Verschärfte Grenzkontrollen: Welchen Effekt sie haben

FAQ

Symbolpolitik oder wirksam?:Welchen Effekt verschärfte Grenzkontrollen haben

von Jan Schneider und Oliver Klein
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Seit zwei Wochen kontrollert Deutschland mit viel Personal schärfer an den Außengrezen. Als Erfolgsmeldungen werden die Zahlen an Zurückweisungen geliefert. Lohnt sich der Aufwand?

Markus Lanz vom 20. Mai 2025: Thorsten Frei, Markus Lanz, Karina Mößbauer, Frank Sauer, Frederik Pleitgen
Bei "Markus Lanz" diskutierten die Gäste unter anderem die ersten Amtshandlungen von Kanzler Merz.20.05.2025 | 76:35 min
Kanzler Friedrich Merz hatte es im Wahlkampf versprochen: Die irreguläre Migration nach Deutschland sollte "am ersten Tag" seiner Kanzlerschaft spürbar begrenzt werden. Wenige Tage nach der Regierungsübernahme weitete der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Grenzkontrollen an allen deutschen Landgrenzen aus.
Unklar ist dabei, wie effektiv diese Maßnahmen tatsächlich sind: Die Journalistin Karina Mößbauer warf am Dienstagabend in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" die Frage auf, ob es sich wirklich lohne, "die Bundespolizei von 11.000 auf 14.000 aufzustocken, […] um am Ende de facto 32 Leute mehr zurückzuweisen". Kanzleramts-Chef Thorsten Frei (CDU) entgegnete, Grenzen zu schützen sei "Kernbestandteil von Staatlichkeit". Was bringen diese Maßnahmen also tatsächlich? Und was kosten sie die Allgemeinheit? ZDFheute mit einem Überblick.

Wie ist die erste Bilanz der Grenzkontrollen?

Unmittelbar nach dem Regierungswechsel hat Innenminister Dobrindt die Grenzkontrollen auf alle deutschen Außengrenzen ausgeweitet. Binnen der ersten sieben Tage wies die Bundespolizei 739 Menschen an der Grenze zurück. Darunter waren 51 Menschen, die um Asyl baten. 32 von ihnen seien zurückgewiesen worden, sagte Dobrindt. Die anderen seien als "vulnerable" Personen - dazu zählen etwa Kinder oder Schwangere - ins Land gelassen worden. In der zweiten Woche gabe es nun 1.676 Zurückweisungen, unter ihnen 123 Asylbegehren, von denen 87 zurückgewiesen wurden. Das geht aus Zahlen des Bundesinnenministeriums hervor, die mehreren Medien vorliegen.
Die Aussagekraft dieser Zahlen ist jedoch durchaus umstritten. Die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge ist in der Woche nach Verschärfung der Grenzkontrollen leicht gestiegen. Laut Daten des BAMF wurden in der betreffenden Woche 1.535 Asylgesuche registriert, in der Woche davor - ohne Grenzkontrollen - waren es 1.414.
Auch mit verstärkten Grenzkontrollen wird nur ein Bruchteil der Migrationsbewegungen erfasst", meint Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations-
und Migrationsforschung (DeZIM e.V.). Es würden zwar "Zahlen produziert", die Erhebung sei aber ebenso intransparentwie selektiv und daher nur von überschaubarer Aussagekraft.
Zwei Grenzpolizisten an bei einer Grenzkontrolle am Grenzuebergang Kiefersfelden / Inntal Ost am 15.05.2025.
Um illegale Einwanderung zu verhindern, sind neben einem Hubschrauber 3.000 zusätzliche Bundespolizisten im Einsatz an der bayerisch-tschechischen Grenze.20.05.2025 | 10:52 min

Wie entwickeln sich die Migrationszahlen?

Die irreguläre Migration nach Deutschland nimmt derzeit immer weiter ab. Zahlen der Bundespolizei zeigen: Während im gesamten Jahr 2023 noch fast 130.000 illegale Einreisen erfasst wurden, waren es 2024 nur noch gut 80.000 - ein Rückgang von über einem Drittel. Der Abwärtstrend setzte sich auch in diesem Jahr bislang fort. Hochgerechnet auf das gesamte Jahr 2025 würden die Zahlen damit auf den tiefsten Stand seit 2021 sinken.
Parallel dazu sank auch die Zahl der Asylanträge in Deutschland: Nach Daten des Bundesamts für Migration wurden 2023 noch über 350.000 Asylanträge in Deutschland gestellt, im vergangenen Jahr waren es rund 250.000. Bis Ende April 2025 waren es nur noch gut 50.000 - im gesamten Jahr wäre mit etwa 160.000 Asylanträgen zu rechnen, wenn es bei dem Niveau bliebe.
Asylanträge pro Jahr

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Ein ähnliches Bild zeigt sich auch EU-weit: 2024 seien knapp 240.000 illegale Grenzübertritte festgestellt worden, fast 150.000 weniger als im Jahr zuvor, wie aus Zahlen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex hervorgeht. Auch die Zahl der Asylanträge in der EU sank.

Frontex-Zahlen zu EU-Migration
:Warum irreguläre Einreisen 2024 zurückgingen

Im vergangenen Jahr sind weniger Menschen illegal in die EU eingereist. Doch auf manchen Fluchtrouten spitzt sich die Lage weiter zu. Was sind die Gründe dafür?
von Nils Metzger
Flüchtlingsboot vor den Kanarischen Inseln wird geschleppt
Analyse

Welche Ursachen hat der Rückgang?

