70 Jahre Bundeswehr:"Das Problem war nie die Bevölkerung"

Interview

70 Jahre Bundeswehr:Militärhistoriker: "Das Problem war nie die Bevölkerung"

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Militärhistoriker Sönke Neitzel über 70 Jahre Bundeswehr - von der Skepsis der Anfangsjahre bis zur heutigen Zustimmung. Das Problem, sagt er, lag nie bei der Bevölkerung.

Junge Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr

Am 12. November feiert die Bundeswehr ihren 70. Geburtstag. In Berlin findet ein öffentliches Gelöbnis statt. Pünktlich dazu scheint auch in der Debatte um die Wehrpflicht eine Einigung in Sicht zu sein.

11.11.2025 | 4:04 min

ZDFheute: Noch bevor die Bundeswehr offiziell begründet wurde, gab es große Proteste. "Ohne mich" nannte sich die Bewegung gegen die Wiederbewaffnung. War die Bundeswehr unerwünscht?

Sönke Neitzel: Ich würde nicht sagen, dass die Bundeswehr nicht gewollt war, denn es war nie eine Mehrheit gegen die Wiederbewaffnung.

Aber es gab eine große Minderheit dagegen und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Es gab kirchliche Gruppen, die evangelische Kirche, es gab auch rechtsnationale Gruppen, die argumentierten, die Gründung der Bundeswehr führe zur Spaltung Deutschlands und verhindere eine Wiedervereinigung. Und die Gegner der Wiederbewaffnung waren so in sich gespalten, dass sie keine Firepower entwickeln konnten, um das parlamentarisch zu verhindern.

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Vom Misstrauen zur Akzeptanz

ZDFheute: In der Folge aber gewann die Bundeswehr an Akzeptanz?

Neitzel: Die Bundeswehr ist dann sehr schnell eine Armee der Republik geworden. Diese Skepsis, jetzt kommen diese ehemaligen Wehrmachtssoldaten und bauen die Bundeswehr auf, wird das vielleicht ein starker Staat und so, die ging durchaus zurück.

Und die Bundeswehr hat gezeigt, dass von ihr keine Gefahr für die Demokratie ausgeht.

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Den meisten Deutschen war klar, dass da auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs 20.000 Panzer stehen. Und auch wenn viele keine Lust hatten, jetzt mit einem Stahlhelm auf dem Kopf die Lübecker Heide zu rocken, war ihnen klar, wir als Bundesrepublik Deutschland sind ein souveräner Staat.

Wir brauchen eine Armee. Wir müssen uns verteidigen.

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Aber in der 68er-Bewegung und auch danach, in der Friedensbewegung, dann auch gegen den Nato-Doppelbeschluss, es bleibt immer eine große Skepsis zur Bundeswehr. Also es ist nicht so, dass die Bundeswehr generell geliebt ist. Im politisch linken und ganz linken Spektrum gibt es immer wieder eine Skepsis.

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Freundliches Desinteresse in den 1990ern

ZDFheute: Dann gab es die Phase der 1990er, die Bundespräsident Köhler mal als "freundliches Desinteresse" beschrieben hat. Wie kam es dazu?

Neitzel: Es war die Zeit der Auslandseinsätze. Der Soldat als Entwicklungshilfe, die Bundeswehr als ein bewaffnetes THW. Und die Bundeswehr wird immer kleiner, irgendwann hatte sie nur noch 0,2 Prozent der Bevölkerung. Es gibt zwar noch eine Wehrpflicht, aber da gehen ganz viele gar nicht mehr hin.

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Und die Bundeswehr wächst ein Stück weit aus der Gesellschaft raus, sie ist immer noch Teil der Gesellschaft, aber sie spielt in der sozialen Realität der meisten Bundesbürger eine immer geringere Rolle. Und so sagt man, naja, es ist ja schon gut, dass wir eine Bundeswehr haben, aber ich habe damit irgendwie nichts zu tun.

