Afghanische Geflüchtete: Von Deutschland im Stich gelassen
Afghanische Geflüchtete:Von Deutschland im Stich gelassen
von Julia Theres Held und Salim Sadat
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Pakistan geht gegen afghanische Geflüchtete vor - inzwischen auch gegen die mit Aufnahmezusage aus Deutschland.
Fahima Saleh und ihre Familie lernten bereits Deutsch.
Quelle: ZDF
Die Whatsapp-Nachricht erreicht sie schon nicht mehr. Kein zweiter Haken. Kein Empfang. Fahima Saleh und ihre Kinder sind wohl bereits in Afghanistan. Pakistanische Sicherheitsbeamte hatten die afghanische Familie am Mittag aus ihrer Unterkunft geholt und zum Grenzübergang Torkham gebracht - abgeschoben in das Land, in das sie nie wieder zurück wollten. "Die Polizei steht vor der Tür", hatte sie noch am Telefon gesagt.
Sie nehmen mich mit. Ich suche meine Papiere. Mehr kann ich nicht mitnehmen. Meine Kinder zittern vor Angst.
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Fahima Saleh
Mehrfach hatte das ZDF in den vergangenen Monaten Kontakt mit der 38-jährigen Afghanin und ihren vier Kindern. Vor über anderthalb Jahren waren sie nach Pakistan gekommen. Im Gepäck eine deutsche Aufnahmezusage und die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit.
Die afghanische Familie Saleh ist quasi in Pakistan gestrandet. Deutschland hatte zugesagt, sie aufzunehmen. Das Aufnahmeprogramm hat die aktuelle Regierung allerdings beendet. 20.06.2025 | 3:00 min
Jeden Tag hatte die Mutter mit den Kindern dafür Deutsch gelernt - Vokabeln, Grammatik, Aussprache. Sie wollten vorbereitet sein auf die neue Heimat. Schließlich waren sie sicher, dass sie sich auf das Versprechen aus Deutschland verlassen können. "Wir waren in Afghanistan nicht mehr sicher", hatte Saleh, die in Masar-i Sharif als Gynäkologin gearbeitet hatte, im Juli dem ZDF erzählt.
Mein Mann war Polizist. Als die Taliban die Macht übernommen haben, ist er nicht mehr von der Arbeit nach Hause gekommen. Ich weiß nicht, ob er noch lebt.
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Fahima Saleh
Auch deshalb hatte Saleh eine Zusage über das Bundesaufnahmeprogramm bekommen. Ein Programm, dass die Bundesregierung nach der Machtübernahme der Taliban aufgesetzt hatte, um besonders schutzbedürftigen Afghaninnen und Afghanen zu helfen.
Die Bundesregierung hatte am 17. Oktober 2022 ein großes Evakuierungsprogramm für Afghanistan verkündet: das Bundesaufnahmeprogramm. 17.10.2023 | 9:33 min
Doch als die neue Bundesregierung nach der Wahl alle Aufnahmeprogramme aussetzt, wächst nicht nur bei der Mutter die Sorge. Die 17-jährige Tochter Maryam bricht im Gespräch mit dem ZDF im Juli in Tränen aus. "Ich will auf gar keinen Fall zurück nach Afghanistan. Wir Mädchen dürfen dort nicht mal in die Schule. Alles was uns dort bleibt, ist verheiratet zu werden."
Regierung in Pakistan verschärft Vorgehen gegen Geflüchtete aus Afghanistan
Doch während die schwarz-rote Koalition offenbar weiter keine Einigung erzielt, wie mit den bereits erteilten Aufnahmezusagen umzugehen ist, verschärft die Regierung in Pakistan seit Monaten ihr Vorgehen gegen afghanische Geflüchtete.
Nach ZDFheute-Informationen werden seit Tagen Menschen festgenommen und nach Afghanistan abgeschoben. Darunter jetzt offenbar auch Menschen, denen die Bundesregierung ihren Schutz versprochen hatte.
