Präsidentschaftswahl in Polen: Kandidaten und Umfragen
FAQ
Pro-Europäer vs. Ex-Hooligan:Präsidenten-Stichwahl: Wohin steuert Polen?
von Lukasz Galkowski, Warschau
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Am Sonntag wählt Polen einen neuen Präsidenten - mit zwei Kandidaten, die völlig unterschiedliche Visionen für das Land haben. Die Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus.
In Polen wählen die Menschen in einer Stichwahl ihren neuen Präsidenten. Der liberale Pro-Europäer Trzaskowski tritt dabei gegen den Rechtsnationalisten Nawrocki an.01.06.2025 | 0:22 min
Wird Polen auf dem pro-europäischen Pfad bleiben oder sich wieder ein Stück Richtung nationalem Konservatismus bewegen? Darüber entscheiden die Wähler am Sonntag in der Stichwahl zwischen dem liberalen Kandidaten Rafał Trzaskowski und dem von der PiS-Partei unterstützten Karol Nawrocki. "Es ist ein Kampf zwischen zwei Weltanschauungen", sagt die polnische Politologin Agnieszka Łada-Konefał gegenüber ZDFheute. Der Soziologe Andrzej Rychard geht noch ein Stück weiter:
Polen steht vor einer Wahl, die keine politische Entscheidung ist, sondern eine zivilisatorische und das Staatssystem betreffend.
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Andrzej Rychard, Soziologe, Polnische Akademie der Wissenschaften
Rafal Trzaskowski (links) gegen Karol Nawrocki: Die Präsidentschaftswahl in Polen gilt als richtungsweisend.28.05.2025 | 5:59 min
Warum ist die Wahl so wichtig?
Polens Präsident hat deutlich mehr Einfluss in der polnischen Politik als etwa der Bundespräsident in der deutschen. Sein Betätigungsfeld geht über rein repräsentative Aufgaben hinaus. Das wichtigste Machtinstrument in seinen Händen ist das Vetorecht, mit dem er jedes Gesetzesvorhaben der Regierung blockieren kann.
Politischer Streit droht vor allem dann, wenn Präsident und Premier aus zwei unterschiedlichen politischen Lagern kommen, wie in der aktuellen Konstellation mit dem nationalkonservativen Präsidenten Andrzej Duda und dem liberal-konservativen Regierungschef Donald Tusk. Gewinnt jetzt Nawrocki, dann geht diese Kohabitation in die Verlängerung und bedeutet "Chaos, weil keine Reform in Kraft treten kann oder fast keine", erklärt Łada-Konefał. Beim Trzaskowski-Sieg würde die Tusk-Regierung wiederum mehr Chancen auf Kooperation bekommen - beide gehören derselben Partei an.
"Die Hälfte der Polen möchte, dass der liberalkonservative Regierungschef seinen Kurs durchziehen kann", die andere Hälfte wolle ein Gegengewicht, so ZDF-Korrespondentin Natalie Steger zur Stichwahl aus Warschau.30.05.2025 | 3:57 min
Wer sind die beiden Kandidaten?
Rafał Trzaskowski ist Vize-Vorsitzender der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) und seit 2018 Oberbürgermeister von Polens Hauptstadt Warschau. Er war zuvor unter anderem EU-Abgeordneter, Digitalminister und Staatsekretär im Außenministerium. Der heute 53-Jährige trat bereits 2020 als Präsidentschaftskandidat an und scheiterte in der Stichwahl knapp gegen den PiS-nahen Andrzej Duda. Er spricht sich aus für:
eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts
Trennung von Staat und Kirche
gute Zusammenarbeit mit europäischen Partnern auf EU-Ebene
weitere Unterstützung für die Ukraine, schließt eine künftige Nato-Mitgliedschaft Kiews nicht aus
Der liberale Trzaskowski und der nationalkonservative Nawrocki liefern sich vor der Präsidenten-Stichwahl ein Duell. Es geht um Polens Zukunft – und Europas politischen Kurs.25.05.2025 | 2:35 min
Karol Nawrocki tritt offiziell als unabhängiger Kandidat an, wird aber von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt. Er ist politisch ein unbeschriebenes Blatt: Der 42-Jährige ist promovierter Historiker, seit 2021 Leiter einer wichtigen wissenschaftlichen Behörde, vorher Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Er:
will die Beibehaltung des im Jahr 2020 verschärften Abtreibungsrechts
lehnt eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ab, ist auch bezüglich eines EU-Beitritts skeptisch
spricht sich gegen weitere Integration der EU aus, etwa in Bezug auf die Pläne einer europäischen Armee und setzt stattdessen auf gute Beziehungen zu den USA
Polen rüstet auf, setzt auf Verteidigung und Abschreckung. Nicht nur das Militär bereitet sich vor, auch die Zivilgesellschaft trainiert für den Ernstfall.16.05.2025 | 21:08 min
Für Professor Andrzej Rychard sei der Unterschied zwischen den beiden Kandidaten "ganz einfach":
Entweder wird sich Polen den westlichen Strukturen der Europäischen Union annähern, einschließlich einer guten Zusammenarbeit mit unserem nächsten und wichtigen Nachbarn Deutschland, oder Polen wird sich vom Kern Europas entfernen und in eine Grauzone geraten.
