Sturz von Assad: Wie steht es ein Jahr später um Syrien?

Syriens Machtübergang:Die zerbrechliche Hoffnung

von Golineh Atai, Kairo

|

Wie zusammenleben, nach alten und neuen Wunden? Ein Land sucht sich selbst. Wie sicher ist Syrien - ein Jahr nach Assads Sturz?

Zwei kleine Jungen vor Trümmern von Häusern in Syrien, daneben großes gelbes a

Ein Jahr nach Assads Sturz: ZDF-Korrespondentin Golineh Atai reist durchs Land, trifft Menschen, die auf einen Neuanfang hoffen. Sie fragt: Wann wird Frieden möglich sein?

04.12.2025 | 32:00 min

Das Zimmer ist holzvertäfelt in prächtigem Damaszener Mosaik. Ein weißer Helm schmückt das leere Wandregal, ein eingerahmtes Logo der Weißhelme liegt noch auf dem Boden. Ausgerechnet im zentralen Kommandogebäude der über Jahrzehnte regierenden Baath-Partei, wo Diktator Bashar Al-Assad seinen Sicherheitsrat tagen ließ, hat Raed Al-Saleh sein Ministerium eingerichtet.

Der Verwalter der humanitären Katastrophe

Der ehemalige Chef der Weißhelme - jene Zivilschützer, die im Krieg Menschen aus Trümmern bargen und dafür von Assad und Russland als Terroristen gebrandmarkt wurden - ist Syriens neuer Katastrophenschutzminister.

Den Glauben, irgendwann in Damaskus zu sein, trugen wir immer mit uns. Aber dass ich als Minister in diesem Gebäude sitzen würde - nein, dafür hatte meine Vorstellungskraft nicht gereicht.

Raed Al-Saleh, Katastrophenschutzminister Syrien

Drusen in Syrien

Ein Jahr nach dem Sturz von Assad ringt Syrien um Stabilität. Minderheiten stehen vor großen Herausforderungen, in Suweyda erklären die Drusen ihre Unabhängigkeit.

02.12.2025 | 2:54 min

Sein Portfolio umfasst nun die ganze humanitäre Katastrophe Syriens: Die unentdeckten Massengräber, die beschädigte Wasserinfrastruktur, die einstürzenden Häusergerippe in den zerstörten Arealen und das von Minen und nicht explodierten Sprengsätzen übersäte Land. Syrien ist eines der am schlimmsten Minen-verseuchten Länder weltweit. Ohne Kampfmittelräumung kann es keinen Straßenbau, keine Landwirtschaft, keine Investitionen geben. Ständig passieren Unfälle, die wenigen von der Türkei geschenkten Fahrzeuge für seine Minenräumer kann er schon gar nicht mehr benutzen.

Mühsamer Wiederaufbau

Gerade haben seine Mitarbeiter ein von der deutschen Firma Sea Terra entwickeltes Gerät inspiziert, das den Wiederaufbau erleichtern könnte: Eine Drohne, die aus der Luft den Boden auskundschaftet und die Koordinaten der zu räumenden Sprengsätze erkennt. Syrien bräuchte Dutzende solcher Drohnen - und Fachpersonal, das für sie ausgebildet wird.

"Ich danke der deutschen Regierung, die damals die Grenzen öffnete. Sie gab den Syrern Sicherheit, gute Bildungsmöglichkeiten und investierte in sie. Und sie haben Deutschland viel zurückgegeben", sagt Raed Al-Saleh.

Der Tag wird kommen, an dem alle Geflüchteten zurückkehren können, in Freiheit und Würde, weil es dann viele Arbeitsplätze für sie geben wird und sie so am Wiederaufbau mitwirken können.

Raed Al-Saleh, Katastrophenschutzminister Syrien

Ein Minenfeld wird geräumt. Die Mine wird durch Techniker zum Explodieren gebracht.

Ob am Straßenrand, auf Feldern oder Schulhöfen - überall lauern noch Landminen. Für viele Rückkehrer in Syrien sind sie eine tödliche Gefahr. ZDF-Reporterin Susana Santina hat eine Hilfsorganisation begleitet, die aufklärt und Minenopfer unterstützt.

22.09.2025 | 3:32 min

"Aber im Moment kann Syrien nicht sechs Millionen Flüchtlinge auf einen Schlag absorbieren. Die Zerstörung ist zu groß", erklärt der Minister. Al-Saleh verweist lächelnd auf seine zwei syrischen Amtskollegen aus Deutschland im Kabinett.

Zu früh für Optimismus

Ist Syrien - ein Jahr nach dem Sturz Assads - sicher? Noch nicht. Ist Syrien stabil? Es ist zu früh, das beantworten zu können. Ein neuer Krieg könnte sich an zwei Frontlinien entzünden. Die Regierung in Damaskus kontrolliert weder die Hochburg der Drusen - eine aus dem Islam hervorgegangene Glaubensgemeinschaft, die im Juli brutale Massaker erlebte, sich dann von Syrien unabhängig erklärte und nun ausgerechnet auf Israel als Verbündeten setzt.