Das Verwaltungsgericht in Berlin hat entschieden: Aufnahmeversprechen, welche die alte Bundesregierung besonders gefährdete Afghanen gegeben hat, müssen auch eingehalten werden.08.07.2025 | 1:40 min
"Es sind großangelegte Razzien", berichtet Eva Beyer von der Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke.
Sie fahren mit Pick-ups vor die Unterkünfte, in denen die Menschen untergebracht sind und sammeln alle ein, die sie finden - auch Familien werden auseinandergerissen.
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Eva Beyer, Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke
Zwei Mädchen im Alter von 17 und 18 Jahren seien ohne ihre Eltern festgesetzt worden, weil diese zum Zeitpunkt der Razzia nicht zuhause waren. Ein Mann, der im Krankenhaus war und erst heute entlassen wurde, habe bei seiner Rückkehr feststellen müssen, dass Frau und Kinder abgeholt wurden.
Mindestens 41 Personen mit deutscher Aufnahmezusage befänden sich bereits auf afghanischer Seite der Grenze, so Eva Beyer. Die deutsche Botschaft in Islamabad, der es in der Vergangenheit gelungen war, bei den Behörden zu intervenieren, konnte offenbar nichts mehr unternehmen.
Anwalt spricht von Skandal
Für den Asylrechtsanwalt Mathias Lehnert ein Skandal, zu dem es nicht hätte kommen müssen.
Die Bundesregierung hat diese Abschiebungen sehenden Auges in Kauf genommen.
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Mathias Lehnert, Asylrechtsanwalt
"Hätte sie sich an ihre Aufnahmezusagen gehalten, wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, wären diese Menschen jetzt in Sicherheit und müssten nicht in Afghanistan um ihr Leben fürchten",sagte er gegenüber dem ZDF.
Denn tatsächlich hatte Pakistan seine Abschiebepläne mehrfach angekündigt. Medienberichten zufolge plant die Regierung in Islamabad eine Ausweisung von bis zu drei Millionen Afghaninnen und Afghanen. Die Angst unter den Geflüchteten ist seit Monaten groß.
Eine Familie aus Afghanistan ist 2019 auf der Flucht nach Deutschland getrennt worden, zwei der vier Töchter gingen im Iran verloren. Seit Jahren kämpft die Familie darum, die Mädchen nachzuholen.29.07.2025 | 3:22 min
Bereits im Juli hatte das ZDF mit Blick auf die sich verschlechternde Sicherheitslage afghanischer Geflüchteter in Pakistan beim Auswärtigen Amt nachgefragt. Damals hieß es:
"Die Bundesregierung steht, auch über die Deutsche Botschaft in Islamabad, in engem und hochrangigem Kontakt mit der pakistanischen Regierung, um zu verhindern, dass Abschiebungen aufzunehmende Personen betreffen. Zu dieser Frage stimmt sich die Bundesregierung auch eng mit weiteren aufnehmenden Staaten ab. (…) Die Deutsche Botschaft Islamabad hat einen Notfallmechanismus etabliert, der eine schnelle Verfolgung von Einzelfällen garantiert."
Hilfe kam für Saleh und ihre Familie zu spät
Doch dieser Notfallmechanismus hat offenbar spätestens heute früh versagt. Hilfsorganisationen in Pakistan versuchen nun, besonders gefährdete Personen kurzfristig an sicheren Orten in der Stadt unterzubringen, um eine Abschiebung zu verhindern.
Für eine aktuelle Stellungnahme war das Auswärtige Amt heute nicht zu erreichen.
Für Fahimeh Saleh aber käme ohnehin jede Hilfe zu spät. Schon im Januar stellte die pakistanische Regierung klar: Abgeschobene Afghanen dürfen unter keinen Umständen zurückkehren. Für Fahima Saleh bedeutet das: Aus Afghanistan werden sie und ihre Kinder wohl nicht mehr entkommen.