50 Jahre KSZE: Was Helsinki für die heutigen Konflikte bedeutet
KSZE-Schlussakte:Wie Ost und West einst aufeinander zugingen
von Heike Kruse
|
Freiheit, Frieden und die Achtung der Menschenrechte: Darauf einigten sich vor 50 Jahren Ost und West in einer Absichtserklärung. Das Verhältnis auch damals: mehr als angespannt.
50 Jahre KSZE-Schlussakte: In Helsinki treffen sich Außenminister, um Bilanz zu ziehen – im Fokus: Entspannungspolitik, Menschenrechte und Sicherheit in Europa.31.07.2025 | 2:09 min
Seit Russlands Krieg gegen die Ukraine setzt Europa alle Zeichen auf Verteidigung - Staaten erhöhen massiv ihre Militärhaushalte, Schweden und Finnland sind der Nato beigetreten. Das aktuelle Motto: Frieden durch Aufrüstung. Vor 50 Jahren - im Kalten Krieg - versuchte man einen anderen Weg: Vertrauensbildung.
Grundlagen für Zusammenleben in Europa
Am 1. August 1975 - nach zwei Jahren Verhandlung - unterzeichneten in Helsinki die Regierungschefs fast aller europäischen Staaten sowie der USA und Kanada ein Dokument, das Grundlage sein sollte für ein friedliches Zusammenleben in Europa und ein Zeichen der Entspannung im damaligen Wettrüsten war: die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE).
Denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spaltete sich die Welt in zwei Lager: den westlichen Block unter der Führung der USA und den östlichen Block unter der Führung der Sowjetunion.
Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war eine Reihe von blockübergreifenden Konferenzen zur Zeit des Ost-West-Konflikts im Kalten Krieg. Ziel waren Entspannung, Sicherheit und Zusammenarbeit zwischen Ost und West zu fördern. Die erste Konferenz fand vor allem auf Initiative der Teilnehmerstaaten des östlichen Blocks, dem Warschauer Pakt, ab dem 3. Juli 1973 in Helsinki statt. Die KSZE-Schlussakte wurde schließlich am 1. August 1975 unterzeichnet von sieben Mitgliedern des Warschauer Paktes, 13 blockfreien staaten und 15 Nato-Mitgliedern.
(Quelle u.a. Bundeszentrale für Politische Bildung)
Heute passieren täglich Tausende Touristen die Glienicker Brücke. Vor 40 Jahren wurde sie mit 27 Spionen zum Schauplatz des größten Agentenaustauschs des Kalten Kriegs.10.06.2025 | 10:12 min
Prinzipien der Schlussakte von Helsinki
Allerdings ist die KSZE-Schlussakte von Helsinki kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern eine Absichtserklärung der 35 Unterzeichnerstaaten. Diese bekennen sich zu den folgenden Prinzipien:
zur Unverletzlichkeit der Grenzen,
zur friedlichen Regelung von Streitfällen,
zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sowie
Außerdem wurde die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt vereinbart.
1970er Jahre: Extreme Spaltung zwischen Ost und West
Tyyne Karjalainen, Politikwissenschaftlerin am Finnischen Institut für internationale Angelegenheiten, unterstreicht die politische Relevanz im Konflikt zwischen Ost und West in Europa in den 1970er Jahren:
1975 hat Europa mit der Schlussakte einen schwierigen diplomatischen Prozess abgeschlossen.
„
Tyyne Karjalainen, FIIA, Finnisches Institut für internationale Angelegenheiten
Die Logik des Kalten Krieges, die Logik des Konflikts sei zu einer Logik der Zusammenarbeit geworden, habe die gemeinsamen Spielregeln für Ost und West verändert, so Karjalainen.
