Abschiebung: Durchsuchung nur mit Richterbeschluss

Durchsuchung nur mit Richterbeschluss:Verfassungsgericht setzt Polizei bei Abschiebungen Grenzen

von Leon Fried

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Um einen Mann abzuschieben, drangen Polizisten in Berlin in sein Zimmer ein - ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Darüber urteilte nun das Bundesverfassungsgericht.

Außenaufnahme vom Bundesverfassungsgericht.

Die Polizei darf bei Abschiebungen nicht ohne richterliche Anordnung Zimmer durchsuchen. Damit gab das Bundesverfassungsgericht der Beschwerde eines Mannes statt.

20.11.2025 | 0:44 min

Der Polizeieinsatz, der der Ausgangspunkt der Entscheidung ist, liegt sechs Jahre zurück. Trotzdem lässt er sich genauestens rekonstruieren. Denn in ihrem recht knappen Beschluss schildern die Verfassungsrichter detailliert das damalige Vorgehen.

Die Beschreibungen lesen sich wie das Protokoll einer standardmäßigen Abschiebung. So wie sie regelmäßig und vielerorts vorkommen. Genau deshalb ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auch über den in Rede stehenden Fall hinaus von Interesse.

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Abschiebung: Polizei durchsuchte ohne Richteranordnung

Der Mann aus Guinea, über dessen Klage das Gericht entschieden hat, sollte an einem Dienstag im September 2019 nach Italien abgeschoben werden. Gegen acht Uhr stehen mehrere Polizeibeamte in einem Berliner Übergangswohnheim vor dem Zimmer, das der Mann bewohnte. Weil trotz mehrmaligen Klopfens niemand öffnet, brechen die Beamten die Tür mit einer Ramme auf. Dahinter treffen sie auf den Ausreisepflichtigen.

Einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss hatte die Polizei allerdings nicht eingeholt. Und genau darin liegt aus Sicht des Verfassungsgerichts das Problem. Zwar sieht das Aufenthaltsgesetz vor, dass Behörden die Unterkunft Geflüchteter betreten dürfen, um diese abzuschieben. Doch gleichzeitig ist die Wohnung nach dem höherrangigen Grundgesetz ein besonders geschützter Bereich.

Abschiebung

Die Zahl der Abschiebungen ist in diesem Jahr deutlich gestiegen. Von Januar bis September wurden rund 17.600 Menschen abgeschoben, etwa 2.900 mehr als im Vorjahreszeitraum.

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Grundgesetz stellt Wohnung unter besonderen Schutz

Artikel 13 bestimmt, dass der Staat das zu Hause seiner Einwohner nur dann durchsuchen darf, wenn ein Richter das vorher angeordnet hat. Das wissen auch die Polizeibehörden. Sie argumentierten in diesem und vergleichbaren Fällen deshalb wie folgt: Die Wohnung werde nicht durchsucht, sie werde lediglich betreten, um den Ausreisepflichtigen zu ergreifen.

Die Unterscheidung zwischen Durchsuchen und Betreten ist juristisch von großer Bedeutung. Denn nur Ersteres bedarf einer richterlichen Anordnung. Letzteres ist auch ohne möglich, etwa um dringende Gefahren vorzubeugen - also zum Beispiel zu verhindern, dass sich der Ausreisepflichtige seiner Abschiebung entzieht.

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Bundesverfassungsgericht schiebt Abschiebepraxis Riegel vor

Der Argumentation, beim Ergreifen Abzuschiebender werde deren Wohnung regelmäßig gar nicht durchsucht, sondern nur betreten, haben die Karlsruher Verfassungsrichter mit der heutigen Entscheidung in deutlichen Worten die Grundlage entzogen. In ihrem Beschluss schreiben sie:

Eine Durchsuchung liegt grundsätzlich vor, wenn der Betroffene zum Zwecke der Abschiebung in seinem Zimmer einer Gemeinschaftsunterkunft aufgesucht wird.

Bundesverfassungsgericht

Etwas anderes gelte nur dann, wenn vor Beginn der Maßnahme sichere Kenntnis über den Aufenthaltsort der zu ergreifenden Person besteht, die Polizei also ganz genau weiß, dass sich der Ausreisepflichtige in dem konkreten Raum aufhält.

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Trotz laufender Klage wurde eine jesidische Familie mit vier Kindern aus Brandenburg in den Irak abgeschoben. Als das Gericht ihnen später Recht gab, war die Abschiebung längst vollzogen. Susana Santina hat die Familie im Distrikt Shingal getroffen.

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Richteranordnung regelmäßig erforderlich

Vor Abschiebemaßnahmen, bei denen Wohnungen betreten werden sollen, muss die Polizei künftig also in aller Regel einen Richter einschalten. Aus Sicht von Thomas Wischmeyer, Professor für Verfassungsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, stellt das kein unüberwindbares Hindernis für rechtmäßige Abschiebungen dar. Gerichte würden in der Praxis relativ schnell über derartige Anträge befinden.

Entscheidend ist aus Wischmeyers Sicht, dass bei Abschiebungen aus Wohnungen künftig ein Vier-Augen-Prinzip gelte. Bevor sie eine solche Maßnahme vollzieht, müsse die Behörde einem Richter erklären, warum es notwendig sei, in grundrechtlich besonders geschützte Räumlichkeiten einzudringen.

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Verschärfung der Ampel-Koalition in Frage gestellt

Damit stellt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die seit 2019 bestehende Praxis von Abschiebungen ohne Richterbeschluss in Frage. Auch die von der Ampel-Koalition im Jahr 2024 mit dem sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz eingeführten Verschärfungen dürften mit den vom Gericht aufgestellten Grundsätzen nicht vereinbar sein.

Damals waren die Befugnisse der Polizei dahingehend erweitert worden, dass bei Abschiebungen aus Gemeinschaftsunterkünften sogar in Zimmern anderer Bewohner nach den Ausreisepflichtigen gesucht werden darf. "Der Anwendungsbereich dieser Normen ist auf extreme Sonderfälle reduziert worden", erklärt Rechtsexperte Wischmeyer. Heißt: Um verfassungskonforme Abschiebungen sicherzustellen, müssen jetzt neue Regeln oder zumindest eine neue Polizeipraxis her.

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