaftliche Durchmischung stockt, wo Gruppen nebeneinander statt miteinander leben. Und sich Parallelgesellschaften bilden.
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