Per Los zum Wehrdienst: Woher kommt die Idee?

Rekruten für die Bundeswehr:Per Los zum Wehrdienst: Woher kommt die Idee?

von J. Schneider und J. Henrich

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Die Wehrpflicht soll neu geregelt werden - und dabei könnte das Los entscheiden, wer tatsächlich eingezogen wird. Das Prinzip sorgt für Diskussionen, doch neu ist die Idee nicht.

Berlin, Deutschland, 15.10.2025: Bundeskanzleramt: Kabinettssitzung: Die Minister sitzen um Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Kabinettstisch

Der Plan von Union und SPD, junge Männer für die Musterung per Los auszuwählen, ist gescheitert. Jetzt kritisiert die Union Verteidigungsminister Pistorius scharf.

15.10.2025 | 3:13 min

Trotz des Widerstands in der SPD-Fraktion gegen ein Losverfahren beim Wehrdienst hält die Union an der Idee fest. "Ich sehe es nicht so, dass das Losverfahren aus dem Rennen ist", sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Röwekamp, am Mittwoch in Berlin.

Was ist mit dem "Losverfahren" genau gemeint und darf eine so entscheidende Frage wie die Pflicht zum Wehr- bzw. Ersatzdienst dem Zufall überlassen werden?

Was soll das Losverfahren regeln?

Das Losverfahren bedeutet: Nicht alle, die theoretisch wehrpflichtig sind, müssen tatsächlich dienen. Stattdessen entscheidet der Zufall, wer eingezogen wird, wenn sich nicht genug Freiwillige melden. So sollen Belastung und Pflicht gerecht verteilt werden, ohne dass persönliche Kriterien oder soziale Unterschiede eine Rolle spielen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius geht trotz des Streits über das Wehrdienstgesetz davon aus, dass der Zeitplan zur Umsetzung steht. "Das Ziel bleibt, dass das Gesetz zum 1. Januar in Kraft tritt", sagte der SPD-Politiker am Rande einer Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestags in Berlin.

Diana Zimmermann im Schaltgespräch mit der heute

Die Regierungskoalition von Union und SPD streitet weiterhin über den Gesetzentwurf zum Wehrdienst. ZDF-Korrespondentin Diana Zimmermann mit einer Einschätzung.

15.10.2025 | 1:15 min

Gab es in Deutschland schon einmal ein Losverfahren?

Ja. Zwischen 1960 und 1965 wurde in der Bundesrepublik ein Losverfahren eingesetzt, um zu bestimmen, wer zum Wehrdienst eingezogen wird. Damals war die Situation aber genau umgekehrt: Der Bedarf der Bundeswehr war geringer als die Zahl der Wehrpflichtigen - also entschied das Los über die Reihenfolge der Einberufung.

Das Verfahren wurde 1965 wieder abgeschafft, als die Auswahl stärker nach Eignung und Bedarf erfolgte.

Britta Haßelmann bei der ZDF-Sendung Moma am 15.10.2025

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann hat das vorläufige Scheitern eines Kompromisses für einen neuen Wehrdienst als "total amateurhaft" kritisiert. Die Idee eines Losverfahrens werde der Lage nicht gerecht.

15.10.2025 | 6:49 min

Warum wird das Thema jetzt wieder diskutiert?

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine diskutieren Politik und Gesellschaft erneut über die Wehrpflicht. Ein Vorschlag von Union und SPD sieht vor, dass künftig alle 18-jährigen Männer einen Fragebogen zu ihrer Dienstbereitschaft ausfüllen.

Wenn nicht genug Freiwillige gefunden werden, könnte - wie in den 1960ern - das Los entscheiden, wer zur Musterung eingeladen und möglicherweise zum Dienst verpflichtet wird.

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Minister Pistorius soll SPD-Politikerin Möller brüskiert haben, ihre Pressekonferenz zum Wehrdienst verhindert haben. Er habe bei ihr aber "keine Tränen gesehen", sagt Pistorius.

15.10.2025 | 0:30 min

Woher kommt die Idee ursprünglich?

