Iran veranlasst zahllose Abschiebungen nach Afghanistan

Iran schiebt Afghanen ab:"Sie haben uns einfach rausgeschmissen"

von Anne Herzlieb
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Iran weist massenhaft Afghanen aus: An Grenzübergängen ist die Lage laut Betroffenen katastrophal. Vor allem für Frauen ist die Abschiebung ins Taliban-regierte Land gefährlich.

Afghanische Flüchtlinge aus dem Iran kommen am Grenzübergang Islam Qala zwischen Iran und Afghanistan an.
Am Grenzübergang "Islam Qala" müssen zahlreiche Afghaninnen und Afghanen ausharren, die aus Iran abgeschoben wurden.
Quelle: AFP

Sie kamen mitten in der Nacht, erzählt die 40-jährige Sahar: "Ich durfte noch nicht einmal Sachen packen. Ich habe alles zurückgelassen - mein Haus, die Einrichtung, alles. Sie haben uns einfach rausgeschmissen."
Mit ihren fünf Kindern wird sie aus dem iranischen Shiraz abgeschoben, nimmt nur ihre Handtasche mit. So erzählt es die Witwe gegenüber der investigativen Rechercheplattform "Zan Times" in Kabul, ein Zusammenschluss von Journalistinnen, die regelmäßig über Frauenrechte in Afghanistan berichten.
24.08.2023, Berlin: Ein Mann geht vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorbei.
Das Verwaltungsgericht in Berlin hat entschieden: Aufnahmeversprechen, welche die alte Bundesregierung besonders gefährdete Afghanen gegeben hat, müssen auch eingehalten werden.08.07.2025 | 1:40 min

Lage für aus Iran abgeschobene Afghanen dramatisch

Vor allem nach der Machtübernahme der Taliban vor vier Jahren flohen viele Afghanen ins benachbarte Iran, arbeiten dort zumeist im Niedriglohnsektor. Seit Monaten gibt es dort hitzige Debatten darüber, dass die Zahl zu hoch sei.
Nun also harte Abschiebepolitik - bis zu 30.000 Afghanen werden täglich abgeschoben und stranden so wie Sahar mit ihren fünf Kindern am Grenzübergang "Islam Qala" in Afghanistan. Esfandiyar Nikzad ist Lokaljournalist in Kabul, war vor ein paar Tagen dort und sagt gegenüber ZDFheute:

Es gibt nur eine Basisversorgung für die Flüchtlinge, und die Sonne brennt.

Esfandiyar Nikzad, Lokaljournalist in Kabul

Nikzad berichtet weiter: "Eine der Geflüchteten erzählte, dass ihr Baby stundenlang der sengenden Hitze ausgesetzt war und krank wurde, und leider weiß niemand, wohin all die Flüchtlinge hinverlegt werden sollen. Die Situation ist sehr besorgniserregend."
Die afghanische Journalistin Zahra Joya läuft eine Straße in London entlang.
Die afghanische Journalistin Zahra Joya lebt unfreiwillig in London. 2020 gründete sie eine Nachrichtenagentur, die über das Leben von Frauen und Mädchen in Afghanistan berichtet. 03.05.2025 | 1:21 min

Viele Geberländer reduzieren Entwicklungsarbeit in Afghanistan

Auf bis zu 45 Grad klettern die Temperaturen derzeit, berichtet Shafi Shirzad, Landesdirektor der NGO "Help - Hilfe zur Selbsthilfe". Die Lage sei "katastrophal" am Grenzübergang. Das Problem für viele Hilfsorganisationen: Viele Geberländer haben ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan eingestellt oder stark zurückgefahren.
Auch Deutschland setzte die Entwicklungsarbeit nach der Machtübernahme der Taliban 2021 vorübergehend aus, finanziert aber weiter NGOs und Projekte zur humanitären Versorgung. Ein Sprecher des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sagte gegenüber ZDFheute, man unterstütze die afghanische Bevölkerung seit der Machtübernahme der Taliban "ausschließlich regierungsfern" mit insgesamt 500 Millionen Euro. Das sei viel zu wenig, so Shirzad:

Wir appellieren an die staatlichen Geber, dringend die nötigen Mittel bereitzustellen und ihre Hilfe aufzustocken.

