Erinnerungen an 8. Dezember 2024:Syrien nach Assad: Angst, Hoffnung, Neustart?
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Am 8. Dezember 2024 fiel in Syrien das Regime von Baschar al-Assad. Millionen Syrer haben Jahrzehnte auf diesen Tag gewartet. Vier von ihnen erinnern sich, wie er für sie war.
Mustafa al-Aloush: Kämpfer aus Idlib
Mustafa Al-Aloush wird den 8. Dezember 2024 lange in Erinnerung behalten. Für die Befreiung Syriens hat er gekämpft - mit Verlusten.
Quelle: ZDF
"Als wir an diesem Tag ganz Syrien befreiten und vor allem Damaskus, dachte ich zuerst an alle, die nicht mehr unter uns sind. Ich wusste nicht, ob ich den Familien der Gefallenen zum Sieg gratulieren sollte. Schließlich war die syrische Revolution erfolgreich.
Oder sollte ich trauern, weil ihre Söhne gestorben waren und ich sie wegen ihrer Verluste trösten musste? Für mich persönlich war das der entscheidende und bewegendste Moment an diesem Tag."
Safwan Bahloul: Vier-Sterne-General unter Baschar al-Assad
Safwan Bahloul arbeitete jahrelang als Vier-Sterne-General unter Assad. Doch seine Meinung über den ehemaligen Machthaber Baschar al-Assad hat sich geändert.
Quelle: ZDF
"Ein gut unterrichteter Untergebener rief mich an. So haben die Sicherheitsoffiziere des 4. Armeekorps alle Dokumente verbrannt und sind geflohen. Und der Bruder des Präsidenten, Maher al-Assad, sei ebenfalls aus dem Land geflohen. Auch sei das Hauptquartier am Umayyaden-Platz verlassen.
Um 1 Uhr 30 nachts rief ich den Verteidigungsminister an. Er antwortete nur: Safwan, es ist vorbei.
Ich war total schockiert - und bin noch immer wütend. Ich sage das ganz offen: Bis zur letzten Minute war ich meiner Regierung, meinem Staat und Staatsoberhaupt treu ergeben. Ich meine das im militärischen Sinne, nicht was die dunklen Seiten des Regimes angeht."
Da habe ich begriffen, dass ich jemandem ergeben war, der nie das Land hätte führen dürfen.
Safwan Bahloul, Vier-Sterne-General unter Baschar al-Assad
Safwan will Blutvergießen vermeiden: Er befiehlt seinen verbliebenen Männern, sich den Rebellen zu ergeben.
Sehen Sie die dreiteilige Dokuserie "Tatort Syrien" am 21. Mai ab 00:45 Uhr im ZDF oder streamen Sie sie jederzeit bei Web und App.
Rauda Hassan: Mutter eines Verschleppten
Rauda Hassans Sohn kam unter dem Assad-Regime in Gefangenschaft. Die Verschleppung ihres Sohnes überschattet ihre Freude über die syrische Revolution.
Quelle: ZDF
"Alle freuten sich, sangen und riefen den Sturz des Regimes aus. Ich dagegen ging sofort nach Saidnaya. Sie sagten uns, dass die Gefangenen freigelassen worden seien. Ich ging direkt zur Victoria-Brücke. Es gab keine öffentlichen Verkehrsmittel, also kletterten wir auf einen Gemüse-Lkw. Ich, in meinem Alter - ich bin 63 Jahre alt - klettere auf einen Gemüse-Lkw, um meinen Sohn zu suchen?
Ich suchte an sechs verschiedenen Orten in Damaskus nach meinem Sohn, während Kugeln um uns herumflogen - bei der Victoria-Brücke, in Barzeh und unter der Präsidentenbrücke. Es war niemand dort außer den Männern der Befreiungsfront.
Am Morgen des Sturzes des Regimes waren die Straßen leer. Ich suchte nach meinem Sohn. Ich kann mich über nichts freuen, nicht einmal bei besonderen Anlässen.
Ich kann keine Freude empfinden, solange ich nicht weiß, wo mein Sohn ist.
Rauda Hassan, Mutter eines Verschleppten
Ich will nur wissen, ob er noch lebt oder nicht. Seit 14 Jahren bin ich in einer Spirale aus Ungewissenheit gefangen - lebt er oder nicht? Ist es nicht endlich an der Zeit, dass ich es erfahre und Ruhe finde?
