Trump und Co.: Zivilgesellschaft im Würgegriff von Autokraten
Repression statt Rechte:Zivilgesellschaft im Würgegriff von Autokraten
von Marcel Burkhardt
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85 Prozent der Menschen leben in Ländern mit stark eingeschränkten demokratischen Rechten. Der "Atlas der Zivilgesellschaft" zeigt, wie autoritäre Mächte global durchgreifen.
Die Zivilgesellschaft ist laut einem aktuellen Report vielerorts auf der Welt bedroht. (Symbolbild)
Quelle: dpa
"Es sind bedrohliche Zeiten für die Zivilgesellschaft weltweit": Dagmar Pruin, Präsidentin der Hilfsorganisation "Brot für die Welt", kommt direkt zum wunden Punkt.
Demokratie und Menschenrechte werden weltweit in einer Weise angegriffen, wie wir es seit Jahrzehnten nicht erlebt haben.
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Dagmar Pruin, Präsidentin von "Brot für die Welt"
Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Schutz vor staatlicher Willkür seien in immer mehr Ländern bedroht oder gar nicht mehr vorhanden - das ist eines der zentralen Ergebnisse des achten "Atlas der Zivilgesellschaft", den "Brot für die Welt" am heutigen Montag in Berlin veröffentlicht hat.
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Die Hilfsorganisation stützt sich dabei auf eigene Recherchen und Bewertungen von Civicus, eines weltweiten Netzwerkes für bürgerschaftliches Engagement.
Atlas: Stark eingeschränkte Zivilgesellschaft weltweit
Dem Report zufolge leben aktuell mehr als 85 Prozent der Weltbevölkerung, also rund sieben Milliarden Menschen, in Ländern, in denen staatliche Akteure und andere Einflussnehmer den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft stark einschränken oder sogar vollständig unterdrücken.
Ohne Rede-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit fehlt das Lebenselixier zivilgesellschaftlichen Engagements.
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Dagmar Pruin, Präsidentin von "Brot für die Welt"
Hinter den Einschränkungen zivilgesellschaftlichen Handelns beobachten "Brot für die Welt" und seine Partnerorganisationen in vielen Ländern Asiens, Afrikas, des Nahen Ostens und Amerikas ein besorgniserregendes Muster: Rechtsstaatliche Mechanismen werden zunehmend ausgehöhlt und unterwandert.
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"Wenn geltendes Recht missachtet oder missbraucht wird, wenn neues Recht geschaffen wird, um Andersdenkende auszuschalten, wenn die Institutionen, die Rechte verteidigen sollen, angegriffen werden, dann gilt irgendwann nur noch das Recht des Stärkeren", so Dagmar Pruin.
Angriffe auf demokratische Gewaltenteilung in den USA
Beispiel USA: Dort habe es ein "noch nie dagewesenes Ausmaß" an Drohungen von Anhängern der "Make America Great Again"-Bewegung gegen Richterinnen und Richter in Verfahren gegeben, die mit Donald Trump zu tun hatten, so das Brennan Center for Law mit Hauptsitz in New York.
Die Zahl der Bedrohungen von Bundesrichterinnen und -richtern verdoppelte sich demnach zwischen 2021 und 2024. Seit Trumps zweitem Amtsantritt haben die Angriffe auf die demokratische Gewaltenteilung zugenommen und auf großer Bühne hat sich der Ton weiter verschärft. So erklärte US-Vizepräsident J.D. Vance, Richter hätten "kein Recht, die legitime Macht der Exekutive zu kontrollieren".
Politische Tabubrüche, strategische Desinformation und die Instrumentalisierung der Meinungsfreiheit in Washington, Berlin und Brüssel: Wie wehrhaft sind unsere Demokratien wirklich?07.05.2025 | 54:10 min
Das Wirken von US-Präsident Trump
Die Angriffe auf Judikative, Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Aktivisten glichen einem Feldzug, bilanziert Dagmar Pruin auf ZDFheute-Nachfrage. Mit vielen Dekreten schränke US-Präsident Trump Freiheitsrechte ein. Hinzu komme:
Die Äußerungen des Präsidenten sind teils menschenverachtend und stellen fundamentale Menschenrechte infrage.
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Dagmar Pruin, Präsidentin von "Brot für die Welt"
Durch derlei Verhalten verspürten autoritäre Regierungen weltweit Rückenwind.
Argentinischer "Kettensägen"-Präsident Milei mit Kahlschlag
Tatsächlich sind "die Männer mit den Kettensägen" derzeit weltweit aggressiv im Vormarsch. Ein Beispiel: Der argentinische Rechtspopulist Javier Milei versprach 2023, er werde die Verwaltung seines Landes zerschlagen und die aus seiner Sicht unnötigen Behörden kurz und klein sägen.
Seit über einem Jahr ist der argentinische Präsident Javier Milei im Amt: Mit seinem Sparkurs konnte er die Inflation senken, aber vor allem viele Rentner haben es schwer.10.12.2024 | 2:00 min
Seit seinem Wahlsieg im November 2023 orchestriert Milei als Präsident jenen Kahlschlag bei der staatlichen Fürsorge, während er Polizei und Geheimdienste aufrüstet. "Mileis aggressiver Tonfall ist heute rund um die Welt zu hören", heißt es im "Atlas der Zivilgesellschaft". Global wachse der Einfluss rechtsextremer, rechtslibertärer und populistischer Akteure.