Die Heimatliebe im Baltikum ist groß. Doch der Gedanke an eine Wiederholung der russischen Besatzung ist beängstigend, denn ihre Unabhängigkeit möchten sie nicht noch einmal verlieren. 10.08.2023 | 32:52 min
Missachtung der Menschenrechte trotz Unterzeichnung
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik nahmen damals gleichberechtigt an der KSZE teil. Für das SED-Regime war die Unterzeichnung der Schlussakte ein wichtiger Schritt zur internationalen Anerkennung. Die Menschenrechte wurden vor allem in den östlichen Staaten allerdings weiter missachtet.
Aber auch der Westen setzte sich teilweise über die Prinzipien der Schlussakte hinweg. Ein Beispiel sind die völkerrechtlich umstrittenen Luftangriffe der Nato 1999 auf Gebiete im ehemaligen Jugoslawien.
Der Ukraine-Krieg zeigt die Spannungen im westlichen Militärbündnis. Die USA verschieben die Aufmerksamkeit in den Indo-Pazifik und fordern von Europa mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit.19.06.2025 | 44:32 min
Aus der KSZE wurde die OSZE
Aus der KSZE wurde wenige Jahre vorher, 1995, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien. Sie tagt nach wie vor regelmäßig und ihr gehören inzwischen 57 Staaten an, auch alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
Doch weder die KSZE noch die OSZE konnten verhindern, dass die am 1. August 1975 vereinbarten Prinzipien bis heute mehrfach gebrochen wurden und etwa wieder Krieg in Europa herrscht.
Russland bricht alle zehn Helsinki-Prinzipien mit seinem Überfall auf die Ukraine.
„
Tyyne Karjalainen, FIIA, Finnisches Institut für internationale Angelegenheiten
Die OSZE habe im Ukraine-Krieg eine besondere Aufgabe, erklärt Karjalainen, denn es sei das einzige Forum, "in dem wir überhaupt noch einen Dialog mit Russland haben."
In Malta treffen sich die 57 OSZE-Mitglieder, mit dem Ziel, den Frieden zu sichern. Erstmals seit Kriegsbeginn reist Russlands Außenminister Lawrow in ein EU-Land.05.12.2024 | 1:37 min
Expertin: Aufrüstung in Europa wird Jahrzehnte andauern
Dieser Dialog sei nötig, denn vermutlich werde Europa die nächsten Jahrzehnte weiter aufrüsten. Die Risiken dieser Aufrüstung, also der Einsatz der Waffen und damit Krieg, müssten irgendwie kontrolliert werden, warnt die Expertin. "Gleichzeitig sind mit diesem Dialog Risiken verbunden, denn die OSZE wurde in der Vergangenheit von Russland als Legitimation benutzt, um internationales Recht zu brechen."
Gemeint sei etwa die Überwachungskommission der OSZE, die seit 2014 in der Ukraine aktiv ist - während die OSZE Russland zeitgleich als Teilnehmer akzeptiert und nicht klar genug Stellung bezog habe, dass Russland als Aggressor in der Ukraine agiere.
Die Doku-Reihe legt ein Augenmerk auf die Planungen der Supermächte auf beiden Seiten der einstigen innerdeutschen Grenze.
KSZE schaffte Verständigung im Kalten Krieg
Vor 50 Jahren war Europa in einer ähnlich angespannten Lage: gespalten in West und Ost. Der Kalte Krieg schien jede Verständigung zwischen den Blöcken, angeführt von den USA und der Sowjetunion, zeitweise unmöglich zu machen. In diesem Zusammenhang war die KSZE-Schlussakte von Helsinki ein großer Erfolg.
Doch der Geist von Helsinki - Verständigung statt Feindschaft - scheint aktuell verloren. Auch die ständige OSZE-Konferenz hat es bislang nicht geschafft, politische Mechanismen zu finden, um Staaten, die Abkommen brechen, zur Verantwortung zu ziehen.
Heike Kruse ist Korrespondentin für Schleswig-Holstein und Skandinavien im ZDF-Studio Kiel.