Schwierige Jobsuche:Arbeitslos trotz offener Stellen
von Anja Kollruß und Nico Schmolke
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Trotz schwächelnder Wirtschaft werden weiterhin allerorts neue Mitarbeiter gesucht. Und das, obwohl 2,8 Millionen Menschen in Deutschland als arbeitslos gelten. Wie kann das sein?
Experten sprechen bereits von der "Mismatch-Arbeitslosigkeit": Viele Arbeitslose ohne Berufsausbildung kommen auf viele offene Stellen mit höheren Anforderungen. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gibt es derzeit knapp zwei Millionen Jobs zu vergeben.
So viele sind arbeitslos
ZDFheute Infografik
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Vermittlungshemmnisse erschweren die Jobsuche
Über die vergangenen zwei Jahrzehnte hat die Arbeitslosigkeit in Deutschland abgenommen. Massenarbeitslosigkeit gibt es nicht mehr, stattdessen hat sich ein Sockel an verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit gebildet. Viele der Menschen gelten mittlerweile als "marktfern".
Die Jobcenter erfassen fünf formelle Vermittlungshemmnisse:
- schwerbehindert
- über 55 Jahre alt
- ohne Berufsabschluss
- mindestens ein Jahr trotz Suche ohne Job
- Wiedereinstieg nach längerer familiärer Auszeit
Bei den Arbeitslosen im Bürgergeld fallen fast neun von zehn Personen in mindestens eine dieser Kategorien. Und fast die Hälfte der Menschen sogar in mindestens zwei. Muss man sich also damit abfinden, dass viele dieser Menschen den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt kaum wieder schaffen können?
Eine halbe Million Alleinerziehende sind Bürgergeldempfänger
Sie war gerade auf Arbeit angekommen, da rief die Kita an: Ihr Kind habe sich übergeben, bitte abholen. Cindy (Nachname der Redaktion bekannt) fuhr sofort hin. Wenige Wochen danach war erst ihr Sohn krank, dann sie selbst, die Fehlzeiten summierten sich. Und schon war Cindy den Job als Haushaltshilfe wieder los. Nun ist sie seit drei Jahren arbeitslos.
Etwa 500.000 Alleinerziehende in Deutschland beziehen Bürgergeld. Frauen wie Cindy sind eine Antwort auf die Frage, warum wir trotz knapp zwei Millionen offener Stellen fast drei Millionen Arbeitslose haben. So fehlt es zum Beispiel an verlässlicher Kinderbetreuung über genügend Stunden pro Tag, um arbeitslose Eltern in Jobs zu bekommen. Zumeist sind es die Frauen, die darunter leiden.
Heil: Totalverweigerer eine "sehr, sehr kleine Gruppe"
Die öffentliche Debatte wird hingegen bestimmt von den Totalverweigerern, die eine Arbeit ablehnen. Wie viele Menschen das sind, ist bis heute strittig. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spricht im Interview mit dem ZDF von einer "sehr, sehr kleinen Gruppe. Lassen Sie es einige 10.000 sein." Stattdessen weist er darauf hin, "dass es erhebliche Vermittlungshemmnisse gibt, also Menschen beispielsweise, die gesundheitliche Einschränkungen haben, oder viele Frauen, bei denen es auch um Kinderbetreuungsfragen geht".
Bei Frauen mit Migrationshintergrund kommen zusätzliche Hürden hinzu, wie die fehlende Anerkennung der ausländischen Bildungsabschlüsse. Je nach Herkunft kann auch ein traditionelles Rollenbild die Frauen ausbremsen - etwa wenn sie sich sehr der Familie verpflichtet fühlen oder den Mann um Erlaubnis bitten müssen. Während 78 Prozent der in Deutschland geborenen Frauen arbeiten, sind es bei Frauen, die im arabischen Raum oder der Türkei geboren sind, nur 42 Prozent.
Arbeitslos und psychisch krank
Die Gesundheit scheint neben der Kinderbetreuung ein weiteres großes Hemmnis für die Aufnahme von Arbeit zu sein. Auf Anfrage des ZDF teilen mehrere Krankenversicherungen mit, dass etwa ein Drittel ihrer versicherten Arbeitslosen eine psychiatrische Diagnose aufweist. Depressionen oder auch soziale Ängste halten viele Arbeitslose vom normalen Erwerbsleben fern, dazu kommen undiagnostizierte Erkrankungen sowie körperliche und chronische Leiden. In vielen Jobcentern laufen mittlerweile Projekte an, die sich der Betreuung psychisch kranker Arbeitsloser widmen, bislang aber nur einen kleinen Prozentsatz aller Betroffenen erreichen.
Vor allem gesucht: Helfer-Stellen
Auch die fehlende Qualifikation ist ein Problem. Schaut man allein auf die der Arbeitsagentur bekannten Stellengesuche, kommen auf eine sogenannte Helfer-Stelle fast zehn arbeitslose Hilfskräfte, also Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung. Für sie gibt es also gar nicht so viel Arbeit.
Ganz anders bei den Fachkräften: Vor Corona kamen noch fünf Fachkräfte auf eine entsprechende Stelle. Mittlerweile liegt das Verhältnis eher bei zwei zu eins. Bedenkt man, dass viele Stellen für Menschen mit besserer Qualifikation den Arbeitsämtern gar nicht gemeldet werden, ist der Fachkräftemangel noch viel höher.
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