Pruin: Zivilgesellschaft auch in Deutschland nicht selbstverständlich
In einer Zeit großer Konflikte und "geopolitischer Umwälzungen" seien Demokratie, Rechtsstaat und eine starke Zivilgesellschaft nicht selbstverständlich - "auch nicht in Deutschland", sagt Dagmar Pruin.
Zur Erinnerung: Bis 2023 galt die Bundesrepublik als Staat mit einer "offenen" Zivilgesellschaft. Dann stufte der "Atlas der Zivilgesellschaft" Deutschland aus der höchsten Kategorie in "beeinträchtigt" ab. Ein Grund: Menschenrechtsorganisationen sehen größer werdende Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit in Deutschland.
2024 ist die Zahl politisch motivierter Straftaten in Deutschland stark gestiegen. Die größte Gefährdung für die Demokratie gehe vom Rechtsextremismus aus, so der Innenminister.20.05.2025 | 2:45 min
Forderungen an die Bundesregierung
Vor diesem Hintergrund formuliert Pruin klare Forderungen: "Wir erwarten von der neuen Bundesregierung und den Bundesländern, dass demokratisches zivilgesellschaftliches Engagement geschützt und gestärkt wird." Zudem müsse sich die deutsche Außenpolitik "weltweit für eine handlungsfähige Zivilgesellschaft, unabhängige Gerichte und freie Medien einsetzen", so Pruin.
Ohne freie Zivilgesellschaft kann es keine lebendige Demokratie und keinen Einsatz für mehr Gerechtigkeit geben.
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Dagmar Pruin, Präsidentin von "Brot für die Welt"
Die Zivilgesellschaft grenzt sich vom staatlichen und wirtschaftlichen Sektor sowie der Privatsphäre ab. Zu ihren Akteuren gehören unter anderem Vereine, Nichtregierungsorganisationen, Verbände, Kirchen sowie soziale Bewegungen. Ihr Engagement basiert auf Selbstorganisation, ist gemeinnützig, nicht gewinnorientiert und parteipolitisch unabhängig.
Zivilgesellschaftliche Organisationen übernehmen vielfältige Aufgaben: Sie unterstützen sozial Benachteiligte und erfüllen zugleich essenzielle demokratische Funktionen. Vereine und Initiativen können gesellschaftliche Missstände aufzeigen, die von staatlichen Institutionen möglicherweise nicht aufgegriffen werden. Dabei sind sie auf grundlegende Rechte wie Meinungsfreiheit, Informationszugang sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit angewiesen.
Eine unabhängige Zivilgesellschaft, die sich an Menschenrechten orientiert, soll die Rolle einer Wächterin einnehmen. Sie setzt sich für die Rechte benachteiligter Gruppen ein, übt politische Kritik, fördert die Mitgestaltung und verlangt von der Regierung Rechenschaft.
Der jährlich erscheinende "Atlas der Zivilgesellschaft" soll verdeutlichen, wie sich der Handlungsraum für die Zivilgesellschaft global entwickelt. Die Hilfsorganisation "Brot für die Welt" hat den Atlas auf der Grundlage eigener Expertise, den Einschätzungen von Partnerorganisationen sowie mit Daten von Civicus erstellt. Civicus ist ein internationaler Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Aktivisten, die sich für die Stärkung von Bürgerinitiativen und Freiheitsrechten einsetzen.
Die Civicus-Daten belegen, dass der Handlungsraum der Zivilgesellschaft nur in 40 Staaten "offen" ist; in diesen Ländern leben insgesamt 284 Millionen Menschen (3,5 Prozent der Weltbevölkerung). Neben zahlreichen europäischen Staaten zählen dazu unter anderem auch Kanada, Uruguay, Jamaika und Japan.
In 42 Staaten ist der Handlungsraum "beeinträchtigt" - neben Deutschland ist das zum Beispiel auch so in Frankreich und Italien, im Kosovo und in den USA. Laut Civicus "beschränken" 35 Länder den zivilgesellschaftlichen Handlungsraum, darunter die Ukraine, Ungarn, Israel, Serbien und Marokko.
51 Staaten "unterdrücken" die Zivilgesellschaft - zum Beispiel die Türkei, Pakistan und Kuwait sowie viele afrikanische Länder wie etwa Libyen, Tunesien, Uganda oder die Republik Kongo. "Geschlossen" ist der Raum für zivilgesellschaftliche Akteure in 29 Staaten, darunter Russland, Aserbaidschan, Afghanistan, Syrien, Saudi-Arabien und China.
Insgesamt gibt es neun Absteiger im Ranking: Niederlande, Georgien, Mongolei, Burkina Faso, Kenia, Peru, Äthiopien, Eswatini, Palästinensische Gebiete. Neun Länder haben sich im Ranking verbessert: Bangladesch, Botswana, Fidschi, Japan, Jamaika, Liberia, Polen, Trinidad und Tobago sowie Slowenien.
Der Civicus-Monitor kombiniert zahlreiche unabhängige Datenquellen, um aktuelle Trends in der Zivilgesellschaft weltweit zu erfassen. Dabei werden Beobachtungen und Bewertungen von über 20 regionalen, nationalen und internationalen zivilgesellschaftlichen Partnern einbezogen. Daten staatlicher Stellen fließen nicht ein.
Im Fokus stehen besonders die Informationen, wie in den jeweiligen Ländern die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheiten in Gesetz, Politik und Praxis geachtet werden. Die externen Analysen führt Civicus dann mit der eigenen Analyse zu diesen Rechten zusammen; beides fließt in die Länderbewertungen ein. Die Staaten werden in fünf Kategorien eingeteilt: "offen", "beeinträchtigt", "beschränkt", "unterdrückt" oder "geschlossen".