Fragen an Greg Schneider:Warum wissen manche Junge nichts vom Holocaust?
Zwölf Prozent der 18- bis 29-Jährigen haben noch nie etwas vom Holocaust gehört. Warum ist das so? Fragen an Greg Schneider von der "Jewish Claims Conference".
Greg Schneider ist Executive Vice President der Jewish Claims Conference, die jüdische Opfer des Nationalsozialismus und Holocaust-Überlebende vertritt (engl.).
19.09.2025 | 0:45 minZDFheute: Zwölf Prozent der 18- bis 29-Jährigen in Deutschland haben noch nie etwas über den Holocaust gehört. Warum ist das so?
Greg Schneider: Ich denke, das hat etwas mit dem Thema Bildung und Kultur zu tun. Zwölf Prozent ist nicht tragisch, aber: Holocaust-Überlebende sterben.
Deshalb ist es wirklich wichtig, dass wir uns auf Holocaust-Bildung konzentrieren, insbesondere auf die Ausbildung von Lehrkräften, ihnen die richtigen Werkzeuge an die Hand geben und helfen, die Bedeutung und den Kontext zu verstehen.
Damit Lehrer wirklich erklären können, was passiert ist, wie es geschehen konnte und welche Folgen das heute hat.
Greg Schneider, Claims Conference
Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende Eva Kor berichtet von ihrem Verfolgungsschicksal während der NS-Zeit und wie ihr Leben weiterging.
27.05.2025 | 21:50 minZDFheute: Welche Rolle spielen Soziale Medien? Welchen Einfluss haben Fake News in Bezug auf den Holocaust bei TikTok oder Instagram?
Schneider: 54 Prozent der jungen Leute sagen, sie hätten irgendeine Form von Leugnung oder Verzerrung des Holocaust in Sozialen Medien gesehen.
Das Problem bei Sozialen Medien ist, dass sie von Unternehmen betrieben werden, die profitorientiert sind. Sie sind an Klicks interessiert. Es gibt keine Regulierung. Und wenn etwas sensationell ist, fühlen sich Menschen davon angezogen.
Was wir in letzter Zeit sehen, ist die sogenannte Holocaust-Inversion. Also zu sagen, heute seien Israelis die neuen Nazis. Mit Sozialen Medien werden Menschen aus aller Welt miteinander verbunden, die sich in Echokammern des Hasses bewegen. Das ist unglaublich beängstigend.
Viele junge Erwachsene wissen wenig oder nichts über die Schoah bzw. den Holocaust, so die Studie der Jewish Claims Conference von Januar 2025. Viele der 18- bis 29-Jährigen gaben an, nie davon gehört zu haben:
- Frankreich: 46 Prozent
- Rumänien: 15 Prozent
- Österreich: 14 Prozent
- Deutschland: 12 Prozent
- UK: 5 Prozent
- USA: 3 Prozent
- Polen: 2 Prozent
- Ungarn: 1 Prozent
In vielen Ländern wissen große Teile der Bevölkerung nicht, dass 6 Millionen Juden getötet wurden. Eine bemerkenswerte Anzahl glaubt, dass weniger als 2 Millionen Juden ermordet wurden.
- Rumänien: 28 Prozent
- Ungarn: 27 Prozent
- Polen: 24 Prozent
- Frankreich, Österreich und USA: 21 Prozent
- UK: 20 Prozent
- Deutschland: 18 Prozent
In vielen Ländern zweifeln große Teile der Bevölkerung an der genauen Zahl der während des Holocausts getöteten Juden. Eine hohe Anzahl glaubt, dass die Zahl übertrieben wurde.
- Frankreich und Österreich: 25 Prozent
- Deutschland: 24 Prozent
- Polen und Rumänien: 23 Prozent
- Ungarn: 19 Prozent
- UK: 17 Prozent
- USA: 16 Prozent
48 Prozent der Amerikaner sowie ein Viertel der Erwachsenen im Vereinigten Königreich, in Frankreich und Rumänien konnten kein einziges der mehr als 40.000 Lager nennen, die während des Zweiten Weltkriegs errichtet wurden. (Deutschland und Ungarn: 18 Prozent, Österreich: 10 Prozent, Polen: 7 Prozent).
Mehr als 50 Prozent der Befragten glauben, dass der Holocaust sich wiederholen könnte.
