Mehr Wohnungslose in Deutschland:Wohnung verloren, Zukunft verloren? Deutschlands stille Krise
von Alexander Eschment, Berlin
Die Zahl der Menschen in Deutschland, die keine eigene Wohnung haben, erreicht einen neuen Höchststand. Die geplanten Sozialreformen der Regierung könnten das Problem verschärfen.
Die Wohnungslosenhilfe schätzt, dass aktuell mehr als 1,029 Millionen Menschen wohnungslos sind. Die Wohnungssuche kann aber auch gelingen, zeigt ein Beispiel aus Berlin.
17.11.2025 | 1:41 minWenn André Sommer den Schlüssel in die Tür seiner Wohnung steckt, ist das für ihn immer noch ein besonderer Moment. Seit acht Wochen hat er erst wieder eine eigene Wohnung. "Das Gefühl nach Hause zu kommen, ist schon etwas anderes: die Privatsphäre, man weiß, man hat ein Dach über dem Kopf, man kann leben und man wird nicht mehr unruhig", sagt der 61-Jährige.
In den vergangenen 15 Jahren hat er in einem kleinen Zimmer in einem Wohnheim in Berlin-Reinickendorf gelebt. Er berichtet davon, dass er oft versucht habe, wieder eine eigene Wohnung zu finden - wegen seiner Vergangenheit sei das aber immer wieder gescheitert.
Nachdem sich seine Frau von ihm getrennt und sein Arbeitgeber ihm gekündigt hatte, verlor der frühere Kraftfahrer den Halt. Er häufte Mietschulden an und musste deshalb seine Wohnung räumen. Die Folge: ein Schufa-Eintrag, der potentielle neue Vermieter abschreckte. Irgendwann resignierte Sommer, fand sich mit seinem Zimmer im Wohnheim ab.
Wer seine Wohnung verliert, findet nur schwer eine neue
So wie André Sommer geht es vielen, die für längere Zeit in Wohnheimen oder Notunterkünften unterkommen müssen, berichtet Moritz Preuß, Sozialarbeiter bei der Stadtmission in Berlin.
Viele stecken anfangs viel Energie in die Wohnungssuche, finden aber nichts, resignieren und richten sich dann in der Situation ein.
Moritz Preuß, Sozialarbeiter bei der Berliner Stadtmission
Erschwerend käme oft hinzu, dass viele Wohnungslose psychische Probleme hätten und ihre Probleme nicht mehr allein bewältigen könnten. Auch das mache es kompliziert, sie in Wohnungen zu vermitteln. Viele Vermieter seien auch nicht bereit, Menschen aus Notunterkünften oder Wohnheimen eine Chance zu geben.
Laut einer Studie des Pestel-Instituts bremst der Wohnraummangel die Wirtschaft. Es fehlen mehr Wohnungen als gedacht. Die Regierung will mit einem Bauturbo handeln.
06.10.2025 | 1:32 minBezahlbare Wohnungen: Die Konkurrenz ist groß
Hinzu kommt: Die Konkurrenz auf dem Markt für bezahlbare Wohnungen ist sehr groß. Darauf weist Monika Breuer von der Berliner Stadtmission hin.
Viel wichtiger sei es in ihren Augen deshalb, dass Menschen ihre Wohnung gar nicht erst verlören, dass eine Räumung auf jeden Fall verhindert werden müsse. Ist die Wohnung erst einmal weg, sei der Weg zurück schwer und kostspielig.
Es ist auf jeden Fall billiger, die Miete für eine kleine Wohnung zu zahlen als mehr als tausend Euro für einen Platz im Wohnheim.
Monika Breuer, Berliner Stadtmission
Wie viele Menschen in Deutschland wohnungslos sind, lässt sich nur schwer ermitteln. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. schätzt, dass im Verlauf des Jahres 2024 1.029.000 Menschen wohnungslos waren, knapp elf Prozent mehr als im Vorjahr. 765.000 davon sind Erwachsene, 264.000 Kinder und Jugendliche unter 18, die mehrheitlich mit ihren Eltern in Unterkünften untergebracht waren.
In der Hochrechnung des Verbandes werden Menschen erfasst, die über keine mietrechtlich abgesicherte Wohnung oder Wohneigentum verfügen. Personen, die ohne jegliche Unterkunft auf der Straße leben, machen nur einen kleinen Teil der Gruppe aus (rund 56.000).
Anders als Obdachlose wird jedoch der Großteil der Menschen ohne eigenen Wohnraum kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Sie werden von Städten und Gemeinden meist in Unterkünften untergebracht oder schlüpfen bei Freunden oder Familienmitgliedern unter.
Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V
Reformpläne könnten das Problem verschärfen
Hauptursachen für Wohnungslosigkeit sind Miet- und Energieschulden, Trennung oder Scheidung und ein Ortswechsel. Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die den Großteil der Wohnungslosen ausmachen (80 Prozent), hatten mehrheitlich noch keine Wohnung in Deutschland.
Damit die Zahlen nicht weiter steigen, brauche es deutlich mehr Wohnungen im sozial geförderten Sektor, fordert die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Sabine Bösing. Man müsse jedoch nicht nur mehr bauen, sondern auch den Bestand besser nutzen, auch Gewerberäume. Es gebe viel Leerstand, den man nutzen könne.
Bösing befürchtet, dass die geplanten Änderungen bei den Sozialleistungen die Wohnungslosigkeit verschärfen. Vor allem die stärkeren Sanktionen könnten dazu führen, dass im schlimmsten Fall Leistungen wie Mietzahlungen gestrichen würden und Menschen ihre Wohnung verlieren.
In Deutschland lebt die Mehrheit zur Miete. Viele Familien kämpfen mit zu hohen Kosten und zu kleinen Wohnungen, wie der aktuelle Bericht des Deutschen Mieterbunds zeigt.
06.11.2025 | 1:28 minMehr Sozialwohnungen gefordert
Neben den geplanten Sanktionen beim Bürgergeld verfolgt die Bundesregierung jedoch auch das Ziel, die Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Das soll unter anderem mit deutlich mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau gelingen.
Die wohnungspolitische Sprecherin der Linken, Caren Lay, begrüßt grundsätzlich das Ziel der Bundesregierung, weist aber darauf hin, dass die Zahl der Sozialwohnungen weiter abnehme, trotz hoher Investitionen.
Zudem fehle es an einem besseren Mieterinnen- und Mieterschutz und es gebe weiterhin zu viele Zwangsräumungen.
Alexander Eschment ist Korrespondent im ZDF-Studio in Berlin.
Mehr zum deutschen Wohnungsmarkt
Umwandlungsstopp für Kasernen:Wie die Kriegstüchtigkeit den Wohnungsbau bremst
von Heiko Rahmsmit VideoStudie:Wohnungsnot wächst: Wer zögert, hat schon verloren
mit Video"Bagger rollen lassen" :2024 deutlich weniger neue Wohnungen
mit Video