Chrupalla im ZDF-Sommerinterview: Der Faktencheck

Faktencheck

ZDF-Sommerinterview mit AfD-Chef:Chrupallas Aussagen im Faktencheck

von Daniel Heymann, Nils Metzger, Kerstin Ripper
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Gaza, Russland und die Meinungsfreiheit in Deutschland: Beim ZDF-Sommerinterview mit AfD-Chef Tino Chrupalla ging es um kontroverse Themen. Waren die Fakten dabei immer korrekt?

Tino Chrupalla im ZDF-Sommerinterview
Hungernde und getötete Kinder: AfD-Chef Tino Chrupalla sagt, dass in Gaza "Verbrechen" stattfinden. Er spricht sich gegen Waffenlieferungen nach Israel aus und stützt den Kurs von Kanzler Merz.10.08.2025 | 20:13 min
Beim ZDF-Sommerinterview mit dem AfD-Parteichef Tino Chrupalla ging es um die akuten Fragen der Weltpolitik und den Umgang der Partei mit Extremisten in den eigenen Reihen. Waren Chrupallas Zahlen und Fakten dabei korrekt? Und welche Aussagen benötigen mehr Kontext? Der Faktencheck.

In den "Berlin direkt - Sommerinterviews" kommen neben dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler die Vorsitzenden der im Bundestag in Fraktionsstärke vertretenen Parteien zu Wort. Die Aussagen der Befragten werden von einem ZDF-Team überprüft und Zusammenhänge nachrecherchiert. Zu jedem Sommerinterview veröffentlichen wir im Anschluss auch einen Faktencheck-Artikel, unabhängig davon, ob in dem Gespräch Falschaussagen oder unzutreffende Tatsachenbehauptungen geäußert wurden.

Wie steht Israels Bevölkerung zum Gaza-Krieg?

Im Gespräch formulierte Chrupalla deutliche Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen. Dabei verwies er darauf, dass der Krieg auch Israel selbst zunehmend spalte:

Und die Regierung Netanjahu steht ja auch innenpolitisch massiv unter Druck.

Tino Chrupalla, AfD

Anschließend versprach sich Chrupalla offenbar versehentlich: "Auch die israelische Regierung findet das Vorgehen in Gazastreifen nicht gerechtfertigt." - gemeint war hier wohl die israelische Bevölkerung. Aber ist es korrekt, dass diese den Krieg inzwischen anders bewertet?
Das Stimmungsbild, das Umfragen in Israel zeichnen, ist teils widersprüchlich und hängt stark vom Hintergrund der Befragten und den Nuancen der Fragestellung ab. Abkommen zur Beendigung des Krieges, sofern alle Geiseln freikommen, finden etwa seit Monaten hohe Zustimmungswerte. In einer Umfrage des Israel Democracy Institute (IDI) sprachen sich etwa schon im Januar 57,5 Prozent der befragten Israelis für ein dauerhaftes Kriegsende aus, 12 Prozent für einen vorübergehenden Waffenstillstand. Mitte Juli stieg die Unterstützung für eine umfassende Verhandlungslösung laut dem Nachrichtensender Channel 12 auf 74 Prozent. 55 Prozent der Befragten bewerteten Netanjahus Vorgehen im Gaza-Krieg als "schlecht".
Gebäude, die während der israelischen Boden- und Luftoperationen zerstört wurden, stehen im nördlichen Gazastreifen, vom Süden Israels aus gesehen.
Israel will ganz Gaza, auch Gaza-Stadt, erobern. Alle Einwohner sollen innerhalb von zwei Monaten vertrieben werden. Doch wohin? Es gibt scharfe Kritik an Israels Kriegsplänen.09.08.2025 | 2:15 min
Doch es gibt auch Zahlen, die weniger auf eine umfassende Ablehnung des Krieges hindeuten, etwa zur Wahrnehmung der humanitären Lage in Gaza. Eine IDI-Umfrage von Anfang August ergab, dass 79 Prozent der befragten jüdischen Staatsbürger wenig oder gar nicht beunruhigt seien von den Berichten über Hunger und Leid der palästinensischen Bevölkerung in Gaza. Unter den befragten arabischen Israelis waren hingegen 86 Prozent sehr oder etwas beunruhigt. In einer Erhebung Ende Mai sprachen sich 82 Prozent der befragten jüdischen Israelis für eine Vertreibung der Bevölkerung von Gaza aus. In Israel wurde diese Erhebung kontrovers diskutiert und teils für ihre Methodik kritisiert. Druck auf Netanjahu kommt auch von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern, die ein Fortbestehen der Regierung bereits mehrfach an ein Fortsetzen des Krieges knüpften.
Tino Chrupalla Pressestatement
AfD-Co-Chef Chrupalla verurteilt im ZDF-Sommerinterview Verbrechen in Gaza, lehnt Anti-Russland-Rhetorik ab und will im Bundestag die Rückkehr zur Wehrpflicht anstoßen.10.08.2025 | 2:16 min
Was sich seit einigen Tagen hingegen klar und spürbar verändert, ist der Protest auf der Straße. Schon seit Monaten organisieren Gruppen aus dem Umfeld der Geisel-Angehörigen Demonstrationen und werden dafür von der Regierung teils heftig angefeindet. Am Samstag demonstrierten in Tel Aviv und weiteren Städten zehntausende Menschen gegen die geplante Besatzung von Gaza-Stadt. Auch die jüdisch-palästinensischen Friedensbewegung "Standing Together" erhält deutlichen Zulauf. Israelische Zeitungen berichten, dass es sich damit um die größten Demonstrationen seit Monaten gegen die Regierung von Benjamin Netanjahu handele. Dass der Krieg zunehmend umstritten ist, ist also korrekt. Dass eine Mehrheit ihn ablehnt, heißt das noch nicht.
Proteste in Tel-Aviv gegen die Regierung und für die Freilassung der übrigen Hamas-Geiseln.
In Tel Aviv haben Zehntausende gegen die Pläne der israelischen Regierung protestiert, den Krieg in Gaza auszuweiten. Die Polizei nahm mehrere Menschen fest.10.08.2025 | 0:20 min

