Wirtschaftsweise Grimm: Wahlgeschenke "nicht zeitgemäß"

Wirtschaftsweise Veronika Grimm:Wahlgeschenke "eigentlich nicht zeitgemäß"

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Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm geht mit dem Haushaltsentwurf von Finanzminister Klingbeil hart ins Gericht. Es herrsche das Prinzip Hoffnung.

Veronika Grimm bei der Bundespressekonferenz Vorstellung des Frühjahrsgutachten 2025 in Berlin
Veronika Grimm ist seit fünf Jahren eine der Wirtschaftsweisen.
Quelle: ddp

ZDFheute: Frau Grimm, wie überrascht waren Sie von der 172-Milliarden-Lücke?
Veronika Grimm: Gar nicht überrascht. Man hat sehr viele Schulden vorab aufgenommen und dann im Koalitionsvertrag nicht die Kraft gefunden, tatsächlich Reformen voranzutreiben. Und das führt dazu, dass es jetzt eng wird, obwohl man so viele zusätzliche Spielräume hat. Das ist natürlich misslich.
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ZDFheute: Finanzminister Lars Klingbeil ruft jetzt zu "strikter Ausgabendisziplin" auf. Reicht das?
Grimm: Wir haben strukturelle Herausforderungen, die dringend adressiert werden müssen. Die Kosten der sozialen Sicherungssysteme gehen vor allen Dingen aufgrund des demografischen Wandels immer weiter in die Höhe. Der Anstieg sollte dringend eingedämmt werden und zwar durch wirksame Reformen, die schon lange auf dem Tisch liegen.

Man wird zwar nicht erreichen können, dass die Kosten sinken, aber zumindest, dass die Sozialausgaben nicht so stark ansteigen, wie es zu befürchten ist.

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise

Veronika Grimm
Quelle: Sachverständigenrat

... Professorin für Energiesysteme und Marktdesign an der Technischen Universität Nürnberg. Seit April 2020 ist sie Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, also eine der "fünf Wirtschaftsweisen". Die Wirtschaftswissenschaftlerin ist Mitautorin einer Stellungnahme der nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, zum Thema "Wie sich russisches Erdgas in der deutschen und europäischen Energieversorgung ersetzen lässt".

ZDFheute: Im Etatentwurf steht, man wolle zum Beispiel beim Bürgergeld 1,5 Milliarden Euro einsparen. Was bringen solche kleineren Einsparungen?
Grimm: Wir haben sehr viele Bereiche, wo man kleinere Beträge einsparen kann. Das trifft auf das Bürgergeld zu, auf die Pflegeversicherung, auf die gesetzliche Rentenversicherung, auf die Gesundheitssysteme. Wenn man überall sagt, das bringt es nicht, dann wird man am Ende scheitern.
Von zentraler Bedeutung sind wirksame Reformen der Rentenversicherungssysteme, die dringend unmittelbar angestoßen werden sollten. Hier lassen sich große Milliardenbeträge einsparen. Wenn man das nicht macht, dann werden die Kosten explodieren. Das heißt, die Beiträge steigen immer weiter und der Zuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung wird immer höher, was zukunftsorientierte Ausgaben im Haushalt verdrängt. Schon heute sind es etwa 120 Milliarden Euro, Tendenz stark ansteigend.
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ZDFheute: Wie ist das dem Laien eigentlich zu erklären: Wir machen so viele Schulden wie nie zuvor, aber trotzdem fehlt das Geld?
Grimm: Die Reihenfolge hätte umgekehrt sein müssen: Man hätte sich erst auf Reformen verständigen müssen und dann überlegen müssen, welche Spielräume brauchen wir denn aktuell dringend, zum Beispiel wegen sicherheitspolitischer Herausforderungen. Das wäre der richtige Weg gewesen. Jetzt ist viel Geld da - aus dem Sondervermögen und der Aufhebung der Schuldenbremse für die Verteidigungsausgaben - und darüber hinaus will man sich durch eine weitere Reform der Schuldenbremse noch zusätzliche Spielräume schaffen. Das geht aber nicht ewig so weiter.

Das Modell, auf Kosten künftiger Generationen über die eigenen Verhältnisse zu leben kommt zu einem Ende, wenn die Schulden zu hoch werden.

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise

Die in dieser Legislatur geplante Schuldenaufnahme von 850 Milliarden Euro entspricht etwa 50 Prozent des Schuldenstands von 1,7 Billionen Euro, den wir seit dem zweiten Weltkrieg akkumuliert haben. Irgendeine Regierung muss Reformanstrengungen vornehmen, je früher, desto erfolgsversprechender.
ZDFheute: Im Koalitionsvertrag steht, dass die Ausweitung der Mütterrente schon ab 2027 kommen soll - ein zentrales Wahlversprechen der CSU. Wie passt das zu diesem Haushalt?
Grimm: Diese Wahlgeschenke, die man im Koalitionsvertrag und schon zuvor versprochen hat, die sind eigentlich nicht zeitgemäß. Mehr Mütterrente, Agrardieselsubventionen oder die Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie - das sind alles Ausgaben, für die einzelne Parteien ihre Gründe haben mögen, aber das ist eben nicht zielführend in einer Zeit, wo wir wirklich großen Konsolidierungsbedarf haben.
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ZDFheute: Im Etatentwurf steht auch, die Regierung setze ab 2027 vor allem auf stärkeres Wirtschaftswachstum. Aber wird der neue Zolldeal mit Trump das Wirtschaftswachstum nicht eher drücken?
Grimm: Es wird extrem herausfordernd, die Schulden über ein dynamisches Wachstum abzufedern. Der Zolldeal mit den 15 Prozent auf Exporte in die USA wird dazu führen, dass erst mal das Wachstum gedämpft wird. Zusätzlich hat die EU noch versprochen, Rüstungsgüter, Energie und zusätzlich Waren aus den USA zu kaufen.

Wir werden also die Verschuldungs-Spielräume nutzen, um in den USA einzukaufen: Uns bleiben die Schulden, in den USA findet die Wertschöpfung statt - das ist natürlich keine Wachstumsstrategie.

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise

Man setzt in Deutschland immer noch sehr auf das Prinzip Hoffnung.
Das Interview führte Christiane Hübscher, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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