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Mehr Aufwand statt weniger:Warum NRW-Kommunen die Bezahlkarte ablehnen
von Markus Aust
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Eigentlich soll die Bezahlkarte Behörden bei der Auszahlung von Asylleistungen entlasten. Doch viele Kommunen in NRW fürchten Mehraufwand - und führen die Bezahlkarte nicht ein.
In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung eine "Opt-out" Regelung für die Bezahlkarte beschlossen. (Archivbild)
Quelle: dpa
Lange hat der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) nicht gebraucht, um in Fahrt zu kommen. Mit den derzeitigen Grenzkontrollen will die neue Bundesregierung Stärke zeigen und irreguläre Migration nach Deutschland eindämmen. Dazu beitragen soll auch die Bezahlkarte für Asylbewerber.
Doch beide Maßnahmen stehen in der Kritik. Die Bundespolizei warnt, ihr fehle für die Grenzkontrollen das Personal. Und viele Kommunen aus NRW lehnen die Bezahlkarte ab. Doch warum und was soll die Bezahlkarte bewirken?
"Pull-Faktoren" für Geflüchtete reduzieren
Seit rund einem Jahr wird die Bezahlkarte nach und nach eingeführt. Laut Koalitionsvertrag der Regierung Merz soll sie deutschlandweit zum Einsatz kommen. Ein erklärtes Ziel: Deutschland soll weniger attraktiv werden als Ziel irregulärer Migration.
Da Leistungsempfänger mit der Bezahlkarte in der Regel nur 50 Euro pro Monat bar abheben können, sollen Geldtransfers ins Ausland, zum Beispiel zur Finanzierung von Schlepperkriminalität, drastisch reduziert werden. In der Migrationsforschung spricht man von einem sogenannten "Pull-Faktor", der wegfallen soll.
Sozialverbände kritisieren die Bezahlkarte, lehnen sie aufgrund des geringen Bar-Betrages als diskriminierend ab. Und: Sie halten den "Pull-Faktor" für eine Nebelkerze.
Die Bundesregierung hat weder Belege dafür, noch Schätzungen darüber, dass Asylsuchende in nennenswertem Umfang Geld ins Ausland transferieren.
Birgit Naujoks, Flüchtlingsrat
Bezahlkarte für Asylbewerber ist Ländersache
Für die Einführung der Bezahlkarte sind die Länder zuständig. Naturgemäß führt das zu einem Flickenteppich. Zwar haben sich alle 16 Bundesländer darauf verständigt, die Bezahlkarte einzuführen: Gemeinsam, jedoch nicht einheitlich.
Mecklenburg-Vorpommern und Bayern arbeiten mit einem eigenen Dienstleister zusammen, in Bremen können Leistungsempfänger 120 statt 50 Euro monatlich in bar abheben.
"Opt Out": Ausnahmeregelung in Nordrhein-Westfalen
Und Nordrhein-Westfalen lässt den eigenen Kommunen die Wahl. Die schwarz-grüne Landesregierung hat einen sogenannten "Opt-Out" beschlossen: Wenn sich eine Kommune gegen die Bezahlkarte entscheidet, dann kommt sie dort auch nicht.
Seit Wochen beraten Lokalräte über das Für und Wider der Bezahlkarte. Bisherige Bilanz: Von den 396 Städten und Gemeinden in NRW haben rund 70 die Bezahlkarte abgelehnt. In etlichen weiteren Kommunen steht die Entscheidung noch aus.
Asylleistungen: Verwaltungen sehen keine Entlastung
Einfacher, schneller, unbürokratischer - so soll die Auszahlung der Asylleistungen in den Sozialämtern dank der Bezahlkarte abgewickelt werden. Aber daran gibt es erhebliche Zweifel.
Es fällt nicht nur keine Arbeit weg - es kommt sogar noch welche dazu. So, wie die Bezahlkarte jetzt ausgestaltet ist, bedeutet sie für uns deutlich mehr Aufwand als weniger.
Karen Alexius-Eifert, Stadt Bottrop, Beigeordnete für Bildung und Soziales
Denn jeder Leistungsempfänger kann einen Antrag stellen, wenn er in einem bestimmten Monat mehr Bargeld benötigt - zum Beispiel für Klassenfahrten des Kindes oder bei einer Erkrankung in der Familie. Jeden Antrag muss das Amt danach einzeln prüfen. "Dafür gibt es keinen Standardbescheid. Der Aufwand ist in jedem einzelnen Fall riesig. Und er lässt bei Widerspruch immer auch den Rechtsweg offen."
In Bottrop erhalten die Leistungsempfänger ihr Geld bislang auf Girokonten. Das funktioniere einwandfrei und bedeute für die Verwaltung wenig Aufwand. Und dabei bleibt es auch: Auf Anraten seiner Verwaltung hat der Stadtrat gegen die Bezahlkarte votiert.
Die Bezahlkarte funktioniert wie eine Guthabenkarte. Sie ermöglicht elektronische Bezahlung in Geschäften und bei zahlreichen Online-Dienstleistern. Im Gegensatz zu einer üblichen Girokarte soll sie Überweisungen ins Ausland technisch ausschließen. Die Bezahlkarte erhalten Menschen, die einen noch nicht entschiedenen Antrag auf Asyl gestellt haben bzw. geduldet sind. Ende 2022 traf das auf insgesamt 486.000 Menschen in Deutschland zu. Monatlich stehen in der Regel 50 Euro Bargeld zur Verfügung. Die Bezahlkarte wurde am 6. November 2023 von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen.
Markus Aust berichtet aus dem ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.
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