Wie groß ist die Bedrohung aus Russland?

Erneut relativierte Chrupalla die von Russland ausgehende Bedrohung für Deutschland:

Ich sehe Russland nicht als Feind. (…) Gute Freunde (…) können morgen feindlich gesinnt sein, auch feindliche Absichten in Deutschland haben. Das sehe ich von Russland bezogen auf Deutschland nicht.

Tino Chrupalla, AfD

Die Spitzen der deutschen Nachrichtendienste kommen zu einer anderen Bewertung: Vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium warnten sie im Oktober 2024 vor einer stetig wachsenden Bedrohung, allen voran durch russische "Einflussoperationen". Beispiele dafür sind etwa die sogenannte Doppelgängerkampagne und das Desinformationsportal "Voice of Europe". Auch mehrere AfD-Abgeordnete fielen im Rahmen solcher aus Russland gesteuerten Kampagnen auf.
Von Cyberangriffen auf Unternehmen und Behörden über die Ausspähung von Bundeswehr-Standorten bis hin zur Rekrutierung von sogenannten "Wegwerfagenten" werden Russland eine ganze Bandbreite an Aktivitäten in Deutschland vorgeworfen. In vielen Fällen laufen inzwischen Ermittlungen von Behörden. "Russland nutzt Cyberangriffe als geopolitisches Werkzeug, um strategische Vorteile zu erzielen", schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz auf seiner Webseite. "Die überwiegende Zahl der in Deutschland festgestellten Cyberangriffe mit mutmaßlich staatlicher Steuerung werden Russland, China, Iran und Nordkorea zugeordnet", so das Bundesinnenministerium.
Deutscher Staatsbürger vor Gericht als mutmaßlich russischer Spion
Sie spähen Kasernen in Deutschland aus, planen Anschläge auf Militärtransporte, bereiten Brandanschläge gegen Waffenfabriken vor. Russische Agenten rekrutieren dafür auch deutsche Staatsbürger. 15.07.2025 | 8:03 min

Wie verhalten sich AfD-Abgeordnete im Bundestag?

Im Juli hat die AfD-Bundestagsfraktion einen Verhaltenskodex für ihre Abgeordneten beschlossen. Darin wird ein "gemäßigtes Auftreten im Parlament" vorgeschrieben. Einen Hinweis auf unangemessenes Verhalten von AfD-Politikern wollte Fraktionschef Chrupalla darin nicht erkennen:

Das ist ein Verhaltenskodex, den jede Fraktion in jeder Partei hat. Für uns ist natürlich ganz klar, dass wir unseren politischen Gegner inhaltlich stellen wollen, ohne persönliche Anfeindungen und persönliche Angriffe. (…) Und bislang haben wir das wunderbar umgesetzt.

