mit Video
Von Deutschland nach Syrien:"Man kommt als Fremder nach Hause"
von Julia Lösch
|
Über eine Million Syrer leben zehn Jahre nach Merkels "Wir schaffen das" in Deutschland. Nur wenige kehren nach Assads Sturz zurück. Wie einer von ihnen seine Rückkehr erlebt.
2015 kommt Modar Ajaj als Geflüchteter nach Deutschland. Auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Einem sicheren Zuhause. Im Mai dieses Jahres - zehn Jahre später - kehrt er zurück nach Syrien in seine alte Heimat, die er kaum noch wiedererkennt.
Krieg hat Spuren in Syrien hinterlassen
Er zeigt uns die Vororte von Damaskus, in denen der Krieg seine Spuren in Beton und Biografien gebrannt hat. "Ich bin sehr dankbar, dass ich dieses Leid nicht erleben musste. Ich musste nicht in so einem Haus sein, während eine Bombe über meinem Kopf explodiert. Es ist wirklich schmerzhaft."
Modar Ajaj erkennt seine alte Heimat Damaskus und seine Familie inmitten der Trümmer kaum wieder. Auch er kommt verändert zurück - als "Fremder", wie er sein Gefühl beschreibt.
Quelle: Andre Goetzmann
Immer wieder sei Modar in Deutschland gefragt worden, warum er überhaupt geflohen sei. "Ich verstehe, dass Menschen sagen: Ich bezahle Steuern für bessere Straßen oder Pflegeheime - nicht für andere. Aber stell' dir vor, das wäre dein zerstörtes Haus."
Denkst du wirklich, Menschen kommen aus sicheren Verhältnissen, um einen 400-Euro-Jobcenter-Satz zu bekommen? Um in einem abgelegenen Dorf zu leben, eine fremde Sprache zu lernen, sich in einer neuen Kultur zurechtzufinden?
Modar Ajaj, Geflüchteter aus Syrien
Humanitäre Lage in Syrien weiterhin prekär
Der Bürgerkrieg in Syrien ist zwar vorbei, aber Frieden sieht anders aus. Über 70 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Mehr als zwei Millionen Kinder haben keinen Zugang zu Bildung. Viele Familien leben in Ruinen - ohne Strom, ohne Wasser, ohne Perspektive.
Nach dem Sturz von Diktator Al-Assad stellen sich bei uns in Deutschland viele die Frage: Werden die Syrer zurückkehren? Müssen sie? Laut Bundesinnenministerium haben bislang rund 800 Syrer mit staatlicher Förderung Deutschland verlassen. Die Dunkelziffer liegt vermutlich etwas höher.
"Es braucht viel Mut"
Modar kennt nur vier Menschen in seinem Umfeld, die tatsächlich dauerhaft zurückgegangen sind. Viele bleiben in Deutschland, weil sie müssen: kein Pass, keine Arbeitsperspektive, kein Vertrauen in die Sicherheitslage vor Ort. Und: "Es braucht viel Mut", sagt Modar. "Kein Baum will zweimal umgepflanzt werden."
Modar hat schmerzlich erfahren, dass der, der lange fort war, nicht einfach wieder heimkommt. Er kommt verändert zurück - und trifft auf ein Zuhause, das sich selbst verändert hat. "Mein Vater ist nicht mehr der junge Mann, den ich verlassen habe", erzählt Modar. Seine Nichte sei ein Kind gewesen, als er ging. "Jetzt ist sie 16. Ich verstehe ihre Witze nicht mehr."
Man kommt als Fremder nach Hause. Ob ich hier wieder einen Platz finde, weiß ich nicht.
Modar Ajaj, Syrien-Rückkehrer
Auch das gehört zur Wahrheit über Flucht.
Leben zwischen zwei Welten
Modar ist vor allem wegen seiner Eltern zurück nach Damaskus gegangen. "Syrien hat so einen Charme und ein Flair, was Deutschland leider nicht hat. Es hat diesen familiären Zusammenhalt, diese Bindung."
Der 32-Jährige arbeitet als Fitnesstrainer und Ernährungswissenschaftler, er verdient sein Geld größtenteils online, was ihm wichtig sei, da er nach wie vor viel in Deutschland sein wird. Bei seiner eigenen Familie, seiner Freundin und der gemeinsamen Tochter in der Nähe von Darmstadt.
Wo die meisten Geflüchteten herkommen
ZDFheute Infografik
Ein Klick für den Datenschutz
Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Derzeit kann er sich noch nicht vorstellen, beide mit nach Syrien zu nehmen. Daher wird Modar zwischen zwei Welten pendeln. Zwischen Damaskus und Darmstadt. Dank seines deutschen Reisepasses kann er jederzeit ein- oder ausreisen. Eine Freiheit, die die meisten syrischen Geflüchteten nicht haben.
Dankbarkeit für Offenheit von Deutschland
Modar sagt, dass Deutschland und er es gemeinsam geschafft haben. Dafür sei er unendlich dankbar: "Hätte Deutschland damals nicht die Türen aufgemacht, wäre ich heute entweder ein Kriegsopfer oder einer, der andere im Krieg getötet hat."
Deutschland hat mir mein Leben gerettet, das vergesse ich nie.
Modar Ajaj, 2015 aus Syrien geflüchtet
Modars Geschichte ist keine Blaupause. Er ist privilegiert, gebildet, unabhängig. Er zeigt, dass die Rückkehr kein Zurück ist, sondern ein neues Dazwischen.
Weitere Nachrichten zu Flucht und Migration
- mit Video
Trotz Kritik aus Nachbarländern:Dobrindt will Grenzkontrollen verlängern
- mit Video
Mehr als 150 Migranten an Bord:Viele Tote bei Bootsunglück vor Jemen
- mit Video
Familiennachzug nach Deutschland:Das lange Warten "macht Familien kaputt"
von Homeira Rhein