Zum 150. Geburtstag: Thomas Mann - Stimme gegen den Faschismus
150. Geburtstag:Thomas Mann: Eine Stimme gegen den Faschismus
von Cornelius Janzen
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Während Populisten Europa prägen, mahnte Thomas Mann: Demokratie lebt von der Verantwortung des Einzelnen. Der Nobelpreisträger kämpfte früh gegen Rechtsextremismus und Faschismus.
Während rechte Populisten Europa prägten, mahnte Thomas Mann: Demokratie lebt von der Verantwortung des Einzelnen. Wie relevant ist der Autor heute?06.06.2025 | 9:45 min
Der "Wind des Wandels" - AfD-Chefin Alice Weidel glaubt, ihn zu spüren. Auf der ultrakonservativen CPAC-Konferenz in Budapest vergangene Woche nennt sie den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ein "Leuchtfeuer der Freiheit".
Der weltweite Vormarsch rechter Populisten zeigt: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Thomas Mann erkannte das wie kaum ein anderer deutscher Schriftsteller. "Er begriff Demokratie als politische Lebensform", sagt Literaturwissenschaftler Kai Sina.
Es lohnt, ihn als Vorbild im Umgang mit erstarkendem Autoritarismus, Irrationalismus und faschistischen Tendenzen unserer Gegenwart zu sehen.
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Kai Sina, Literaturwissenschaftler
Sina hat ein Buch über Mann als politischen Aktivisten geschrieben. "Er wurde als politisch Denkender und Handelnder oft unterschätzt oder angefeindet", sagt er.
Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann zeigt Lübeck eine große Ausstellung. Sie erinnert an den Autor als Demokraten, NS-Gegner und intellektuelle Stimme seiner Zeit.06.06.2025 | 1:45 min
Mann warnt früh vor "Hakenkreuz-Unfug" der Nazis
Von Beginn an kämpft Mann für die Demokratie und gegen Rechts. Bereits 1921 warnt er vor dem "Hakenkreuz-Unfug" der Nazis. Nach der Ermordung des jüdischen Außenministers Walter Rathenau durch Rechtsextreme 1922 verteidigt Mann die Weimarer Republik in einer Rede im Berliner Beethovensaal: "In unsere Hände ist sie gelegt - in die jedes Einzelnen."
Freiheit sei kein Vergnügen, sondern Verantwortung, so Mann: "Ein Verständnis von Staatsbürgerlichkeit, das ich bis heute anschlussfähig finde", sagt Sina.
Hier zeigt sich sein pragmatischer Zug im Politischen - ein tatkräftiger Ansatz.
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Kai Sina, Literaturwissenschaftler
Wie relevant ist Thomas Mann heute noch? Jo Schück fragt nach bei Enkel Frido Mann, bei Komiker Oliver Polak, bei Theatermachern, Schauspielern und Schriftstellern, Fans und Kritikern.30.05.2025 | 44:26 min
"Ein erstaunlich linksliberaler Intellektueller"
Bereits 1907 kämpft Mann gegen Theaterzensur, protestiert gegen das Verbot der linken Zeitschrift "Die Aktion", setzt sich für den inhaftierten Anarchisten Erich Mühsam ein. "Im Kaiserreich war er ein erstaunlich linksliberaler Intellektueller", so Sina. Dieses demokratische Fundament greift Mann in den 1920er-Jahren wieder auf.
Doch 1914 bejubelt er zunächst den Ersten Weltkrieg - ein Bruch mit seinem Bruder Heinrich, einem überzeugten Demokraten. "Als Homosexueller, Künstler und Bohemien war Mann ein Außenseiter. 1914 bot sich ihm die Chance, Teil eines rauschhaften Kollektivs zu sein", erklärt Sina. Das habe enorme Verführungskraft gehabt.
Demokratischer Streit für Mann nicht mehr möglich
Mit dem Aufstieg der Nazis 1930 findet Mann zu klarer politischer Haltung. In einer Rede 1922 im Beethovensaal wird er von SA-Männern und rechten Vordenkern wie Ernst Jünger gestört. Ein Foto zeigt sein Entsetzen - "eines der großen historischen Dokumente", sagt Sina. Mann habe erkannt: Demokratischer Streit war nicht mehr möglich. Nun stand er Feinden gegenüber.
Am 17. Oktober 1930 tritt Thomas Mann im Berliner Beethovensaal auf und warnt bei einer Rede vor der "Barbarei" der Nazis. Die Aufnahme zeigt den Moment, in dem SA-Leute die Rede stören.
Quelle: Ullstein Bild
Er fragte, wann Demokratie kippt - und wann man Widerstand leisten muss.
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Kai Sina, Literaturwissenschaftler
Neben dem Kampf gegen die Nazis unterstützt Mann auch den Zionismus. In den 1920er-Jahren engagiert er sich im "Komitee Pro Palästina", einem Interessenverband, der jüdische Siedlungen im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina fördert, wirbt 1930 bei einer Reise dorthin für ein friedliches jüdisch-arabisches Zusammenleben.
Gastgeberin Thea Dorn diskutiert mit Wolfram Eilenberger, Hilmar Klute und Iris Radisch über drei Neuerscheinungen - und aus Anlass des 150. Geburtstags von Thomas Mann über den "Zauberberg".16.05.2025 | 48:19 min
1943 klärt er in San Francisco über die "wahnsinnige Entschlossenheit [der Deutschen, Anm. d Red.] zur totalen Ausrottung des europäischen Judentums" auf. Ab 1948 setzt er sich für einen jüdischen Staat ein:
Je stärker der Antisemitismus, desto entschiedener sein Einsatz für den Zionismus.
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Kai Sina, Literaturwissenschaftler
1929 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet
1929 erhält Mann den Literaturnobelpreis. Nach Hitlers Machtergreifung 1933 geht er ins Exil - erst in die Schweiz, 1938 in die USA. Aus Kalifornien sendet er 59 Radioansprachen an die Deutschen. "Er kämpfte mit allem gegen die Nazis und wollte die Deutschen unbedingt wachrütteln."
1949 kehrt er zur Goethe-Preis-Verleihung erstmals nach Deutschland zurück - nach 16 Jahren Exil. Er wird gefeiert, trifft aber auch auf Ressentiments.
Man diffamierte ihn als Verräter, der vom Logenplatz des Exils aus den Deutschen in den Rücken gefallen sei.
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Kai Sina, Literaturwissenschaftler
Jahrelang öffentliche Vorbehalte gegen Mann
Mann war einer der Ersten, die die kollektive Schuld der Deutschen am Holocaust benannten. Das nahm man ihm lange übel, so Sina. Noch 2005 nennt ihn ein Historiker einen "Schreibtischtäter", der in seinen politischen Interventionen nie Mut gezeigt habe. Erst in den letzten Jahren hat sich dieses Bild gewandelt.
Ein Foto von 1946 zeigt Mann in Pacific Palisades, seinem kalifornischen Wohnort, mit Blume am Revers - ein Bild voller Symbolkraft. Sein politisches Vermächtnis könnte heute kaum aktueller sein: Denn nur in der Liebe zum Leben kann die Demokratie dem Hass etwas entgegensetzen.
Der Schriftsteller und Aktivist Thomas Mann 1946 im Stadtteil Pacific Palisades, seinem Wohnort in Los Angeles.
Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv
Cornelius Janzen ist ZDF-Redakteur und Reporter für 3sat Kulturzeit.