Noch kommen die Verhandlungen zwischen Damaskus und der Kurdenmiliz im Nordosten voran, die ein Drittel des Landes kontrolliert, darunter mehrheitlich arabische Gebiete. Die 70.000-Mann-Truppe sollte möglichst als Einheit in der nationalen Armee integriert werden, und die Region sollte weiter so autonom wie möglich bleiben - so die Wunschvorstellung der Miliz. Wenn die Verhandlungen aus dem Ruder laufen, könnte die Türkei ihre Angriffe auf den Nordosten Syriens wiederaufnehmen.

Ein Kiosk vor zerstörten Häusern in Damaskus

Wer nach Syrien zurückkehrt, findet oft nur noch Trümmer seines einstigen Besitzes vor. Noch schwerer wiegt der Verlust von ermordeten und verschollenen Familienangehörigen.

26.11.2025 | 6:42 min

Der IS will Syrien destabilisieren

Damit nicht genug - die Terrormiliz des Islamischen Staates verübt jeden Monat Dutzende Angriffe, um das Land zu destabilisieren, zwei Male soll sie auch auf den neuen Präsidenten Ahmad Al-Scharaa gezielt haben. Und: Israel ist in den Süden Syriens vorgedrungen, nach Auseinandersetzungen mit israelischen Streitkräften besteht unter den Einwohnern die akute Angst, dass es dort zu Verhältnissen kommt wie im Westjordanland. Bislang scheiterten die Gespräche zu einem Sicherheitsabkommen, auch wenn US-Präsident Trump beide Seiten weiter dazu ermuntert.

Wirtschaft und Wiederaufbau gegen die Wunden?

Rachemorde und Lynchjustiz - vor allem gegen alte Assad-Militärs - erschüttern einige Regionen. Desinformation - oft aus dem Ausland gesteuert - überschwemmt die sozialen Medien, und erreicht oft ihr Ziel, die Volks- und Religionsgruppen gegeneinander aufzuhetzen. Die sunnitische Mehrheit im Land fühlt sich oft als alleiniges Opfer der Assad-Diktatur und nimmt die Minderheiten als Komplizen des alten Regimes wahr, obwohl auch diese unter Assad litten. Der alte Machthaber - der der Minderheit der Alawiten angehörte - hatte es meisterlich verstanden, zwischen den Gruppen Zwietracht zu säen und sich als Beschützer der Minderheiten darzustellen.

Syrien: "Sicherheitslage zerbrechlich"

Der Empfang des syrischen Interimspräsidenten al-Scharaa bei Trump sei "historisch". Doch die Sicherheitslage im Land bleibe "fragil", berichtet ZDF-Korrespondentin Golineh Atai aus Damaskus.

10.11.2025 | 3:17 min

Nun setzt sich eine Art sunnitischer Populismus durch, ein Alleinvertretungsanspruch an den Staat. Einige in dieser Mehrheit wollen alte Rechnungen begleichen. Auch das trug zu den Massakern dieses Jahres bei.

"Syriens Geschichte geht weiter. Das neue Kapitel wird Frieden, Wohlstand, Entwicklung heißen", kündigte Präsident Al-Scharaa vor den Vereinten Nationen an. Sein Allheilmittel für Syriens Wunden: Wirtschaft und Wiederaufbau. Aber die Frage bleibt, ob er im zweiten Jahr des neuen Syriens ein Abgleiten in einen neuen Krieg verhindern kann.

Debatte um Rückführungen
:Was Syrer zu den Abschiebe-Plänen der Regierung sagen

Außenminister Wadephul hat bezweifelt, dass syrische Geflüchtete bald in ihre Heimat zurückkehren. Teile der CDU sehen das anders. Wie blicken Syrer in Deutschland auf die Debatte?
von Peter Theisen
mit Video2:00
Ruinen von Häusern mit vereinzelten Gerüsten daran vor blauem Himmel.
Über dieses Thema berichtete das auslandsjournal in der Doku "Ein Jahr nach dem Sturz Assads" am 04.12.2025 um 1 Uhr.
Thema

Mehr zu Syrien

  1. Der deutsche Außenminister Johann Wadephul nimmt an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der britischen Außenministerin Yvette Cooper im Auswärtigen Amt in Berlin teil.

    Trotz Kritik aus eigener Partei:Wadephul hält an Einschätzung der Lage in Syrien fest

    mit Video0:26

  2. US Trump Syria

    Historischer Besuch im Weißen Haus:Trump stärkt syrischem Übergangspräsidenten den Rücken

    mit Video0:18

  3. Auf dem Bild ist eine Ruine in Syrien zu sehen. Zwei Kinder laufen daran vorbei.
    Interview

    Migrationsrechtler Daniel Thym :Warum massenhafte Abschiebungen nach Syrien illusionär sind

    mit Video5:36

  4. Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Archivbild

    Machthaber in Syrien gestürzt:Assad - vom Hoffnungsträger zum Despoten

    mit Video1:57