Nach US-Bericht: Ist die Meinungsfreiheit in Gefahr?

Bericht des US-Außenministeriums:Ist die Meinungsfreiheit in Gefahr?

von Charlotte Greipl und Philip Traxel
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Ein US-Bericht zur Menschenrechtslage in Deutschland sorgt für Aufruhr. Doch ist die Kritik berechtigt? Zwei Wissenschaftler ordnen ein.

US Außenminister Marco Rubio in Washington. (Archiv)
Ein Bericht aus dem US-Außenministerium sieht die Meinungsfreiheit in Deutschland eingeschränkt. Die Bundesregierung will das so nicht stehen lassen.
Quelle: ddp

Der erste Satz, ein Paukenschlag: "Die Menschenrechtslage in Deutschland hat sich im Laufe des Jahres verschlechtert." So beginnt der Jahresbericht des US-Außenministeriums zur Lage der Menschenrechte in Deutschland im Jahr 2024, der Anfang der Woche in Washington vorgestellt wurde.
Jedes Jahr veröffentlicht die US-Regierung sogenannte "Country Reports on Human Rights Practices" zur Lage von Menschenrechten und Arbeitnehmerrechten in zahlreichen Staaten weltweit. Auch für Deutschland werden dabei - betrachtet durch die amerikanische Brille - regelmäßig Herausforderungen für Meinungs- und Pressefreiheit konstatiert. Doch in diesem Jahr ist das Urteil ungleich härter.

Einschränkung der Meinungsfreiheit bei extremistischen Gruppen

Die Meinungs- und die Pressefreiheit würden von der Verfassung garantiert und von der Regierung generell respektiert, so beginnt das Kapitel zur Pressefreiheit in Deutschland.
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Doch die Bundesregierung habe "in Übereinstimmung mit nationalem Recht die Meinungsäußerung von Gruppen eingeschränkt, die sie als extremistisch einstufte." Als Beispiel wird das Vorgehen gegen Personen genannt, die aus Sicht der Behörden "zu Rassenhass aufstachelten, den Nationalsozialismus befürworteten oder den Holocaust leugneten".
In diesem Aspekt ähnelt der Berichten jenen aus den vergangenen Jahren. Die Formulierung ist fast wortgleich wie in dem Bericht, der 2024 unter dem damaligen Präsidenten Joe Biden veröffentlicht wurde. Nur sprach die Zusammenfassung damals nicht von "significant human rights issues", also bedeutenden Problemen der Menschenrechte.
Dass die Meinungsfreiheit in Deutschland eingeschränkt werden darf - insofern gibt der Bericht die Ausgangslage jedenfalls korrekt wider.
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Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein zentrales Grundrecht - aber es gelten Grenzen: So darf sie gesetzlich eingeschränkt werden, etwa zum Schutz der Jugend oder dem Schutz der persönlichen Ehre, wie es im Grundgesetz heißt. Zudem fallen in Deutschland Äußerungen, die die NS-Zeit verherrlichen, nicht unter die Meinungsfreiheit und sind sogar strafbewehrt.
In den USA ist das anders: Im First Amendment, dem ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, werden Religions-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit unter besonderen Schutz gestellt. Dem Kongress ist es explizit untersagt, Gesetze zu erlassen, die diese Rechte einschränken.
Richard Traunmüller, Politikwissenschaftler und Professor für empirische Demokratieforschung an der Universität Mannheim, sieht einen der Gründe für die strenge Bewertung im US-Bericht in dem unterschiedlichen Verständnis von Meinungsfreiheit auf beiden Seiten des Atlantiks.
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Doch aus seiner Sicht gibt es in Deutschland auch Tendenzen, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Traunmüller verweist in diesem Zusammenhang auf das - gerichtlich wieder aufgehobene - Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins und die sogenannte Schwachkopf-Affäre, die Hausdurchsuchung aufgrund einer Beleidigung von Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Vorgehen gegen Hassrede