Für den Rückgang irregulärer Einreisen und Asylgesuche gibt es mehrere Gründe: Von einer inzwischen stabileren Situation in Syrien bis zu härterem Schutz der Außengrenzen der EU. Die deutschen Grenzkontrollen spielen eine untergeordnete Rolle.
Einige Gründe für weniger irreguläre Einreisen:




Den stärksten Einfluss auf Migrationsbewegungen haben generell globale geopolitische Veränderungen, erklärt Migrationsforscherin Victoria Rietig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) gegenüber ZDFheute: Zum einen sind die Asylanträge aus Syrien seit Dezember 2024 stark gesunken. Im April wurden erstmals seit Jahren nicht mehr die meisten Asylanträge von Syrern gestellt.
Friedrich Merz gemeinsam mit Alexander Dobrindt beim Auftaktstatement zur Klausurtagung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Sauerland am 31.08.2023.
Verschärfte Grenzkontrollen und Zurückweisungen, auch von Asylsuchenden: Was Merz als europarechtskonform angekündigt hat, stößt bei einigen europäischen Nachbarn auf Kritik.11.05.2025 | 3:53 min
Aber auch politische Entscheidungen in anderen Ziel-Staaten haben direkten Einfluss auf Migrationsströme, ohne dass Deutschland das beeinflussen kann, so Rietig:

Die USA haben unter der Trump-Administration legale Zugangswege für Venezolaner massiv eingeschränkt. Das führt nun zu einer Umlenkung der Fluchtbewegungen nach Europa - bevorzugt nach Spanien und andere Teile Lateinamerikas, wegen der Sprache und kulturellen Nähe.

Victoria Rietig, Leiterin des Zentrums für Migration an der DGAP

Das hat unter anderem dazu geführt, dass im Frühjahr 2025 in Spanien und Frankreich mehr Asylanträge gestellt wurden als in Deutschland. Deutschland bleibe aber aufgrund von globalen Migrationsdynamiken weiterhin ein attraktives Land für Migranten.

Welchen Anteil am Rückgang haben dann deutsche Grenzkontrollen?

"Die Effekte der deutschen Binnengrenzkontrollen waren bisher überschaubar," meint Marcus Engler vom DeZIM e.V). Mehr Kontrollen führten zwar kurzfristig zu mehr Zurückweisungen, es sei aber allen Beteiligten klar, dass "man die deutschen Außengrenzen nicht dauerhaft kontrollieren kann".
Außerdem hätten auch Schlepper Anpassungsstrategien und fänden andere Wege, Menschen nach Deutschland zu bringen:

Wer die mit Gewalt verteidigte Grenze zwischen Polen und Belarus überwunden hat, wird sich auch von deutschen Grenzkontrollen nicht aufhalten lassen.

Marcus Engler, DeZIM e.V.

Engler will damit aber auf keinen Fall dafür werben, auch an der deutschen Grenze Gewalt einzusetzen. Ähnlich sieht das auch Victoria Rietig: "Was an der Grenze geschieht, ist immer nur das letzte Glied in der Kette. Die eigentlichen Migrationsbewegungen werden durch politische Entwicklungen in den Herkunfts- und Transitländern bestimmt - und durch die globalen Rahmenbedingungen."

Also alles nur Symbolpolitik?

Migrationsforscherin Rietig verweist auf die komplexe Gemengelage:

Symbolpolitik ist auch Politik. Die Bilder von Kontrollen und Zurückweisungen senden ein deutliches Signal - und das kann durchaus Wirkung entfalten.

Victoria Rietig, Leiterin des Zentrums für Migration an der DGAP

Dass Deutschland sich im internationalen Bild weniger offen präsentiere, könne Menschen dazu bewegen, andere Zielländer zu wählen. Ob sich Migranten durch die Kontrollen aber abschrecken lassen, sei schwer zu messen, so Engler.

Wie hoch sind die Kosten, die durch die Kontrollen entstehen?

Die ökonomischen Kosten der Kontrollen sind erheblich: Allein von September bis Dezember 2024 fielen laut Bundesinnenministerium 27,6 Millionen Euro an. Diese Summe umfasst unmittelbare Mehrausgaben für Personal, Sachkosten und Überstunden. Die Gewerkschaft der Polizei warnt, dass diese Belastung auf Dauer nicht tragbar sei - viele Beamte wurden von Bahnhöfen und Flughäfen abgezogen und durch Landespolizisten ersetzt.
Grenzkontrollen
Seitdem die neue Bundesregierung im Amt ist, hat sie die Grenzkontrollen verschärft. Doch die Gewerkschaft der Polizei warnt, dass man dies personell nicht durchhalten könne. 19.05.2025 | 2:03 min
Eine Studie von Allianz Trade beziffert mögliche wirtschaftliche Folgekosten auf bis zu 1,1 Milliarden Euro durch Störungen im Warenverkehr. Rietig rät jedoch zur Vorsicht: "Solche Schätzungen hängen stark von der Methodik ab. Nicht alle Grenzübergänge sind gleich stark betroffen - und es macht einen Unterschied, ob Montagmorgen oder Samstagnacht kontrolliert wird."
Fazit: Die politischen und finanziellen Kosten der Grenzkontrollen sind enorm - der Nutzen schwer messbar. Zwar sind die Zahlen irregulärer Einreisen zurückgegangen, das ist aber nur zum Teil auf die zusätzlichen Kontrollen zurückzuführen. Vieles spricht dafür, dass geopolitische Entwicklungen die größeren Treiber dieser Entwicklung sind. Was bleibt, ist ein deutliches politisches Signal: "Diese Politik wirkt vor allem rhetorisch", so Rietig. "Sie soll demonstrieren: Es hat sich etwas geändert."

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