Lage in der Ukraine: Experte sieht Kiew immer mehr in Defensive

Interview

Lage im Ukraine-Krieg:Experte: Kiew immer mehr in der Defensive

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Militärisch und außenpolitisch gerate die Ukraine immer mehr in die Defensive, analysiert Militärexperte Werner. Ein großes Problem habe Kiew mit der Mobilisierung.

Julian Werner vor München bei Nacht.

Es war einer der größten ukrainischen Drohnenangriffe. Die Moskauer Flughäfen wurden lahmgelegt und ein weiterer Öltanker zerstört. Militärexperte Julian Werner mit der Analyse.

11.12.2025 | 11:28 min

US-Präsident Donald Trump ist frustriert wegen der bisher erfolglosen Bemühungen um ein Ende des Ukraine-Kriegs. Währenddessen gerät Kiew militärisch und außenpolitisch immer mehr in die Defensive, wie Militärexperte Julian Werner bei ZDFheute live analysiert. Und das obwohl die Ukraine gerade mit Drohnenangriffen den Flugverkehr in Moskau lahmgelegt hat.

Sehen Sie das gesamte Interview mit Julian Werner oben in voller Länge oder lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Werner ...

... zur Bedeutung der Drohnenangriffe auf Russland

"Die Ukraine führt jetzt seit geraumer Zeit immer wieder Angriffe mit Langstrecken-Drohnen auf die russische Wirtschaft durch, insbesondere auf die russische Öl-Industrie. Damit hat sie auch tatsächlich betrachtliche Erfolge einfahren können", so Militärexperte Werner. "Und wenn es im Zuge solcher Angriffe jetzt zu einem Stillstand des Moskauer Flugverkehrs kommt, dann ist es da weniger ein Wirkungstreffer, aber zumindest ein Prestigerfolg", erklärt er.

"Und gerade mit Blick auf Washington sind diese Signale auch gar nicht so unwichtig, dass man immer wieder zeigt, die Ukraine wehrt sich, sie verteidigt sich weiterhin und sie kann die russischen Widersacher auch treffen."

Flugzeuge am Flughafen Moskau bei Dämmerung

Nach russischen Angaben haben ukrainische Drohnenangriffe in Moskau den Flugverkehr zeitweise lahmgelegt. Demnach mussten vier Moskauer Flughäfen vorrübergehend geschlossen werden.

11.12.2025 | 0:44 min

... zur außenpolitischen Position der Ukraine

Dennoch werde Kiew nach Korruptionsskandalen und "Vertrauensverlust in die innenpolitische Führung" als geschwächt betrachtet, so der Experte von der Universität der Bundeswehr. "Solange die Selenskyj-Regierung dieses Momentum nicht umdrehen kann, wird es sehr schwer, die Trump-Regierung dazu zu bewegen, auch Druck auf die russische Regierung zu machen", analysiert Werner. Er glaube, dass es grundlegender Reformen bedarf. "Einerseits innenpolitisch durch das Wiederherstellen [von Vertrauen] in die Regierung, aber auch in die militärische Führung", so der Militärexperte.

Hier muss vielleicht auch tatsächlich durch Entlassungen in der oberen militärischen Führung dafür gesorgt werden, dass die Soldaten sich nicht mehr verheizt fühlen, dass sie auch adäquat ausgebildet werden und somit zumindest aktuell den Status quo jetzt an der Frontlinie halten können.

Julian Werner, Militärexperte

Alica Jung vor Kiew bei Nacht

Um eine mögliche Friedenslösung zu erzielen, ist die Ukraine nicht in der Lage Russland entgegenzukommen. Die Ukraine stehe, wo sie stehe, sagt ZDF-Reporterin Alica Jung in Kiew.

11.12.2025 | 13:18 min

... zur Lage bei Pokrowsk

Der Kampf um Prokowsk werde mittlerweile weniger aus militärischen Zwecken, sondern eher aus symbolischen Gründen geführt, erklärt Werner. Für Russland sei es gerade jetzt wichtig, schnellstmöglich die vollständige Einnahme der Stadt zu melden. Damit solle in Washington der Eindruck verfestigt werden, die Ukraine "wäre nur am Verlieren", so der Militärexperte.

Aus genau denselben Gründen verbeißen sich die Ukrainer auch so hartnäckig in der Verteidigung dieser Stadt: Weil sie diesem Narrativ entgegenwirken wollen, weil sie Moskau dieser Erfolgsmeldung verweigern wollen.

Julian Werner, Militärexperte

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Die US-Regierung rund um Donald Trump arbeitet an einem neuen Friedensplan. Wer genau dabei die Oberhand hat, bleibt unklar, so ZDF-Korrespondentin Claudia Bates.

11.12.2025 | 6:27 min

... zum Problem der Mobilisierung in der Ukraine

Gerade durch den Korruptionsskandal in den letzten Monaten habe jetzt auch das Vertrauen in der ukrainischen Bevölkerung so rapide abgenommen, dass die Desertationszahlen in die Höhe schnellen würden, erklärt Militärexperte Werner. Die Streitkräfte würden sich von ihrer eigenen Führung immer mehr verheizt fühlen. Sie würden nicht mehr wissen, "für welche Vision eines militärischen Erfolgs sie noch kämpfen", erklärt Werner.

Und das führt dazu, dass die Desertationsraten in die Höhe schnellen, was die ukrainischen Mobilisierungsprobleme noch viel schwieriger macht.

Julian Werner, Militärexperte

Das russische Mobilisierungspotenzial sei weniger das Problem als die eigenen Fehler der Ukraine. Dieses Problem sei auch schon lange bekannt und falle Kiew jetzt auf die Füße.

Und es führt eben dazu, dass die ukrainische Front extrem löchrig ist und dass die Russen gar nicht mehr besonders mobilisieren müssen, um die derzeitige löchrige Front ausnutzen zu können.

Julian Werner, Militärexperte

Das Interview führte Ralph Szepanski. Zusammengefasst hat es Tim-Julian Schneider.

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Über dieses Thema berichtete ZDFheute live am 11.12.2025 ab 19:30 Uhr.
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