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Gericht weist Klage ab:Proteste gegen Abschiebung jesidischer Familie
von Jan Meier
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Eine jesidische Familie aus Brandenburg wurde in Irak abgeschoben, obwohl ein Gericht ihre Ausreisepflicht aufgehoben hatte. Eine schnelle Rückkehr erscheint aber unwahrscheinlich.
Die Abschiebung einer Familie aus dem brandenburgischen Lychen beschäftigt die Politik.
Quelle: imago images
Am Dienstag vergangener Woche wurde eine jesidische Familie, die seit mehreren Jahren im brandenburgischen Lychen gelebt hatte, in den Irak abgeschoben. Während die Eltern mit ihren vier minderjährigen Kindern bereits von Sicherheitskräften zum Flughafen gebracht und in das Flugzeug gesetzt wurden, hob das Verwaltungsgericht Potsdam wegen eines Eilantrags die Ausreispflicht auf - doch die Entscheidung kam, als die Maschine schon in der Luft war.
An diesem Dienstag bestätigte nun das Verwaltungsgericht, dass die jesidische Familie keinen Anspruch auf Asyl hat. Es wies die Klage der Familie gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unbegründet ab.
Jesiden wurden im Irak vom IS verfolgt
Das Verwaltungsgericht sah nach eigenen Angaben weder eine beachtliche individuelle Bedrohung wie Verfolgung durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) noch hinreichende Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung von Jesiden als gegeben an.
Die Jesiden sind eine religiöse Minderheit. Der Bundestag hatte 2023 Verbrechen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Jahr 2014 an den Jesidinnen und Jesiden als Völkermord anerkannt.
Bereits 2023 hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Seitdem war die Familie ausreisepflichtig. Das Bundesamt sieht auf der Grundlage des jetzigen Urteils keine Möglichkeit für die Familie zur Rückkehr: "Das Gericht hat unseren ablehnenden Bescheid bestätigt", sagte ein Bamf-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur.
Das Brandenburger Innenministerium sieht zum aktuellen Zeitpunkt ebenfalls keine Möglichkeit, die Familie zurückzuholen, verweist aber darauf, dass das juristische Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Gegen die Entscheidung des Gerichts kann die Familie innerhalb von einem Monat Berufung einlegen.
Abgeschobene Familie lebt in Unsicherheit im Irak
Dass es kurz vor der Gerichtsentscheidung zur Abschiebung kam, überraschte die Familie - und sorgte für Proteste in Brandenburg. Die Brandenburger SPD-Politikerin Annemarie Wolff steht in direktem Kontakt mit der Familie. Ihren Informationen zufolge ist das Haus der Familie zerstört. Sie seien bei einem Verwandten untergekommen: "Auch das Haus des Onkels ist nicht komplett instand gesetzt, aber bewohnbar."
Man bleibe in den eigenen vier Wänden, weil alles andere für die Familie zu gefährlich sei. Es gebe kein fließendes Wasser, nur unregelmäßig Strom. Auch eine funktionierende Schule sei nicht in der Nähe.
Protest in Brandenburg gegen die Abschiebung
Auch in der brandenburgischen Kleinstadt regte sich nach der Abschiebung Protest. Mitschüler des zwölfjährigen Maatz haben einen Protestbrief an das Brandenburger Innenministerium geschrieben und eine Online-Petition gestartet. Ihre Mitschüler und dessen Familie hätten sich um ihre Integration bemüht. "Wir sind besorgt, dass ihnen irgendwas passiert", so Emil Rietpitsch, der Initiator der Petition.
Noch vor heutigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts sagte Brandenburgs Innenminister René Wilke (parteilos, für SPD), er wolle sich für eine Rückholung der Familie einsetzen, sollte der Gerichtsentscheid des Verwaltungsgerichts Potsdam, wonach die Abschiebung illegal gewesen sei, im Hauptsacheverfahren Bestand habe. Doch danach sieht es nach dem heutigen Urteil nicht aus.
Kritik am Vorgehen der Behörden
Das Vorgehen der brandenburgischen Behörden wird scharf kritisiert. So fragte Lychens Bürgermeisterin Karola Gundlach (parteilos) vor dem Hintergrund der Abschiebung und des laufenden Verfahrens:
War das wirklich notwendig, wer hat hier falsche Entscheidungen getroffen?
Karola Gundlach (parteilos), Bürgermeisterin von Lychen
Auch der frühere Brandenburger Landtagsvizepräsident Dieter Dombrowski (CDU), der mehrfach selbst im Nordirak war, sieht ein Versagen der Uckermärker Behörden.
Wenn bekannt ist, dass ein Verfahren am Gericht läuft, dann hat man zu warten.
Dieter Dombrowski (CDU), früherer Brandenburger Landtagsvizepräsident
Zwar gebe es keine akute Bedrohung durch den Islamischen Staat mehr, aber "die Helfershelfer der Verbrecher sind dort immer noch vor Ort."
Hätte die Abschiebung gestoppt werden können?
Aus Sicht der Linken besteht der Skandal auch darin, dass die Eilentscheidung des Gerichts bekannt wurde, während der Flug noch in der Luft war - "und es somit ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Familie direkt wieder mit zurück nach Deutschland zu nehmen. Man muss leider unterstellen, dass diese Möglichkeit offenbar bewusst ungenutzt blieb", so der Landesgeschäftsführer der Linken, Stefan Wollenberg.
Auch die Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen, Andrea Lübcke, sieht ein Behördenversagen. Es sei bekannt gewesen, dass das Verfahren noch laufe. Rückführungen von Personen, die der Volks- oder Religionsgemeinschaft der Jesiden angehören, müssten grundsätzlich besonders sorgfältig geprüft werden.
Hier ist offenbar gravierend etwas schiefgelaufen.
Andrea Lübcke, Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen
Flüchtlingsrat nennt Abschiebung "skandalös"
2023 schrieb die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage, für jesidische Religionszugehörige aus dem Irak sei es - ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren. Der Flüchtlingsrat Brandenburg hat die Abschiebung deshalb als "skandalös" kritisiert. Deutschland und Brandenburg folgten damit einer "von Rechts getriebenen Abschiebe-Agenda", meint Kirstin Neumann.
Der Landkreis Uckermark, der für die Unterbringung der Familie zuständig ist, lehnt bislang jede Stellungnahme ab.
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