Tino Chrupalla, AfD

Dass sich Parteien oder ihre Fraktionen Verhaltensregeln auferlegen, ist, wie von Chrupalla betont, nicht ungewöhnlich. Die Unionsfraktion verfasste etwa 2021 in Folge der Maskenaffäre einen Kodex mit Fokus auf Nebentätigkeiten. Auch die SPD hat Regeln zu Spenden und Sponsorings. Bei den Grünen gibt es seit 2024 zudem einen "Code of Conduct" zum fairen Umgang mit Mitarbeitern in Bundestagsbüros.
Wichtiger Gradmesser für das angemessene Verhalten im Parlament ist die Zahl der Ordnungsrufe für eine Partei. Hier liegt die AfD mit großem Abstand an der Spitze. Während der vergangenen Legislaturperiode (Oktober 2021 bis März 2025) gingen 84 der 127 Ermahnungen an die AfD. Auch in den vergangenen Monaten wurden fast ausschließlich AfD-Vertreter für ihr Verhalten im Plenum gerügt.
Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag hat die Zahl der Ordnungsrufe zugenommen. Die damalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) kritisierte im November 2024 im ZDF, eine Zunahme an persönlichen Angriffen und Diffamierungen, Ordnungsrufe würden "als Trophäen im Internet benutzt". Die Statistik zeigt, dass die AfD mehr als jede andere Partei im Bundestag mit unangemessenem Verhalten auffällt.
Markus Lanz vom 27. November 2024: Markus Lanz, Bärbel Bas
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas spricht über den Zustand der Demokratie, die Gefahren, denen sie ausgesetzt ist, und über ihren politischen Werdegang.28.11.2024 | 45:54 min

Wie steht es um die Meinungsfreiheit in Deutschland?

Auch für Parteimitglieder im Öffentlichen Dienst hat die AfD jüngst Handreichungen erstellt. Ihnen empfiehlt die Partei, mit Äußerungen im "eindeutig verfassungskonformen Bereich" zu bleiben. Ein Grund für die Handreichung dürfte sein, dass für Beamte das sogenannte Mäßigungsgebot gilt: Auch sie dürfen sich politisch äußern und betätigen, müssen dabei aber eine gewisse Zurückhaltung wahren. Dadurch soll sichergestellt werden, dass es eine stabile und professionelle Verwaltung gibt, die nicht übermäßig politisiert ist.
Chrupalla begründet das Vorgehen der AfD damit, dass aus seiner Sicht die freie Meinungsäußerung in Deutschland "absolut gefährdet" sei und immer mehr beschnitten werde. Dies sehe man an Meldestellen, wo "Äußerungen auf die Goldwaage gelegt und aus dem Kontext gerissen" werden.
Tatsächlich ist die Meinungsfreiheit eines der wichtigsten und am besten geschützten Rechte im Grundgesetz. In internationalen Rankings, etwa der NGO Freedom House, erreicht Deutschland seit Jahren Spitzenwerte bei politischen und Bürgerrechten wie der Meinungsfreiheit. Auch bei der eng verwandten Pressefreiheit liegt Deutschland im Ranking von Reporter ohne Grenzen mit dem elften Platz im Vergleich weit vorne.
Urteil
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot des rechtsextremen „Compact“-Magazin aufgehoben. Das Grundgesetz garantiere selbst Feinden der Verfassung Presse- und Meinungsfreiheit. 24.06.2025 | 1:46 min
Vereinzelte Probleme konnten Freedom House und Reporter ohne Grenzen auch in Deutschland feststellen, allerdings ohne nennenswerte Veränderung zu den Vorjahren. Zu den Kritikpunkten gehören etwa bestimmte Befugnisse von Nachrichtendiensten und Sicherheitsbehörden. Eine Hauptgefahr für Meinungs- und Pressefreiheit sehen die Organisationen zudem in Angriffen auf Medienschaffende - zum Beispiel im Zusammenhang mit Nahostdemonstrationen oder aus rechtsextremen Kreisen.
Richtig ist, dass in den letzten Jahren mehr Meldestellen eingerichtet wurden, zum Beispiel die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) vom Bundeskriminalamt. Bei diesen Angeboten geht es darum, strafrechtliche relevante Sachverhalte, etwa Beleidigungen oder Verleumdungen, effektiver zu verfolgen. Diese Delikte waren aber auch schon vorher strafbar - eine zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit liegt darin nicht. Chrupallas Aussage ist vor diesem Hintergrund irreführend.

ZDF-Sommerinterview
:Chrupalla spricht von "Verbrechen" in Gaza

Hungernde und getötete Kinder: AfD-Chef Tino Chrupalla sagt, dass in Gaza "Verbrechen" stattfinden, spricht sich gegen Waffenlieferungen aus und stützt den Kurs von Kanzler Merz.
von Dominik Rzepka
Tino Chrupalla im ZDF-Sommerinterview
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