Präsidentschaftswahl in Polen: Die Stichwahl ist völlig offen

Analyse

Präsidentschaftswahl:Stichwahl in Polen völlig offen: Woran das liegt

von Lukasz Galkowski
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Der Liberale Trzaskowski gewinnt die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Polen. Doch in der Stichwahl gegen den Nationalkonservativen Nawrocki könnte es eng für ihn werden.

Der Bürgermeister von Warschau und Kandidat der Bürgerlichen Koalition (KO) für die polnischen Präsidentschaftswahlen, Rafal Trzaskowski, kandidiert vor Anwohnern in Tarnobrzeg, Polen, am 18.05.2025
Bei der Präsidentenwahl in Polen hat die erste Runde keinen klaren Sieger hervorgebracht – deshalb wird eine Stichwahl notwendig. Rafal Trzaskowski lag knapp vor Karol Nawrocki.19.05.2025 | 1:43 min
Nach der Verkündung der ersten Ergebnisse bei der Präsidentschaftswahl in Polen wirkte der proeuropäische, liberale Kandidat Rafal Trzaskowski trotz seiner Pole Position leicht angeschlagen. "Wir holen uns den Sieg", sagte er ohne größere Euphorie zu seinen Unterstützern - wohl wissend, dass die etwa 31 Prozent zwar eine solide, aber keine überragende Ausgangsstellung für die Stichwahl am 1. Juni sind.
Nahezu euphorisch war hingegen die Stimmung im Lager des Zweitplatzierten: Karol Nawrocki, von der nationalkonservativen PiS-Partei unterstützt, strahlte am Sonntagabend über beide Ohren. "Wir werden gewinnen", rief er unter Applaus der Menge. Seine 29,5 Prozent der Stimmen sind einige Prozentpunkte mehr als sich der 42-jährige Historiker noch wenige Wochen zuvor hatte erhoffen können.
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Experte: Kampf um jede Stimme

Der Grund für diese unterschiedlichen Gemütslagen ist die Verteilung der Stimmen der ausgeschiedenen Kandidaten. Hier liegt das rechte Lager, dessen Wähler eher Nawrocki unterstützen dürften, vorne: Die rechtsradikalen Slawomir Mentzen und Grzegorz Braun kommen zusammen auf etwas mehr als 20 Prozent der Stimmen, während die linken Kandidatinnen und Kandidaten sowie der Christdemokrat Szymon Holownia, der bereits seine Unterstützung für Trzaskowski bekundete, sich im Bereich von insgesamt 15 Prozent bewegen.
Der Politologe Antoni Dudek schreibt auf Facebook:

Ich empfehle all jenen Zurückhaltung, die den Ausgang der zweiten Runde bereits als ausgemachte Sache betrachten. Wir stehen vor einem zweiwöchigen erbitterten Kampf um buchstäblich jede Stimme.

Antoni Dudek, polnischer Politikwissenschaftler und Historiker

Es ist zwar nicht gesagt, dass sich die Stimmen eins zu eins auf Trzaskowski beziehungsweise auf Nawrocki verteilen werden, die Ergebnisse zeigen aber, dass das Wählerpotenzial für den PiS-Kandidaten etwas höher ist und er den Rückstand aus der ersten Runde wettmachen könnte.
Nawrocki warb direkt um die Stimmen der Mentzen-Wähler, bei denen er vor allem mit der Ankündigung einer strengen Migrationspolitik, einer Dosis EU-Skepsis und der Ablehnung von Positionen der LGBT-Community punkten dürfte. "Noch am Wahlabend macht Nawrocki Stimmung mit: keine neuen EU-Verträge, also weiterhin Brüssel als Gegner", berichtet Natalie Steger, ZDF-Studioleiterin in Warschau.
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Trzaskowski muss Links-Wähler überzeugen

Mentzen selbst legte sich noch nicht fest und die Erfahrungen aus der Wahl 2020 zeigen, dass nicht unbedingt alle Wähler der extremen Rechten den PiS-Kandidaten unterstützen: Damals verteilten sich die Stimmen des in der ersten Runde ausgeschiedenen Kandidaten Krzysztof Bosak in etwa 50:50 auf Trzaskowski und den späteren Sieger Andrzej Duda.
Der Unterschied zu damals aber: Bosak hatte mit seinen 6,8 Prozent der Stimmen deutlich weniger zu verteilen als Mentzen jetzt. Und die PiS war an der Macht. Jetzt gilt es für das rechte Lager, über die Präsidentenwahl die Regierung des verhassten Donald Tusk zu schwächen.
Trzaskowski wird hingegen um die Stimmen der Links-Wähler und vor allem der Frauen werben. Der 53-Jährige befürwortet eine Liberalisierung des strengen Abtreibungsrechts und machte sich als Warschauer Oberbürgermeister für die Belange der LGBT-Community stark, fordert die Trennung von Staat und Kirche. "Das kann riskant sein und die Wähler der ausgeschiedenen rechtsextremen Kandidaten mobilisieren, gegen ihn zu stimmen", gibt Steger zu bedenken.

Zwei Kandidaten gehen in die Stichwahl und zwei völlig unterschiedliche Visionen von Polen. Es wird sich zeigen, welches Polen die Polen wollen.

Natalie Steger, ZDF-Studioleiterin in Warschau

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Nawrocki-Sieg hätte Konsequenzen für Verhältnis zur EU

Doch auch dann, wenn Trzaskowski die Links-Wähler mobilisieren kann - reichen könnte es für ihn am Ende trotzdem nicht. Und dann? Ein Sieg für Nawrocki würde bedeuten, dass die liberal-konservative, proeuropäische Regierung von Donald Tusk bei ihren Reformen weiterhin ausgebremst würde. Spätestens im Herbst 2027 steht die nächste Parlamentswahl an. Auch wenn es bis dahin noch mehr als zwei Jahre sind: Der Ausgang der Präsidentschaftswahl und die Umfragen zeigen, dass eine Koalition aus Nationalkonservativen und der Rechtsradikalen eine realistische Option ist.
Mit einem Präsidenten Nawrocki hätte das rechte Lager wie unter der PiS-Regierung in den Jahren 2015 bis 2023 freie Fahrt. Die Zusammenarbeit mit der EU und mit Deutschland würde auf eine neue Probe gestellt. Der proeuropäische Trzaskowski wiederum wäre im Präsidentenpalast ein Gegengewicht zu den Bestrebungen der Rechten. Das ist der Grund, warum die Präsidentenwahl als Schicksals- oder Richtungswahl bezeichnet wird. Auch für Europa.
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