Die Wurzeln des Losverfahrens reichen bis in die Antike zurück: Schon im Athen vor knapp 2.500 Jahren wurden politische Ämter per Los vergeben, um Chancengleichheit zu sichern. In der modernen Demokratie taucht das Prinzip wieder auf - etwa bei Bürgerräten, in denen per Zufall ausgewählte Menschen politische Themen beraten. In beiden Fällen geht es um Fairness und Repräsentation: Jede und jeder soll die gleiche Chance haben, Verantwortung zu übernehmen.

Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz Quentin Gärtner

In der Debatte um den neuen Wehrdienst werde die junge Generation nicht miteinbezogen, sagt Quentin Gärtner von der Bundesschülerkonferenz. Das sei so nicht akzeptabel.

14.10.2025 | 15:29 min

Wie tragisch eine solche Losentscheidung aber auch sein kann, zeigt das Beispiel der Vietnamkriegs-Lotterie. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre veranstaltete die US-Regierung mehrere im Fernsehen übertragene Auslosungen, die darüber entschieden, welche jungen Amerikaner im Alter zwischen 18 und 25 Jahren zum Wehrdienst antreten mussten. In einer Glasschüssel lagen dabei 366 Kugeln, eine für jeden Tag des Jahres. Wer an einem der gezogenen Tage Geburtstag hat, musste damit rechnen, nach Vietnam geschickt zu werden.

Wie läuft das in Dänemark, dem oft genannten Vorbild?

In Dänemark besteht Wehrpflicht, aber nur ein Teil eines Jahrgangs wird tatsächlich einberufen. Alle jungen Männer werden zunächst registriert und gemustert. Nach einem digitalen Gesundheitsfragebogen, Informationen zu Militär und Katastrophenschutz, einem Test und einer medizinischen Untersuchung wird unter den Wehrfähigen gelost. Reichen die Freiwilligen nicht aus, werden die mit den niedrigsten Losnummern einberufen.

Schaltgespräch zwischen Marietta Slomka und Thomas Wiegold

"Die Bundeswehr hat keine Ahnung, wenn morgen die Wehrpflicht eingeführt würde, wen sie denn eigentlich holen könnte", sagt der Journalist Thomas Wiegold zur Wehrpflichtsdebatte.

15.10.2025 | 5:31 min

Seit 2022 war das Losverfahren in Dänemark nicht nötig, da 100 Prozent der Wehrdienstleistenden ihren Dienst freiwillig absolviert haben. Die Zahl der Freiwilligen hat seit 2006 (76 Prozent) jedes Jahr zugenommen. Im Jahr 2024 wurden in Dänemark 4.679 Personen als Wehrpflichtige einberufen (davon 3.576 Männer und 1.103 Frauen).

Aktive Soldaten in Deutschland

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In Deutschland haben 2024 rund 10.100 Männer und Frauen freiwillig Wehrdienst geleistet, davor lag die Zahl jahrelang zwischen 8.000 und 10.000.

Wäre ein Losverfahren in Deutschland rechtlich zulässig?

Ebenfalls diskutiert wird, ob ein Losverfahren in Deutschland mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, dass bei der Auswahl junger Menschen für einen Wehrdienst der Grundsatz der sogenannten Wehrgerechtigkeit beachtet werden müsse.

Das bedeutet: Weil der Staat so tief in die Lebensgestaltung junger Menschen eingreift, braucht die Auswahl vertretbare Kriterien, so ZDF-Rechtsexpertin Charlotte Greipl.

Wenn man auswählt, dann darf man keine willkürlichen Kriterien anlegen.

Charlotte Greipl, ZDF-Rechtsexpertin

Charlotte Greipl aus der ZDF-Redaktion Recht & Justiz

Auch bei der Einberufung per Los bleibe das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, erklärt ZDF-Rechtsexpertin Greipl. Ob das Modell rechtlich zulässig ist, sei nicht einfach zu sagen.

14.10.2025 | 7:09 min

Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo Di Fabio hält es für möglich, dass ein Losverfahren diese Voraussetzung erfüllt. In einem von der CDU/CSU-Fraktion in Auftrag gegebenen Gutachten führte er aus, dass eine auf Zufall basierende Auswahl kein willkürliches Verfahren darstelle, da alle Beteiligten die gleichen Chancen hätten, ausgewählt zu werden.

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Union und SPD ringen um die Wehrpflicht: Freiwilligkeit soll bleiben, andere Elemente sind möglich. Andere europäische Länder haben alternative Modelle.

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