- USA: 76 Prozent
- UK: 69 Prozent
- Frankreich: 63 Prozent
- Österreich: 62 Prozent
- Deutschland: 61 Prozent
- Polen: 54 Prozent
- Ungarn: 52 Prozent
- Rumänien: 44 Prozent
In allen befragten Ländern glauben die überwältigende Mehrheit der Erwachsenen (neun von zehn oder mehr), dass es wichtig ist, weiterhin über den Holocaust zu unterrichten.
- USA und Polen: 96 Prozent
- Deutschland und UK: 94 Prozent
- Frankreich und Rumänien: 93 Prozent
- Ungarn: 91 Prozent
- Österreich: 90 Prozent
Die Forderung einiger TV-Sender, Israel vom ESC auszuschließen, erschüttere Holocaust-Überlebende. Das sagt Greg Schneider von der "Claims Conference" im ZDF (engl.).
17.09.2025 | 0:55 minZDFheute: Würden Sie sagen, dass sich manche junge Menschen gar nicht für das Thema interessieren?
Schneider: Je weiter wir uns vom Holocaust entfernen, desto mehr stellen wir fest: Viele kennen gar keine Überlebenden mehr. Sie haben nie selbst einen Überlebenden getroffen. Weniger Menschen gehen in Holocaust-Museen, haben einen unmittelbaren Kontakt.
Es wird für junge Menschen irrelevant. Es ist, als sei der Holocaust etwas, das vor 100 oder 1.000 Jahren passiert ist. Es hat nichts mit ihrem Leben zu tun. Wir stellen auch deswegen Geschichten von Holocaust-Überlebenden auf TikTok oder Instagram.
Es ist unvermeidlich, dass Holocaust-Überlebende sterben. Wir verlieren viele Überlebende. Aber ihre Stimmen müssen nicht mit ihnen sterben.
Greg Schneider, Claims Conference
ZDFheute: Gerade durften die Münchner Philharmoniker und ihr israelischer Dirigent Lahav Shani nicht in Belgien auftreten. Was bedeutet so eine Konzert-Absage für Holocaust-Überlebende?
Schneider: Das ist verheerend. Einfach verheerend.
Soll sich Deutschland vom ESC zurückziehen, wenn Israel ausgeschlossen werden sollte? Greg Schneider von der "Claims Conference" verweist auf die dunkle Vergangenheit Deutschlands (engl.)
19.09.2025 | 0:32 minZDFheute: Weil Überlebende sagen: So hat es vor 90 Jahren auch angefangen? Mit Bühnenverboten?
Schneider: Wir sehen die Parallele natürlich mit Sorge. Aber es gibt heute zwei grundlegende Unterschiede. Erstens: Es ist nicht staatlich verordnet. Damals war es staatlich verordnet. Heute bekämpft der Staat - zumindest in Deutschland - das.
Zweitens: die Existenz des Staates Israel. Solange es Israel gibt, wird es immer einen sicheren Zufluchtsort für Juden geben.
Die Münchner Philharmoniker mit ihrem künftigen israelischen Dirigenten Lahav Shani durften nicht in Belgien auftreten.
12.09.2025 | 2:17 minZDFheute: Ist es in Ordnung, die israelische Regierung wegen des Vorgehens in Gaza zu kritisieren?
Schneider: Natürlich, so wie jede andere Regierung auch. Das ist Meinungsfreiheit. Und es gibt Wahlen. Die Menschen können jede Regierung wählen, die sie möchten. Aber wenn es heißt, alle Juden seien böse, dann entmenschlicht man Juden und legitimiert Gewalt gegen sie.
ZDFheute: Europäische TV-Sender fordern aktuell, Israel vom Eurovision Song Contest auszuschließen. Wie finden Sie das?
Schneider: Überlebende sind darüber besonders erschüttert, weil es wieder eine Doppelmoral ist. Israel wird anders behandelt, Juden werden anders behandelt als alle anderen.
Ich verstehe, dass Russland nicht teilnehmen darf, aber das lag an der fehlenden Unabhängigkeit des russischen ESC-Senders. Das ist bei Israel aber nicht der Fall. Warum also Israel herausgreifen?
Generell ist die Idee verrückt, Künstler, Autoren oder den Dirigenten der Münchner Philharmoniker auszuschließen, nur weil sie jüdisch sind oder irgendeine Verbindung zu Israel haben. Es sollte genau andersrum sein.
Greg Schneider, Claims Conference
Das Interview führte Dominik Rzepka aus dem ZDF-Hauptstadtstudio. Es wurde für die verschriftete Version leicht gekürzt.
- 2:13 min
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