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Kanzler verspricht "Verantwortung":So lief Merz' erste Regierungserklärung
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Es spricht der Bundeskanzler eines Landes, das er bedroht sieht: in seiner Sicherheit, seinem Wohlstand, seinem Zusammenhalt. Also: in seiner Freiheit.
"Verantwortung für Deutschland", so heißt der Koalitionsvertrag. Diese drei Worte sind auch der Rahmen für die erste Regierungserklärung von Friedrich Merz. Mit ihnen beginnt und endet seine fast 40 Seiten lange Rede an alle in Deutschland als neuer und zehnter Bundeskanzler der Bundesrepublik.
Merz tritt vor allem als Außen- und Verteidigungskanzler auf, als der Geopolitiker mit scharfem Blick auf "Feinde". Er spricht nicht diplomatisch soft von Gegnern oder systemischer Rivalen, wie es eigentlich üblich ist bei Regierungschefs. Die Bundeswehr will er zur konventionell stärksten Armee Europas machen.
Für Merz ist akut Russland der Feind
Merz sagt klipp und klar bereits im vierten Satz, er wolle vor allem regieren, "um unsere Freiheit entschlossen gegen ihre Feinde zu verteidigen". Das ist eine Ansage nach außen wie auch nach innen. Für Merz ist akut Russland der Feind.
In dieser Einschätzung unterscheidet er sich nicht von seinem Vorgänger. Merz dankt Olaf Scholz ausdrücklich für dessen Reaktion, als Russland 2022 die Ukraine angriff. "Wegweisend" habe Scholz reagiert und Deutschland durch die folgende "außergewöhnliche Krise geführt".
Damit zollt Merz abermals Respekt für Scholz´ damalige "Zeitenwende"-Rede und zugleich zeigt er damit Verständnis für manche Krise, die der Ampel-Koalition das Regieren erschwert hatte. Versöhnlich will Merz mit dem Regieren beginnen, er lobt den "kollegialen Wechsel", der selbst in Demokratien - gemeint sind die USA - heute nicht mehr selbstverständlich sei.
"Russland hat mit allen Regeln gebrochen"
Die Lage beschreibt der Kanzler als historisch dramatisch. Nach 80 Jahren Frieden "wird unsere Freiheit durch die Gegner und Feinde unserer liberalen Demokratie so sehr angegriffen wie selten zuvor". Auch wieder: Feinde!
"Russland hat mit allen Regeln gebrochen", sagt der Kanzler. Seit drei Jahren würden russische Truppen in der Ukraine "wüten, töten, morden". Der Ausgang dieses Krieges entscheide auch über unsere künftige Freiheit.
Merz zitiert Kohl
In diesem Zusammenhang zitiert Merz einen weiteren Vorgänger, Helmut Kohl. Der "Ehrenbürger Europas" habe an Freiheit und Frieden für Europa erinnert und daran, dass die Menschen dieses Kontinents vor allem "eine Werte- und Kulturgemeinschaft bilden".
Um die zu verteidigen, schlägt Merz einen strengen Ton an: "ohne Wenn und Aber", so spitzt er mehrmals zu, müsse die Ukraine "weiter kraftvoll" verteidigt werden. Deutschland sei keine Kriegspartei und wolle das auch nicht werden, aber eben auch nicht neutral, sondern "ohne Wenn und Aber an der Seite" der Angegriffenen.
Umgekehrt sieht Merz Deutschland faktisch längst im Fadenkreuz von Russlands hybrider Kriegsführung. Der Kreml versuche die Spaltung und Destabilisierung mit vielen Mitteln.
Keine Kritik an Trump
Die USA versucht Merz hingegen als Partner zu halten und spart mit Kritik an ihrer Regierung. Obwohl Merz seit jeher überzeugter Transatlantiker war, sieht er die Regierung Trump sehr skeptisch und fern jeder Verlässlichkeit.
Doch hier in seiner ersten auch international beobachteten Regierungserklärung rühmt er seinen neuen Draht zu Donald Trump. Damit will er den US-Präsidenten sozusagen buchstäblich einbinden in den Versuch der "Europäischen Vier", also Deutschland, Frankreich, Polen und Großbritannien, eine 30-tägige Waffenruhe zur Bedingung führe echte und faire Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu machen.
Bundeskanzler Friedrich Merz ist am Donnerstag, 15. Mai 2025 zu Gast bei "maybrit illner". Das Thema "Große Erwartungen, schwieriger Start – was können Sie schaffen, Herr Merz?" läuft ab 19 Uhr im Livestream auf ZDFheute und im ZDF-Streaming-Portal, und um 22:15 Uhr im ZDF.
Deutliche Worte zur deutschen Wirtschaftslage
Außen- und Verteidigungspolitik stehen für den neuen Kanzler ganz oben. Dann folgen jedoch ebenfalls deutliche Worte zur deutschen Wirtschaftslage:
Deutschland steckt in einer Rezession.
Bundeskanzler Friedrich Merz
Und wieder wird der Ton deutlich. Man werde deshalb "alles dransetzen", um wieder Wachstum zu bekommen.
Und Merz zitiert auch Merkel indirekt
Merz sorgt sich in seiner Rede auch um die innere Freiheit. Um die "offene Gesellschaft" zu sichern, brauche es die Sicherheitsbehörden. In diesen Part, und eben nicht im außenpolitischen, spricht Merz an, wie Deutschland zu Israel stehe:
Existenz und Sicherheit Israels sind unsere Staatsräson.
Friedrich Merz
Damit zitiert er fast wörtlich, ohne sie zu nennen, Angela Merkel. Als Rednerin vor der Knesset, dem Parlament Israels, sagte sie 2008, die historische Verantwortung Deutschlands sei "Teil der Staatsräson". Ihr Schlüsselsatz war: "Die Sicherheit Israels ist für mich als Bundeskanzlerin niemals verhandelbar."
Merz zitiert Merkel aber auch im Folgenden nicht, obwohl viele sie mitverantwortlich halten für zunehmenden Antisemitismus in Deutschland von Menschen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen. So sagt Merz: "Die in weiten Teilen ungesteuerte Migration hat unsere Gesellschaft in den letzten Jahren überfordert." Er wolle "mehr Kontrolle" an den Staatsgrenzen "im Einklang mit europäischem Recht".
Peace-Zeichen an seine sozialdemokratischen Koalitionspartner
Damit schließt sich der Bogen dieser Regierungserklärung, die ein Deutschland in Sicherheit und Freiheit wünscht, gestärkt das zu verteidigen nach außen wie nach innen.
Kanzler Merz, der sich als streitlustiger und aufbrausender Politiker einen Namen gemacht hat, will nun - erstmals in seinem Leben als Regierender - "Probleme lösen ohne öffentlichen Streit". Das ist ein weiteres Peace-Zeichen an seine sozialdemokratischen Koalitionspartner.
Beide sollen profitieren, hofft der Kanzler. Vor allem aber das Land. Schon im Sommer sollten die Menschen spüren: Hier verändert sich etwas zum Guten - "aus Verantwortung für Deutschland".
Wulf Schmiese ist stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin.
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