Sönke Neitzel, Inhaber des Lehrstuhls für Militärgeschichte an der Universität Potsdam; Dresden; 13.11.2022
Quelle: dpa

... ist Militärhistoriker und Inhaber des Lehrstuhls für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Uni Potsdam. Davor lehrte er unter anderem an der University of Glasgow und der London School of Economics. Sein Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem bei der Militär- und Gewaltgeschichte der Moderne.


Auslandseinsätze und fehlende Begründungen

ZDFheute: Als die Einsätze dann robuster wurden, stieg die Skepsis, Stichwort Afghanistan?

Neitzel: Aber nicht, weil man per se gegen Kampfeinsätze ist, sondern weil die Politik das nicht begründet.

Also wenn Politik ständig sagt, wir bauen Brunnen und auf einmal wird geschossen, dann ist man verunsichert und sagt, also so haben wir nicht gewettet.

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Das eigentliche Problem ist wirklich die Politik, die diesen Einsatz nicht begründen kann, die auch kein Narrativ entwickelt, die ganz schlecht im Bereich der strategischen Kommunikation ist.

Und wir haben eine Bevölkerung, das ist mir sehr sympathisch, die keinen Blankoscheck gibt. Die nicht sagt, wie die in den USA, ihr könnt damit machen, was ihr wollt, sondern wir wollen das verstehen. Wir wollen eine Begründung haben. Und diese Begründung wird nie wirklich geliefert. Politik kann eigentlich die Frage nicht erklären, wozu Streitkräfte?

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Mehr Wertschätzung nach der Zeitenwende

ZDFheute: Mit der Zeitenwende nach 2022 gab es dann mehr Aufmerksamkeit, auch mehr Dank, mehr Anerkennung?

Neitzel: Wir sehen in den Umfragen, dass die Bundeswehr im Allzeithoch der Zustimmung ist, wenn wir fragen, wie ist ihre Haltung zur Bundeswehr.

Wir sehen ja sogar, dass eine Mehrheit der Deutschen für die Einführung der Wehrpflicht ist, womit sich die Politik so schwer tut.

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Also da hat sich wirklich was verändert. Wir erleben jetzt, dass Bundeswehrsoldaten auch mit Uniform Bahn fahren können. Mir berichten Soldaten, dass sie seit 2022 angesprochen werden im Zug, "vielen Dank für Ihren Dienst!".

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ZDFheute: "Ungeliebt, vergessen, gebraucht?", kann man so das Verhältnis der Deutschen zur Bundeswehr über die sieben Jahrzehnte zusammenfassen?

Neitzel: Ich glaube, dass die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland die Bundeswehr sehr schnell akzeptiert hat. Und dass das eigentliche Problem nicht die Bevölkerung war, bis heute, in den Debatten um die Bundeswehr, sondern das eigentliche Problem ist die Politik und ist die Bundeswehr selber.

Die Bundeswehr war eigentlich 70 Jahre lang auf der Suche nach sich selbst, auf der Frage, wie positioniere ich mich zwischen gesellschaftlicher Debatte und politischer Debatte und militärischen Anforderungen. Und dabei würde ich der Bundeswehr, aber auch der Politik ein bisschen mehr Mut wünschen, dazu zu stehen, dass es ein militärischer Auftrag ist, das soll nicht die Polizei sein, das ist ein Militär.

Die Bundeswehr ist keine Armee, die mit Schaumgummibällen spielt, sie soll uns verteidigen, das steht im Grundgesetz.

Und wir müssen Streitkräfte Streitkräfte sein lassen und dazu muss die Bundeswehr stehen, dazu muss sie sich bekennen, aber vor allen Dingen auch die Politik. Das Problem ist nicht die Bevölkerung gewesen, das war sie nie in der Geschichte der Bundeswehr.

Die Bevölkerung war bereit, die Bundeswehr, wie sie war, zu akzeptieren, sondern es ist eher das Hadern von Politik oder das Hadern der Bundeswehr mit sich selbst.

Das Interview führte Ines Trams, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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