Berater der Wirtschaftsministerin:"Kaum jemand glaubt, dass die Rente sicher ist"
Stefan Kolev sitzt im Beratergremium der Wirtschaftsministerin. Im ZDFheute-Interview erklärt er seine Forderung nach längerer Arbeitszeit und warum der Blick in den Norden hilft.
Das Rentensystem steht vor riesigen Herausforderungen (Symbolbild).
Quelle: SVEN SIMONZDFheute: Herr Prof. Kolev, in welchem Zustand befindet sich das aktuelle gesetzliche Rentensystem?
Stefan Kolev: Das gesetzliche Rentensystem ist in einem desaströsen Zustand und dieser Zustand wird nochmal deutlich problematischer in den nächsten zehn Jahren, weil die großen Baby-Boomer-Kohorten in Rente gehen.
Das ist keine Schwarzmalerei, sondern eine mathematische Sicherheit, falls wir nichts am System ändern.
Man kann es als einen finanziellen Orkan bezeichnen. Das ist für die fragile Demokratie, in der wir leben, eine große Zusatzbelastung.
... ist der Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin und Professor für Wirtschaftspolitik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Seit September gehört er dem wissenschaftlichen Beraterkreis von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) an.
(Quelle: BMWE, Ludwig-Erhard-Forum)
ZDFheute: Im Koalitionsausschuss in dieser Woche ging es auch um Renten-Themen. Es wurde bekräftigt, dass es bald eine Aktivrente, eine Ausweitung der Mütterrente und eine Frühstart-Rente geben soll. Löst das die Probleme?
Kolev: Was beschlossen wurde, löst die Probleme nicht. Genau genommen macht einiges davon die Probleme noch größer. Die Ausweitung der Mütterrente ist eine schwer begründbare Großzügigkeit, die gerade sozial schwachen Rentnerinnen kaum hilft. Der Nachhaltigkeitsfaktor bleibt ausgesetzt. Die Aktivrente hat kaum Auswirkung auf das Rentensystem, da geht es darum, das Arbeitsangebot älterer Menschen auszuweiten.
Das Bürgergeld wird zur "Grundsicherung" mit strengeren Regeln. Außerdem sollen mit der neuen "Aktivrente" längeres Arbeiten und zusätzliche Einkommen attraktiver werden.
09.10.2025 | 1:38 minDie Frühstart-Rente ist meines Erachtens ein kleiner Beitrag für die private Vorsorge junger Menschen. Aber die dicken Bretter - die harten, dicken Bretter, die es zu bohren gilt - sind eben nicht angefasst worden.
Es ist ein System, von dem ein immer höherer Anteil der Gesellschaft lebt, das aber nicht nachhaltig gebaut ist.
ZDFheute: Sie sind Mitglied im Beratergremium der Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU). Ihr Gremium schlägt nun eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung vor. Im Zweifel hieße das, länger arbeiten als 67. Das hat heftige Gegenwehr ausgelöst. Warum halten Sie an dieser Idee fest?
Kolev: Ich finde, der Blick nach Dänemark ist hier ein ganz interessanter. Skandinavien ist nun wirklich nicht bekannt als Beispiel für Turbo-Kapitalismus. Dänemark hat 2006 beschlossen - bei allen Unterschieden, die es sonst in den Rentensystemen gibt -, dass man kontinuierlich prüft, um wie viel Menschen älter werden und diese Rechnung wird dann mit dem gesetzlichen Renteneintrittsalter synchronisiert.
Dänemark erhöht das Renteneintrittsalter bis 2040 schrittweise auf 70 Jahre. Deutschland und andere Länder folgen mit 67 Jahren. Leere Kassen sind ein Problem in ganz Europa.
30.05.2025 | 1:35 minWenn wir länger leben und ein System haben wollen, das finanzierbar ist, ist es nötig, für die langfristige Finanzierbarkeit des Systems zu sorgen.
Wenn man das dänische Vorbild ignoriert, öffnet sich die Altersschere zwischen Eintritt und statistischer Lebenserwartung immer weiter.
Das müsste man dann über höhere Beiträge oder Steuerzuschüsse finanzieren. Diese Zusatzlasten treffen insbesondere die jüngere Generation, die wir dringend brauchen und die wir im Land halten sollten.
Zum Lastenausgleich zwischen den Generationen gehört eben auch, länger zu arbeiten.
ZDFheute: Die Bundesregierung hat nun eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge zum Rentensystem erarbeiten soll. Halten Sie das für einen guten Weg?
Kolev: Ich halte das deswegen für nicht besonders mutig, weil mit recht hoher Sicherheit heute schon bekannt ist, was diese Kommission an Vorschlägen erarbeiten wird. Beim Thema sind in den letzten 20 Jahren nicht unbedingt neue Lösungsvorschläge dazugekommen.
Immer weniger Arbeitende müssen immer mehr Rentner finanzieren - der demografische Wandel setzt das System unter Druck. Was bedeutet das für die Rente in zehn, 20 oder 30 Jahren? Und wie können besonders Jüngere vorsorgen?
24.09.2025 | 3:40 minDas Thema ist brisanter und dringlicher geworden, nur ist es weder diagnostisch noch therapeutisch so, dass es an Ansätzen oder Erkenntnissen mangelt. Man sollte die Zeit dringend nutzen, diesen schwer angeschlagenen Tanker zu reparieren, anstatt darauf zu hoffen, dass er auf wundersame Weise seine Stabilität zurückerlangt.
Jegliches Verschleppen der Probleme erhöht die Kosten zu ihrer Bewältigung. Die Debatte wird dann noch polarisierter und der Spielraum noch kleiner.
ZDFheute: Eine politische Grundregel lautet, dass man dicke Bretter am besten zu Beginn einer Legislaturperiode bohrt, wenn man noch viel Kraft und Kredit hat. Halten Sie es für realistisch, dass in dieser Legislaturperiode noch große Rentenreformen kommen?
Kolev: Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, da ich ein unverbesserlicher Optimist bin. Ich sehe aber in der Tat, dass mit jeder weiteren Landtagswahl, die ansteht, mit jeder weiteren Erschütterung der Statik der Koalition, es immer weniger wahrscheinlich wird, dass man sich an das Thema rantraut.
Der Koalitionsausschuss hat diese Woche neue Anzeichen von Mut gezeigt und ich hoffe, dass jetzt etwas ins Rollen kommt.
Vor allem bin ich zuversichtlich, dass das von den Menschen honoriert wird.
Kaum jemand glaubt daran, dass die Rente langfristig sicher sei - die Jungen am allerwenigsten. Die Politikerinnen und Politiker, die endlich den Mut aufbringen, dieses Problem ernsthaft anzupacken, werden davon profitieren.
Das Interview führt Bernd Benthin, ZDF-Hauptstadtkorrespondent in Berlin.
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