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Interview
Wahlen in Venezuela:Expertin: "Die Gewinner werden wahrscheinlich verfolgt"
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Seit der Fälschung der Präsidentschaftswahl durch Maduro ist die Opposition geschwächt und zerstritten. Entsprechend angespannt ist die Lage bei den Regional- und Parlamentswahlen.
ZDFheute: An diesem Sonntag sind Parlaments- und Regionalwahlen in Venezuela. Wie "frei" sind diese Wahlen? Gibt es eine realistische Möglichkeit für die Vertreter der Opposition, einen Sieg einzufahren, der von den Machthabern zugelassen wird?
Colette Capriles: Seit der Nichtanerkennung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen (im Juli 2024 - Anm. d. Red.) durch die Regierung, gab es einen vollständigen Bruch mit den bisherigen Spielregeln. Obwohl alle Wahlen seit 2015 unter zunehmend restriktiven und ungerechten Bedingungen stattfanden, wurde ein grundlegender Respekt vor der Volkssouveränität beibehalten. Es gab einen gewissen Wettbewerbsspielraum und ein technisch respektables Wahlsystem, das die Stimmen korrekt zählte.
Quelle: Privat
... ist eine venezolanische Politikwissenschaftlerin und Professorin für politische Philosophie und Sozialwissenschaften an der Universidad Simón Bolívar in Caracas.
Gerade weil das System funktionierte, konnte die Opposition die Wahlprotokolle sammeln, die die Maschinen ohne Eingriff in den Prozess druckten (und einen Sieg der Opposition belegten - Anm. d. Red.). Heute sind die politischen und technischen Bedingungen des Prozesses viel schlechter. Viele Kandidaturen wurden verhindert, und die Wähler haben kaum Möglichkeiten, sich zu informieren.
Die gesamte Strategie der Regierung besteht darin, eine möglichst geringe Wahlbeteiligung zu erreichen. So steigen ihre Chancen, Posten zu gewinnen, weil sie ihre Parteimaschine mobilisieren kann.
Je nach Beteiligung ist es möglich, dass die Opposition eine bescheidene Anzahl von Abgeordneten gewinnt und ein paar der vier Gouverneursämter, die sie heute kontrolliert, behält.
Was aber die Anerkennung der Ergebnisse betrifft, ist es unmöglich, das vorherzusagen. Es hängt alles davon ab, wer was gewinnt. Die Gewinner, die als fähige Führer oder Politiker wahrgenommen werden, werden wahrscheinlich verfolgt oder nicht anerkannt.
ZDFheute: Teile der Opposition haben zum Boykott der Wahlen aufgerufen. Was spricht für einen Boykott, was dagegen?
Capriles: Ich sehe keine Argumente für einen Boykott. Das größte Interesse daran, dass die Menschen nicht wählen, hat die Regierung. Daher ist gerade das Wählen eine Möglichkeit, sich ihr zu widersetzen. Darüber hinaus hinterlässt die notwendige Organisation zur Teilnahme an der Wahl immer einen positiven Effekt mit neuen potenziellen Führern und der Stärkung der Bewegungen oder politischen Gruppen, die teilnehmen.
Ein letztes Argument wäre, dass die Bevölkerung nicht in einem politischen Vakuum zurückgelassen werden darf, ohne jemanden, der ihre Forderungen vertritt. Obwohl viele Venezolaner das Gefühl haben, dass sie nichts mehr mit der Politik zu tun haben wollen, verschlechtert sich das tägliche Leben und die politischen Führer, die einen politischen Wandel wollen, müssen sich dafür verantwortlich fühlen, die Möglichkeit des politischen Wandels auf demokratische und friedliche Weise voranzutreiben.
ZDFheute: Es scheint der Maduro-Regierung gelungen zu sein, die Manipulation der letzten Präsidentschaftswahl auszusitzen. Wie stabil ist sie?
Capriles: Es gibt keine ernsthafte externe oder interne Bedrohung für die Regierung. Zum einen aufgrund der kontinuierlichen Repression und ihrer autoritären Entwicklung, zum anderen aufgrund der Spaltung der Opposition.
Aber die Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung verschlechtern sich, und natürlich sehnen sich die Venezolaner immer mehr nach einem politischen Wandel.
ZDFheute: Wie ist die Lage in Venezuela im Moment für die Bevölkerung?
Capriles: Die Inflation beschleunigt sich, die Aussichten auf eine Verbesserung der Wirtschaft schwinden. Die Spielregeln sind zerstört und die Verletzung der Menschenrechte, politisch und sozial, nimmt zu. Aktivisten im humanitären Bereich sorgen sich, dass sich die Situation verschärft. Sie schätzen, dass etwa neun Millionen Menschen irgendeine Art von humanitärer Hilfe benötigen.
Heute gibt es etwa 900 politische Gefangene in Venezuela. Es besteht ein Risiko für politische und zivilgesellschaftliche Führer. Es gibt Einschränkungen des öffentlichen Raums, und selbst die Kandidaten in der aktuellen Wahlkampagne laufen Gefahr, willkürlich festgenommen zu werden.
ZDFheute: Welche Rolle spielen die USA?
Capriles: Die politische Tragödie Venezuelas besteht darin, dass sowohl die Regierung als auch Teile der Opposition die USA in das politische Schicksal des Landes einbezogen haben.
Die Politik des maximalen Drucks mit Öl- und Sekundärsanktionen, die in der ersten Trump-Regierung umgesetzt wurde, führte nur zu einem stärkeren Zusammenhalt innerhalb der Maduro-Regierung und zu einer großen Tragödie für die Bevölkerung. Die Biden-Administration versuchte und erzielte tatsächlich politische Fortschritte, indem sie versuchte, die Politik des "maximalen Drucks" aufzugeben.
Für Maduro ist jetzt entscheidend, eine Beziehung zur aktuellen US-Regierung aufzubauen, die auf gegenseitigen Interessen und nicht auf politischen Positionen basiert.
Dies ist angesichts der pragmatischen Neigung von Trump, der, wie gesagt wurde, "nicht im Geschäft des Regimewechsels" sei, durchaus möglich.
Die Trump-Politik gegenüber Venezuela scheint jedoch noch wenig definiert zu sein, da der eigene Außenminister Marco Rubio eine gegenteilige Ansicht hat und glaubt, dass das wirtschaftliche Aushungern Venezuelas letztendlich zu einem Regimewechsel führen wird. Dies ist meiner Meinung nach ein schwerer Fehler, den die Verwundbarsten bezahlen werden, insbesondere jetzt, wo nicht einmal die Emigration eine Option ist.
Die Maduro-Regierung ist darauf vorbereitet, jeden Druck dieser Art zu überstehen, indem sie diesen Druck auf die eigene Bevölkerung abwälzt.
Das Gespräch führte Christoph Röckerath, ZDF-Südamerikakorrespondent.
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