Precht bei "Lanz": Merz' "Stadtbild"-Aussage war "völlig harmlos"

Debatte über Meinungsfreiheit bei "Lanz":Precht: "Stadtbild"-Aussage von Merz war "völlig harmlos"

von Bernd Bachran

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Richard David Precht kritisiert eine gesunkene "Meinungstoleranz" hierzulande. Frauke Brosius-Gersdorf fordert die rechtliche Verpflichtung zu Pluralität in sozialen Medien.

Richard David Precht spricht in der Sendung "Markus Lanz" am 27. November 2025.

Sehen Sie hier die Sendung Markus Lanz vom 27. November 2025.

27.11.2025 | 74:53 min

Richard David Precht warnte am Donnerstagabbend bei "Markus Lanz" vor einem "Erregungsklima" in der deutschen Gesellschaft. "Wenn wir alle sehr sensibel sind und wenn wir alle sehr emotional sind, dann sind wir auch ständig eingeschnappt", so der Philosoph. "Dann ertragen wir nicht mehr, dass jemand die Dinge deutlich anders sieht als wir."

Grund dafür sei, "dass wir in bestimmter Hinsicht nicht mehr richtig erwachsen werden". Man dürfe heute zwar seine Gefühle zeigen, über seine Gefühle reden. "Das ist eine gute Entwicklung. Wir sind sensibler geworden." Das sei auch in Hinblick auf die moralische Entwicklung gut. Aber:

Die Debatten [werden] heute erregter geführt. Die Urteile werden schneller gefällt, sie werden Fallbeil-artiger gefällt.

Richard David Precht, Philosoph

Daher könne eine "relativ harmlose Aussage" zu "sehr starken sozialen Kosten" führen.

Stadtbildaussage

Merz' Stadtbild-Äußerungen sorgen für reichlich Diskussionsstoff in Deutschland: Haben verwahrloste Innenstädte mit Migration zu tun? Wir schauen uns Innenstädte an und hören uns um.

25.10.2025 | 6:00 min

Precht: Merz' "Stadtbild"-Aussage war harmlos

Die "Stadtbild"-Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz sei eine solche "harmlose Aussage", in die man "alles Mögliche hineininterpretieren" könne. Im Gegensatz zu Menschen, die sich darüber "maßlos aufgeregt" hätten, hätte seine Anschlussfrage gelautet:

Ich denke, du hast ein Problem mit Kriminalität am Bahnhof.

Richard David Precht, Philosoph

Und weiter: "Jetzt würde ich doch gerne von dir - du bist Bundeskanzler und nicht Medienvertreter - mal ganz genau wissen, was du jetzt vorhast, während deiner Regierungszeit Wirkungsvolles zu tun, um dieses Problem zu lösen."

Statt dieser berechtigten Anschlussfrage habe es aber eine "Riesenaufregung und -empörung" gegeben: "Friedrich Merz wurde als 'Rassist' bezeichnet. Wenn wir mit dem Begriff 'Rassist' so leichtfertig umgehen, dann nehmen wir langfristig dem Begriff 'Rassist' seine Bedeutung."

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Rund 30 Teilnehmer verlassen aus Protest gegen Bundeskanzler Merz bei der Verleihung des Talisman-Preises kurzzeitig den Saal. Grund war seine umstrittene Aussage zum Stadtbild.

20.11.2025 | 0:34 min

Precht: Meinungstoleranz gesunken

Dieses "erregte Debattenklima" resultiere aus einer gesunkenen "Meinungstoleranz". Precht sagte: "Wenn ich den Meinungskorridor verenge, dann wird es immer Leute geben, die davon profitieren." Und zwar diejenigen, "die außerhalb dieses Narrativs stehen":

In der letzten Zeit [waren es] insbesondere die Rechten (...), die all das angesprochen haben, sei es richtig, sei es falsch, was im öffentlichen Diskurs nicht sagbar war oder als Meinung sofort bekämpft wurde.

Richard David Precht, Philosoph

Eigentlich verenge man den Meinungskorridor, "um radikale Meinungen nicht groß werden zu lassen", erreiche damit aber genau das Gegenteil: "Je geringer der Meinungskorridor wird, umso mehr gibt man radikalen Kräften dadurch einen Aufschwung."

Deswegen sollten liberale Demokratien ein "möglichst breites Meinungsspektrum abdecken", mit Ausnahme strafrechtlicher Grenzen: "In dem Moment, wo jemand beleidigt, verunglimpft, Volksverhetzung begeht oder Gewalt androht, gehören seine Meinungen nicht in den öffentlichen Raum."

EU leaders' summit in Brussels

Der Bundeskanzler Friedrich Merz äußerte sich gestern in London zu seiner „Stadtbild“-Aussage. Politisch ebbt die Debatte ab, gesellschaftlich wird dennoch weiter diskutiert.

23.10.2025 | 1:13 min

Brosius-Gersdorf: Internet verändert Kommunikationskultur

Die Meinungsfreiheit, das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürdegarantie seien juristisch gewährleistet, erklärte Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf. Weil "sich heute jedermann im Internet massenmedial äußern kann", habe sich die "Kommunikationskultur" verändert.

Mit Blick auf die Meinungsbildung in sozialen Medien forderte Brosius-Gersdorf Verbesserungen auf rechtlicher Ebene: "Warum denken wir nicht mal über eine Pluralitätsverpflichtung nach, auch für die sozialen Medien?"

Mehr Perspektivenvielfalt, mehr Vielfalt an gesellschaftlichen Meinungen im Newsfeed abzubilden, das wäre ein Mittel, wie man dem entgegenwirken könnte.

Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtswissenschaftlerin

Das Grundgesetz Artikel 5 - Meinungsfreiheit

Das Recht auf Meinungsfreiheit beinhaltet auch die Akzeptanz anderer Meinungen - und es schützt nicht vor Kritik. Doch diese wird in der Gesellschaft zunehmend als Canceln empfunden.

28.09.2025 | 4:30 min

Marinić: Meinungsfreiheitsdebatte legt uns lahm

Autorin Jagoda Marinić betonte "im Gegensatz zu dieser Gefahrendiagnose": "Manchmal vergessen wir, die Probleme, die Sachlichkeit, die Lösungskultur in den Mittelpunkt zu stellen - durch die Metaebene (...): Haben wir Meinungsfreiheit oder nicht?"

In der Meinungsfreiheitsdebatte würden sich "alle als Opfer" inszenieren:

Wir legen uns mit unseren eigenen Diskussionen lahm, verlieren unglaublich viele Menschen, die wir eigentlich bräuchten, um Meinungen plural zu diskutieren (...) und um die bestmöglichen aller schlecht möglichen Lösungen zu finden.

Jagoda Marinić, Autorin

Marinić zufolge solle Deutschland "für eine Sachlichkeit, für einen lösungsorientierten Diskurs und für die intellektuellen Ressourcen stehen, die wir gemeinsam haben", um Lösungen zu fokussieren und "den Weg nach vorne" zu kommen.

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