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Andrzej Rychard, Soziologe, Polnische Akademie der Wissenschaften
In dieser Grauzone versuche Russland, seinen Einfluss auszubauen. "Es ist also eine grundlegende Entscheidung, vor der Polen steht", sagt Rychard.
In einigen Punkten gibt es durchaus Überschneidungen zwischen Trzaskowski und Nawrocki, etwa bei den Forderungen nach einer strengen Migrationspolitik. Aber:
Es gibt einen Unterschied im Ton, in der Rhetorik, die rechte Seite schürt Angst mit dem Thema. Die andere Seite will eher zeigen: Wir gehen das Thema konstruktiv an, man muss nach Lösungen innerhalb der EU suchen.
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Agnieszka Łada-Konefał, Deutsches Polen-Institut
Polens Haltung, bei der Umverteilung von Flüchtlingen in der EU nicht mitzumachen, hat keine laute Kritik hervorgerufen, so Natalie Steger, ZDF-Korrespondentin in Warschau.08.02.2025 | 2:33 min
Im Wahlkampf lenkte Nawrocki allerdings mehr Aufmerksamkeit durch seine zwielichtige Vita als durch politische Inhalte auf sich: seine Vergangenheit als Kampfsportler und Türsteher mit Teilnahmen an Hooligan-Schlägereien, Bekanntschaften mit verurteilten Straftätern, Vorwürfe der Zuhälterei, der Skandal um eine Wohnung, die er unter unklaren Umständen von einem älteren Herrn bekommen hat.
Was sagen die Umfragen?
Es läuft auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinaus. Trzaskowski gewann zwar die erste Wahlrunde vor zwei Wochen mit 31,4 Prozent der Stimmen vor Nawrocki, der auf 29,5 Prozent kam. Dort schnitten allerdings unter dem Strich rechte Kandidaten, deren Wähler jetzt eher Nawrocki ihre Stimme geben dürften, besser ab als Kandidaten der Linken und der pro-europäischen Mitte, die größtenteils Unterstützung für Trzaskowski bekundeten. Bedeutend wird vor allem die Verteilung der 14,81 Prozent der Stimmen für den drittplatzierten Sławomir Mentzen.
Mentzen repräsentiert eine Partei, die einerseits rechtskonservativ ist, aber andererseits wirtschaftlich sehr liberal. Das heißt, das passt zu keinem der beiden Kandidaten so direkt.
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Agnieszka Łada-Konefał, Deutsches Polen-Institut
Sie sagt: "Rafał Trzaskowski wird die Wählerschaft übernehmen, die eher liberal wirtschaftlich denkt. Karol Nawrocki diejenigen, die recht konservativ im Wertesystem sind."
Rychard sieht in den letzten Tag einen "sehr leichten Aufwärtstrend für Rafał Trzaskowski, der aber so gering ist, dass er innerhalb des statistischen Fehlers bleibt", sagt er im Gespräch mit ZDFheute. "Es ist wirklich nah an der 50:50-Prozent-Aufteilung". Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass rechte Kandidaten in Umfragen oftmals unterschätzt werden.