Als weiteren Beleg für die Einschränkung der Meinungsfreiheit nennt der US-Bericht die Pflicht von Sozialen Netzwerken, Hassrede zu melden. "Das Gesetz verpflichtete Internetunternehmen, darunter auch US-amerikanische Internetplattformen, Hassreden innerhalb von 24 Stunden zu entfernen, andernfalls drohten ihnen hohe Geldstrafen", heißt es dazu.
Der Bericht spricht in diesem Zusammenhang von Zensur - ein Vorwurf, der in den bisherigen Berichten nicht erhoben wurde.
Richtig ist, dass Onlineplattformen in Europa einer strengen Regulierung unterliegen. Der Digital Services Act zwingt sie unter anderem dazu, gegen Hass und Hetze vorzugehen - anders als in den USA.
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Eine Zensur, die das Grundgesetz ausdrücklich verbietet, würde jedoch voraussetzen, dass Inhalte wie Artikel, Bücher oder Filme vorab staatlichen Stellen vorgelegt und nur nach einer vorherigen Prüfung veröffentlicht werden dürften. Doch eine solche Prüfung schreiben deutsche und europäische Gesetze gerade nicht vor.
Aus Sicht von Margrit Seckelmann, Professorin für Öffentliches Recht und das Recht der digitalen Gesellschaft an der Universität Hannover, liegt auch hier der scharfe Ton des Berichts daran, dass nach amerikanischem Recht online viel mehr gesagt werden kann als nach deutschem.
Doch wenn US-Konzerne in Deutschland tätig sind, dann müssten sie sich auch an die hier geltenden Regeln halten, betont sie.

Wer seine Dienste in Deutschland anbietet, der unterwirft sich auch den deutschen beziehungsweise europäischen Regelungen – und damit auch unseren Vorstellungen von Meinungsfreiheit.

Margrit Seckelmann

Aber ist das alles? Liegt die kritische Haltung der US-Administration wirklich nur an dem anderen Verständnis von Meinungsfreiheit?

Dahinter stecken sicherlich auch finanzielle Interessen der Tech-Konzerne.“

Margrit Seckelmann

Hassbotschaften herauszufiltern, zu löschen und gegebenenfalls anzuzeigen - all das kostet Geld, das sich die US-Konzerne gerne sparen würden.
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Experte: Bericht in Ruhe anschauen

Politikwissenschaftler Traunmüller plädiert dafür, sich den Bericht in Ruhe anzuschauen und die Kritik ernst zu nehmen. Er bewertet die jährlichen Menschenrechtsberichte des US-Außenministeriums als grundsätzlich fundiert und vertrauenswürdig.
Auffällig ist jedoch: Staaten wie El Salvador, denen von internationalen Organisationen immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, kommen vergleichsweise glimpflich davon.

Der Verdacht einer politischen Voreingenommenheit liegt da nahe.

Richard Traunmüller

Dazu kommt: US-Vizepräsident J.D. Vance hatte bereits Mitte Februar auf der Münchener Sicherheitskonferenz einen angeblichen Verlust von Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa beklagt. Vieles an der im Bericht geäußerten Kritik der US-Administration an Deutschland ist also gar nicht neu.
Auch AfD-Chef Tino Chrupalla machte die Meinungsfreiheit im ZDF-Sommerinterview zum Thema: Die freie Meinungsäußerung sei in Deutschland "absolut gefährdet" und werde immer mehr beschnitten, "indem wir viele Meldestellen sehen, wo Äußerungen auf die Goldwaage gelegt und aus dem Kontext gerissen werden".

Gerichte entscheidend für Schutz der Meinungsfreiheit

Ist die Meinungsfreiheit also in Gefahr? Dafür sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Eine ist die individuell empfundene Möglichkeit, seine Meinung frei zu äußern, die nach Umfragen des Allensbach-Instituts in der Tat seit Jahren immer weiter abnimmt.
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Etwas anderes ist jedoch die rechtliche Betrachtung der Meinungsfreiheit. Hier hat sich in den letzten Jahren wenig getan: Die Regelungen sind überwiegend gleich geblieben, auch wenn es vereinzelt Änderungen gibt, etwa eine Erweiterung des Tatbestands der Volksverhetzung mit Blick auf Kriegsverbrechen.
Für die Bekämpfung von Hass und Hetze im Netz gibt es vor allem neue Regeln für Plattformbetreiber, was dazu führt, dass mehr Äußerungen erfasst werden.
Entscheidend sind für den Schutz der Meinungsfreiheit letztlich aber vor allem die Gerichte, die im Einzelfall verbindlich entscheiden, was gesagt werden darf und die - im Falle des Bundesverfassungsgerichts - sogar Gesetzesänderungen kassieren können. An deren Unabhängigkeit und Integrität lässt auch der US-Bericht keine Zweifel erkennen.
Charlotte Greipl und Philip Traxel arbeiten in der Rechtsredaktion des ZDF.
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