80 Jahre Nürnberger Prozesse:Frank: "Meinem Vater gönne ich die Todesstrafe"
von Felix Rappsilber
Der Sohn des "Schlächters von Polen" rechnet bei "Lanz" mit seinem Vater ab. Von Schuld der Nazis zu sprechen, wo man eigentlich Deutsche sagen sollte, sei eine "Verschwiemelung".
Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 20. November 2025 in voller Länge.
20.11.2025 | 76:00 min"Wobei ich grundsätzlich gegen die Todesstrafe bin, aber meinem Vater gönne ich sie rundherum." 80 Jahre nach Beginn der Nürnberger Prozesse befürwortete Niklas Frank die Hinrichtung seines Vaters, des Generalgouverneurs der Nationalsozialisten im besetzten Polen.
Der damals Siebenjährige hatte erlebt, wie sein Vater Hans Frank vor dem Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg schuldig gesprochen und am 16. Oktober 1946 gehängt worden war. Der Sohn des sogenannten "Schlächters von Polen" trug am Donnerstagabend bei "Markus Lanz" ein Foto seines Vaters bei sich, das ihn kurz nach seinem Tod auf einer Bahre liegend zeigt. Das Foto betrachtend sagte Frank: "Er grinst, der Hund."
Niklas Frank ist der Sohn des im Nürnberger Prozess verurteilten "Schlächters von Polen". Frank erinnert an die Prozesse und mahnt, die Nazi-Verbrechen nicht zu verdrängen.
20.11.2025 | 2:56 minFrank: "Warum hast du mitgemacht?"
Für den heute 86-Jährigen bleibt eine Frage: "Warum hast du mitgemacht? Das werde ich mein Leben lang nicht verstehen." Sein Vater sei altkatholisch aufgewachsen, sei sogar Ministrant gewesen und habe in der Weimarer Republik Jura studiert.
Er hat also von Herz, Seele und Verstand genau wissen müssen: Das ist ein Verbrecher-Regime. Und er hat nicht nur daran teilgenommen, sondern es selbst auch vorangebracht.
Niklas Frank, Zeitzeuge
Frank betonte: "Das waren nicht die 'Nazis'. (...) Dieser Begriff der 'Nazis', wo man eigentlich 'Deutsche' sagen sollte, ist für mich die erste Verschwiemelung in unserer Art, die Sache nicht wirklich wahrhaben zu wollen."
Die Nürnberger Prozesse waren das internationale Tribunal zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen. Die Prozesse gelten als die Geburtsstunde des Völkerstrafrechts.
20.11.2025 | 1:59 minFrank: Vater log mich an
Hans Frank, früher Weggefährte Adolf Hitlers und ehemaliger Generalgouverneur im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs, war wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Nürnberger Prozessen zum Tode verurteilt worden. Im Nürnberger Gefängnis erlebte Niklas Frank seinen Vater als "großen Lügenbold". Der zum Tode Verurteilte habe seinem Sohn vom nächsten gemeinsamen Weihnachtsfest erzählt:
Ich saß wirklich da und sagte mir: Warum lügst du? Du weißt doch, dass du gehängt wirst.
Niklas Frank, Zeitzeuge
Dem damals Siebenjährigen war klar: "Das wird der einzige und letzte Besuch, bevor er gehängt wird. Und da war das für mich als Kind unheimlich enttäuschend."
Ambos: "Individuelle Verantwortlichkeit" im Völkerrecht
Am 20. November 1945 hatte im Nürnberger Justizpalast ein Jahrhundertprozess begonnen. Erstmals wurden deutsche Politiker, Militärs und NS-Funktionäre für den Angriffskrieg, Kriegsverbrechen und den Massenmord in Vernichtungslagern zur Verantwortung gezogen.
Völkerrechtler Kai Ambos erläutert die gesellschaftliche und juristische Dimension der Nürnberger Prozesse bei Markus Lanz
Quelle: ZDF/Markus HertrichDie Anklageschrift umfasste 85 Seiten, allein die Verlesung dauerte anderthalb Tage. Die zentralen Anklagepunkte: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Völkerrechtler Kai Ambos erklärte:
Die Verbrechen werden nicht von abstrakten Entitäten begangen, von Kollektiven, sondern von Menschen aus Fleisch und Blut (...) - das ist natürlich die Kernaussage seit Nürnberg.
Kai Ambos, Professor für Straf- und Völkerrecht, Universität Göttingen
Der "Grundsatz individueller Verantwortlichkeit" sei mit dem Nürnberger Prozess ins Völkerrecht übertragen worden, erläuterte Ambos. "Alles, was danach gekommen ist - bis zum Internationalen Strafgerichtshof, bis zu dem Ad-hoc-Tribunal Jugoslawien und alle möglichen Tribunale - berufen sich auf Nürnberg."
Claussen: Angeklagte "sehr heterogene Gruppe"
Historikerin Henrike Claussen beschrieb die Angeklagten des ersten Nürnberger Prozesses als "sehr heterogene Gruppe". Reichsmarschall Hermann Göring habe sich von Anfang an als "zweiter Mann im Staate" inszeniert. Er sei seinen Mitangeklagten, dem Gericht und den Anklägern gegenüber "sehr dominant" aufgetreten und habe versucht, gemeinsame Absprachen mit den anderen Angeklagten zu treffen.
Diese alten Machtstrukturen, diese alten Hierarchien (...) bleiben vorhanden.
Henrike Claussen, Historikerin
Unter den Angeklagten hätten sich Lager gebildet. Sie hätten versucht, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben: "Alle haben auf 'nicht schuldig' plädiert."
Kai Ambos erläuterte, dass der Holocaust an den Juden, das "größte zivilisatorische Verbrechen der Nazis jenseits des Aggressionskrieges", gar nicht voller Gegenstand dieses Verfahrens gewesen sei: "Die gesamte Nazi-Politik (...), die Verfolgung der Sozialdemokraten, der Kommunisten, auch der Juden (...) ab 1933, war gar nicht in der Zuständigkeit des Gerichts."
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