Experte zu Trump-Zöllen: In der US-Politik "ist etwas kaputt"

Interview

Experte zu Trump-Zöllen:Tooze: In der US-Politik "ist etwas kaputt"

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Die US-Zollpolitik verunsichert die Weltwirtschaft extrem. Wie der renommierte Wirtschaftshistoriker Adam Tooze auf Trumps Zollkrieg und die Rolle des US-Dollars blickt.

Donald Trump bei einem Kabinettsmeeting in Washington
Die US-Zollpolitik verunsichert die Weltwirtschaft extrem. Wie der renommierte Wirtschaftshistoriker Adam Tooze auf Trumps Zollkrieg und die Rolle des US-Dollars blickt.21.04.2025
Adam Tooze ist einer der renommiertesten Wirtschaftshistoriker. Der Brite, der einen Teil seiner Kindheit in Deutschland verbrachte, lehrt an der Columbia University in New York. Im ZDFheute-Interview blickt er auf die aktuellen Zweifel an der Führungsrolle des US-Dollars - und berichtet vom "Schock", unter dem die Wissenschaftswelt in den USA steht.
ZDFheute: Professor Tooze, es gibt an den Finanzmärkten gerade große Unruhe - Zweifel am Dollar als Leitwährung, Zweifel sogar an der Sicherheit von US-Staatsanleihen. Kippt da gerade etwas?
Adam Tooze: In der Wirtschaftswelt wird das seine Zeit brauchen. Das System ist zäh. Aber:

In der amerikanischen Politik ist etwas kaputt, das ist ganz klar.

Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker

Und die Frage ist: Kann man unter diesen Bedingungen das bestehende System fortsetzen? Es gibt eine, sagen wir Schwerkraft, die die Finanzwelt nach wie vor in den Bann des Dollars zieht. Aber die Trump-Administration tut ja praktisch alles Denkbare, diese Schwerkraft zu brechen.
Schaltgespräch Theveßen Gökdemir
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ZDFheute: In der Tat, an den Märkten wird der Dollar abgewertet, gleichzeitig steigen die Zinsen für US-Staatsanleihen. Ist das ein Misstrauensvotum der Märkte gegenüber Donald Trump?
Tooze: Es ist bestimmt kein Votum für Amerika. Unter normalen Bedingungen würde man ja erwarten, dass in einer Situation der gestiegenen Unsicherheit die Investoren in den Dollar hineinlaufen. Gerade sehen wir das Gegenteil. Das ist ja das Schockierende an der letzten Woche.
Bisher haben wir allerdings noch keinen wirklich belastbaren Trend in diese Richtung - ein billiger Dollar kann ja für Investoren auch sehr attraktiv sein. Unterm Strich aber sehen wir: Die Koppelung von Zinsraten und Währungskursen ist sehr, sehr gestört im Moment. Wenn die Annahmen über die weitere Entwicklung gestört sind, verliert das System seine Berechenbarkeit - und das ist an sich schon ein Riesenverlust für die Weltwirtschaft.
Adam Tooze
Der 57-jährige Adam Tooze ist einer der angesehensten Wirtschaftshistoriker.
Quelle: Adam Tooze

ZDFheute: Und es wäre nicht nur ein Problem für die USA, sondern für uns alle, wenn dieses System mit dem Dollar als Leitwährung ins Wanken gerät?
Tooze: Es erzeugt Unsicherheit! Denn der Dollar und die US-Staatsanleihen dienen ja vor allem als so genannte "Safe Assets", als sichere Anlagen. Man stellt sich in Deutschland natürlich sehr gerne die Schulden als Last dar, die irgendwie abgetragen werden muss.
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Aber im globalen Finanzmarkt sind Schulden Wertpapiere. Und das Schöne an den US-Anleihen ist, dass sie bisher zumindest als relativ sicher galten - sehr wichtig für Anleger, die sehr viel Geld anlegen müssen. Und wenn diese Sicherheitsrolle des Dollars nicht mehr da ist, wird das für die Finanzmärkte zum Problem.

Sollte sich das um den Dollar zentrierte Finanzsystem auflösen, wird das Reibungsverluste erzeugen - und einmalige Verluste bei Finanzwerten.

Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker

ZDFheute: Hat es sowas in der jüngeren Geschichte schon mal gegeben, dass eine Regierung eines wichtigen Landes der eigenen Wirtschaft so einen Schaden zufügt?
Tooze: Nein, das ist ja das wirklich Erstaunliche an der Situation. Eine Situation, in der die Regierung einer großen Volkswirtschaft systematisch den Interessen der eigenen Wirtschaft schadet: Das ist einmalig.
Wer sind denn die Nutznießer der Zollpolitik in Amerika? Man könnte vielleicht antworten: die amerikanische Arbeiterschaft - aber die hat das nicht verlangt. Und selbst wenn es auf dieser Seite irgendwann Gewinner geben sollte - dann erst in vielen Jahren.
USA, Oakland: Eine chinesische Flagge weht auf einem Schiff im Hafen von Oakland.
Die hohen Zölle von Trumps aggressiver Zollpolitik erschweren den Handel zwischen den USA und China erheblich. Doch welche Auswirkungen hat das auf die chinesische Wirtschaft?17.04.2025 | 1:40 min
Es müssten ja Investitionen getätigt werden, in absolut extremem Ausmaß, um die ausländische Produktion zu ersetzen. Und zwischenzeitlich leidet die Investition zu Hause aufgrund der Unsicherheit. Und die Konsumenten werden einen hohen Preis für diese Zollpolitik zahlen. Letztendlich ist das wie eine Steuererhöhung.
ZDFheute: Können die USA denn einen Handelskrieg gegen die zweitgrößte Volkswirtschaft, gegen China, überhaupt gewinnen - auch angesichts der Abhängigkeit bei Rohstoffen?
Tooze: Was hieße überhaupt gewinnen? Eine Entkoppelung in bestimmten Bereichen? Der Wille dazu scheint ja bei Trump nicht sehr ausgeprägt zu sein. Er hat ja schon sehr viele Zugeständnisse gemacht, zum Beispiel bei der Elektrotechnik, bei Chips. Man kann da gut ablesen, wo Amerika schwach ist.

Und China hat große Machtmittel, nicht nur aufgrund des autoritären Systems, sondern einfach, weil die ganze Welt von Lieferketten abhängig ist, die in China enden.

Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker

Wir werden jetzt sehen, wie Peking Schritt für Schritt Gegenmaßnahmen ausrollt. Und ich weiß nicht, ob die US-Administration das wirklich einberechnet hat.
ZDFheute: Wenn die Märkte sich gegen Trump wenden - wird das möglicherweise auch für ihn gefährlich?
Tooze: Macht verliert er, Ansehen verliert er. Seine Verbindung zur Wall Street ist mittlerweile sehr gestört. Aber sein Amt wird er nicht verlieren! Er ist für die nächsten fast vier Jahre im Weißen Haus. Er kann nicht wie ein Kanzler in Deutschland durch eine Bundestagsmehrheit gestürzt werden. Und selbst wenn: Die Alternative wäre im amerikanischen System ja J.D. Vance, der ja noch ideologischer geprägt ist als Trump.

Wir müssen uns auf vier Jahre dieses Terrors und dieser Willkür einstellen.

Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker

Am 15. April 2025 versammeln sich Menschen um die John-Harvard-Statue auf dem Campus der Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Die US-Eliteuniversität Harvard wurde am 14. April mit einem Einfrieren der Bundesmittel in Höhe von 2,2 Milliarden Dollar belegt, nachdem sie eine Liste weitreichender Forderungen abgelehnt hatte, die laut Angaben des Weißen Hauses dazu dienen sollten, gegen Antisemitismus auf dem Campus vorzugehen.
Die US-Regierung will den Universitäten des Landes Vorgaben machen. Weil sich die Elite-Uni Harvard nicht reinreden lässt, muss sie um Fördermittel in Milliardenhöhe bangen.15.04.2025 | 2:35 min
ZDFheute: Nun wendet sich Trump auch gegen die Universitäten in den USA. Wie erleben Sie die Stimmung - was macht das mit Ihnen, der in den USA lebt und forscht?
Tooze: Der Schock sitzt tief in den Knochen. Eines der bisher undenkbaren Dinge, die die Trump-Regierung begonnen hat, ist ein frontaler Angriff gegen die amerikanischen Universitäten. Wir betrachten uns eigentlich in keiner Weise als oppositionell - sondern wir sind ja, muss man sagen, Teil der amerikanischen gesellschaftlichen Elite.
Jetzt zu erleben, dass Forschungsgelder gestrichen werden, dass Auflagen gemacht werden, jetzt Gerichte eingesetzt werden sollen, die die Funktionsweise von Unis wie Columbia oder Harvard überwachen: Das ist ein wirklich tiefsitzender Schock. Die Welt wird für uns nie wieder so aussehen wie davor. Die letzten Monate haben wirklich alle aufgerüttelt, die hier auf der sozusagen liberalen Seite arbeiten und in Städten wie New York ihr Leben gestalten.
Das Interview führte Florian Neuhann, Leiter des ZDF-Teams Wirtschaft und Finanzen.

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Quelle: dpa

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