Shafi Shirzad, Landesdirektor "Help - Hilfe zur Selbsthilfe"

1,2 Millionen Afghanen aus Iran abgeschoben

Seit Jahresbeginn haben auf iranischen Druck hin mehr als 1,2 Millionen Afghanen den Iran in Richtung Afghanistan verlassen. Etwa die Hälfte davon ist laut UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zwangsweise abgeschoben worden.
Eine Frau in Burka läuft durch Ruinen in der Provinz Balkh, Afghanistan.
2021 musste die Bundeswehr ihren jahrelang andauernden Einsatz in Afghanistan überstürzt beenden. Der Bericht des Untersuchungs-Ausschusses zeigt, dass vieles falsch gelaufen ist. 18.02.2025 | 1:46 min
Im Krieg zwischen Israel und Iran hatten Sicherheitsbehörden Repressionen gegen Afghanen verschärft. "BBC Persian" berichtet von Afghanen, die der Spionage für Israel beschuldigt und festgenommen worden seien, und dass iranische Behörden dazu aufgerufen hätten, Afghanen ohne gültigen Aufenthaltstitel zu melden.

Für Frauen ist Abschiebung eine große Gefahr

Vor allem für alleinreisende Frauen wie Sahar ist die Abschiebung eine große Gefahr, denn sobald sie die Grenze nach Afghanistan übertreten, verstoßen sie gegen Taliban-Gesetz, das es Frauen untersagt, sich ohne männlichen Begleiter - einem "Mahram" - im Land fortzubewegen.
Frauen und Kinder in Afghanistan
Abschiebungen aus Iran nach Afghanistan: Insbesondere für Frauen sind sie eine große Gefahr.
Quelle: Zan Times

"Eine Frau ohne Mahram hat keine Rechte. Sie kann nichts ohne einen Mann machen - sich kaum außerhalb des Hauses bewegen, alleine einkaufen oder zum Arzt gehen, arbeiten", so Fereshta Abbasi, Afghanistan-Expertin von "Human Rights Watch" gegenüber ZDFheute.

Gerade alleinstehende Frauen werden in Afghanistan keine Zukunft haben.

Fereshta Abbasi, Afghanistan-Expertin von "Human Rights Watch"

Von den Taliban übernommene Flagge wird vor der afghanischen Botschaft in Moskau hochgehalten.
Als weltweit erstes Land hat Russland die Taliban-Regierung in Afghanistan offiziell anerkannt. Der afghanische Außenminister sprach von einem "mutigen Schritt". 04.07.2025 | 0:23 min

Haftbefehl gegen Anführer der Taliban

Wegen der Unterdrückung von Frauen in Afghanistan hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag gestern Haftbefehle gegen Anführer der radikalislamischen Taliban, Haibatullah Achundsada und Afghanistans obersten Richter Abdul Hakim Hakkani, erlassen.
Der Vorwurf: Verfolgung auf Grundlage des Geschlechts, was ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. "Das ist ein starkes Signal der Taliban-Regierung gegenüber", so Abbasi: "Ich kann nur hoffen, dass sie verhaftet, zur Rechenschaft gezogen werden und in Den Haag im Gefängnis landen."

Nach Aufnahmezusage
:Gericht: Afghanische Familie muss Visum erhalten

Die Regierung will das Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghanen stoppen. Ein Gericht urteilte zugunsten einer afghanischen Familie: Berlin muss sich an gemachte Zusagen halten.
Flüchtlinge kommen in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen an
Quelle: Mit Material von AFP und dpa.

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