Interview
Diskussion über Zurückweisungen:Dobrindts Grenzpolitik lässt Fragen offen
von Jan Schneider und Charlotte Greipl
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Innenminister Dobrindt erklärt bei "illner" seine künftige Grenzpolitik - und beruft sich dabei auf das Asylgesetz. Das eigentlich bindende EU-Recht ignoriert er. Geht das?
"Wir sind wenigstens ein Stück weitergekommen." So verabschiedete Moderatorin Maybrit Illner ihre Gäste nach einer intensiven Diskussion über die künftige Asyl- und Grenzpolitik der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz. Was genau Bundesinnenminister Alexander Dobrindt plant, was schon beschlossen wurde und was eigentlich erlaubt ist, konnte in der Sendung jedoch nicht abschließend geklärt werden. Hier kommt ein Überblick über den Stand der Dinge:
Worum ging es in der Diskussion bei illner?
Der CSU-Politiker hatte am Mittwoch verschärfte Grenzkontrollen angekündigt, um die Zahl einreisender Migranten zu senken. Dazu sollen mehr Bundespolizisten an der Grenze stationiert und fortan auch Asylbewerber zurückgewiesen werden.
Grundsätzlich kommt dieser Schritt nicht überraschend: Merz hatte schon im Wahlkampf angekündigt, dass Geflüchtete an den Grenzen ab dem ersten Tag seiner Kanzlerschaft zurückgewiesen würden, weil Deutschland von sicheren EU-Staaten umgeben sei und Asylverfahren in anderen Staaten bearbeitet werden müssten.
"Unser Asylgesetz bietet die Grundlagen dafür", sagte CSU-Politiker Dobrindt nun bei "illner" - und wurde dafür von den anderen Gästen stark kritisiert.
Wie ist die Rechtslage?
Nach deutschem Recht sind Zurückweisungen bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat durchaus möglich. Nach Paragraf 18 Asylgesetz ist einem Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat einreist, sogar die Einreise zu verweigern.
Auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 hatte der damalige Innenminister Thomas de Maiziére (CDU) in Absprache mit der früheren Kanzlerin Angela Merkel die Bundespolizei angewiesen, Asylsuchende, die aus einem sicheren Mitgliedstaat einreisen, nicht abzuweisen. Die Weisung seines Vor-Vor-Vorgängers hat Dobrindt nun zurückgenommen. Per Brief wies er die Bundespolizei an, nun wieder Zurückweisungen vorzunehmen. Nur "erkennbar vulnerable Personen" wie Kranke, Schwangere oder Kinder sollen noch durchgelassen werden.
Dobrindt windet sich um das EU-Recht
Was Dobrindt dabei nicht beachtet hat: Die deutschen Regeln werden weitgehend von EU-Recht überlagert. Auf das Asylgesetz und darauf beruhende Weisungen kommt es nach Einschätzung der meisten Juristen nicht an. Maßgeblich sind vielmehr die sogenannten Dublin-Regeln. In der Dublin-III-Verordnung etwa wird geregelt, welcher EU-Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. In der Regel ist das der Staat, den der Geflüchtete zuerst betreten hat.
Eine einfache Abweisung an der Grenze ist demnach nicht zulässig. Vielmehr müssen Asylsuchende in einem geordneten Verfahren überstellt werden. In der Regel ist dann auch nicht das Nachbarland zuständig, sondern ein Mitgliedstaat an der EU-Außengrenze.
Doch auch das EU-Recht bietet eine Ausnahme, die sogenannte Notlage nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV). Der ist aber nur einschlägig, wenn es um "die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" geht, Deutschland sich also in einer nationalen Notlage befindet. Ob diese engen Voraussetzungen erfüllt sind, daran bestehen Zweifel - zumal die Zahl der Asylanträge im letzten Jahr rückläufig war.
Verwirrung um die "nationale Notlage"
Ob sich die Regierung auf diese "nationale Notlage" beruft, war in den letzten Tagen verwirrend unklar: Medienberichten zufolge hat die Bundesregierung eine solche Notlage am Donnerstag ausgerufen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann teilte eine Meldung dazu mit dem Hashtag "#Notlage". Kurz darauf wurden die Berichte vom Regierungssprecher dementiert - der Post von Hoffmann verschwand wieder.
Bei "illner" betonte Dobrindt nun, "dass der Paragraf 18 Asylgesetz der einschlägige ist, den wir nutzen". Man wolle dies "im Zusammenhang mit bilateralen Verträgen und auch in Verbindung mit Artikel 72" tun.
Tatsächlich müsste diese sogenannte "Notlage" aber auch gar nicht "ausgerufen" werden.
Der Migrationsrechtler Daniel Thym von der Universität Konstanz spricht in diesem Zusammenhang von einer Ausnahmeklausel und nicht von einer Notlage, die gar nicht in Artikel 72 stehe.
Die Aufregung, ob jetzt eine nationale Notlage ausgerufen wird oder nicht, die ist rechtlich eigentlich irrelevant, was nachher zählt, ist, dass man die Gerichte davon überzeugt.
Migrationsrechtler Professor Daniel Thym
Die Bundesregierung kann die Zurückweisungen also erstmal umsetzen. Relevant würde Artikel 72 AEUV dann vor Gericht, wenn Deutschland erklären müsste, warum es vom Europarecht abweicht. In der Vergangenheit hatte der EuGH die Berufung auf eine Notlage in Asylfragen schon mehrfach abgelehnt.
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