Wer in Syrien regiert
Am 8. Dezember 2024 stürzten HTS-Rebellen das Assad-Regime. Baschar al-Assad floh noch in derselben Nacht nach Moskau, während Tausende Anhänger in den Libanon und Irak flüchteten. Hayat Tahrir al-Sham (HTS), übersetzt "Komitee zur Befreiung Großsyriens", ist ein islamistisches Bündnis, das 2017 aus dem syrischen Al-Qaida-Ableger und anderen Rebellengruppen entstand.
Anführer Ahmad al-Scharaa, alias Abu Muhammed al-Dschaulani, spielte eine Schlüsselrolle beim Sturz des Regimes und wurde Übergangspräsident. Doch Zweifel an seiner Fähigkeit, das Land zu einen, wachsen. Insbesondere bei den Minderheiten, die nach blutigen Konflikten um ihre Sicherheit fürchten.
Anführer Ahmad al-Scharaa, alias Abu Muhammed al-Dschaulani, spielte eine Schlüsselrolle beim Sturz des Regimes und wurde Übergangspräsident. Doch Zweifel an seiner Fähigkeit, das Land zu einen, wachsen. Insbesondere bei den Minderheiten, die nach blutigen Konflikten um ihre Sicherheit fürchten.
Die Assad-Diktatur begann mit Hafiz al-Assad, der 1970 nach mehreren Putschen die Macht in Syrien übernahm. Mit Vertrauten gründete er ein autoritäres Regime, in dem seine Anhänger die Baath-Partei dominierten, die offiziell für arabische Einheit steht, aber hauptsächlich der Machtsicherung dient.
Hafiz' Clan gehörte zur Minderheit der Alawiten, die zuvor politisch kaum Einfluss hatten. Dies änderte sich unter Assad, der Alawiten zentrale Positionen in Militär und Geheimdienst gab.
Nach dem tödlichen Unfall seines ältesten Sohnes Basil 1994 wurde Baschar, der Zweitälteste, zum Erben. Er übernahm 2000 die Macht und regierte 24 Jahre lang, bis sein Regime 14 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs stürzte.
Hafiz' Clan gehörte zur Minderheit der Alawiten, die zuvor politisch kaum Einfluss hatten. Dies änderte sich unter Assad, der Alawiten zentrale Positionen in Militär und Geheimdienst gab.
Nach dem tödlichen Unfall seines ältesten Sohnes Basil 1994 wurde Baschar, der Zweitälteste, zum Erben. Er übernahm 2000 die Macht und regierte 24 Jahre lang, bis sein Regime 14 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs stürzte.
Samir Kazma: Christ aus Damaskus
Samir Kazma lebt als Christ in Damaskus. Die christliche Gemeinschaft blickt, als Minderheit in Syrien, bedenklich auf die neuen Herrscher im Land.
Quelle: ZDF
"Um 2:30 Uhr morgens begannen wir, Schüsse zu hören - alle Arten von Waffen, große und kleine. Zuerst hatten wir Angst. Aber nach ein oder zwei Stunden bemerkten wir: Es ist eine feierliche Schießerei.
Am nächsten Morgen ging ich auf die Straße und schaute nach, ob mein Auto und mein Haus in Ordnung waren. Ob etwas durch die Schüsse passiert ist. Wir haben auf dem Umayyaden Platz gesehen, wie die Revolutionäre einmarschiert sind. Wir haben alles gesehen!
Alle Syrer sind jetzt glücklich und wir blicken optimistisch in die Zukunft, aber auch ein wenig ängstlich. Hoffentlich wird es gut für mich und für alle Syrer.
Die christliche Gemeinschaft hat jetzt ihre Bedenken, weil wir von den neuen Herrschern nichts gesehen haben. Wir warten. Sagen wir mal, Syrien ist jetzt schwanger. Wir brauchen mindestens neun Monate, um zu sehen, was kommt, mindestens. Man kann jetzt nicht vorhersagen, was in zehn oder 15 Tagen passieren wird."
Das Interview mit Samir Kazma wurde im Dezember 2024 geführt.
Quelle: dpa
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