Neues Buch zur Fußballkultur:Jüdisch und Fußballfan: "Es gibt durchaus Konflikte"
Was bedeutet es, jüdisch und Fußballfan zu sein - in einem Land, in dem Antisemitismus wieder lauter wird? Ruben Gerczikow spricht über Konflikte und die Verantwortung der Vereine.
Was passiert, wenn jüdische Identität auf die deutsche Fußballkultur trifft?
Quelle: ImagoFußball ist Leidenschaft, Gemeinschaft - und Spiegel der Gesellschaft. Doch für viele Jüdinnen und Juden ist er auch ein Ort der Spannung: zwischen Zugehörigkeit und Ausschluss, zwischen Solidarität und Anfeindung.
Mit "Juden auf dem Platz, Juden auf den Rängen" legen Ruben Gerczikow und Monty Ott einen Sammelband vor, der zeigt, wie viel jüdisches Leben im Fußball steckt – und wie viel Konflikt zugleich.
ZDFheute: Sie sprechen in Ihrem Buch von Spannungen zwischen jüdischer Identität und der Zugehörigkeit zu einer Fanszene. Wie äußert sich das konkret?
Ruben Gerczikow: Es gibt durchaus Konflikte. In Fanszenen, in denen rechtsoffene oder rechtsextreme Gruppen aktiv sind, kann das offene Zeigen jüdischer Identität schnell zu Anfeindungen oder sogar zu Bedrohungen führen.
Wir erleben seit Jahren, schon vor dem 7. Oktober, einen deutlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle. Der Fußball ist dabei ein Brennglas: Was in der Gesellschaft existiert, spiegelt sich auch dort. Antisemitische Einstellungen sind weiterhin Teil mancher Fangruppen. Immer wieder gibt es Beispiele - etwa bei Vereinen wie Hansa Rostock oder Energie Cottbus -, die mit rechtsextremen oder antisemitischen Sprüchen und Symbolen auffallen.
Antisemitische Straftaten haben in Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas deutlich zugenommen. Das liege auch an einer "unkontrollierten Zuwanderung", sagt Alon Meyer, Chef von Makkabi.
18.12.2024 | 3:51 minZDFheute: Welche Formen von Antisemitismus beobachten Sie heute in den Stadien und auf den Rängen?
Gerczikow: Man muss hier zwischen Profi- und Amateurfußball unterscheiden. Im Profibereich zeigt sich Antisemitismus häufig in rechtsextremen Ausdrucksformen oder als sogenannter sekundärer Antisemitismus - also in Form von Erinnerungsabwehr.
Wenn etwa ein Erinnerungsspieltag stattfindet, hört man immer wieder Zwischenrufe von Einzelpersonen, die sich gegen das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus richten.
Das Wort 'Jude' wird weiterhin als Schimpfwort benutzt, und auch israelbezogener Antisemitismus findet vielerorts statt.
Ruben Gerczikow, Autor
Ein Beispiel dafür war das Conference-League-Spiel zwischen Union Berlin und Maccabi Haifa im Oktober 2021, bei dem israelische Fans antisemitisch beleidigt wurden und ein Union-Anhänger versuchte, eine Israel-Fahne anzuzünden.
Im Amateurbereich - insbesondere bei den Makkabi-Vereinen, die bundesweit an den Ligen teilnehmen - tritt vor allem der israelbezogene Antisemitismus auf. Diese Clubs stehen für Vielfalt, werden aber oft als Stellvertreter Israels wahrgenommen, besonders in Spielen gegen Mannschaften mit Spielern mit türkischer oder arabischer Migrationsgeschichte. Dann wird der Nahost-Konflikt auf den Platz getragen.
In der Folge mussten nach dem 7. Oktober Sicherheitsmaßnahmen verschärft und die Polizeipräsenz bei Spielen von Makkabi-Teams deutlich erhöht werden.
Ruben Gerczikow, Autor
... ist Autor und Publizist. Er recherchiert zu antisemitischen Strukturen im analogen und digitalen Raum. Seine Veröffentlichungen behandeln die Themenfelder Antisemitismus, Rechtsextremismus, Islamismus und jüdische Gegenwart. Im September 2025 erschien sein zweites gemeinsames Werk mit Monty Ott, der Sammelband "Juden auf den Plätzen, Juden auf den Rängen."
Quelle: ZDF
ZDFheute: Welche Verantwortung tragen Fußballvereine im Engagement für Erinnerungskultur und im Umgang mit Antisemitismus?
Gerczikow: Fußball hat eine enorme gesellschaftliche Reichweite. Jedes Wochenende verfolgen Millionen Menschen die Spiele. Diese Strahlkraft kann genutzt werden, um Menschen zu erreichen und zu bewegen.
Fast jeder Verein hat eine jüdische Geschichte: Spieler oder Funktionäre, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Solche Biografien ermöglichen eine niedrigschwellige Identifikation - besonders für Jugendliche. Geschichte wird so nicht abstrakt erzählt, sondern an konkreten Beispielen aus ihrer alltäglichen Lebenswelt: im eigenen Verein, in der eigenen Stadt, im bekannten Stadion.
Diese Nähe hilft zu verstehen, wohin Ausgrenzung und Antisemitismus führen können.
Ruben Gerczikow, Autor
In den letzten Jahren haben Vereine, Fans und Fanprojekte diese Aufgabe zunehmend ernst genommen. Es sind viele starke Projekte entstanden: Fanreisen zu Gedenkstätten wie Sachsenhausen oder Dachau, Workshops und Kooperationen zwischen Clubs und NGOs.
Von Januar bis Oktober 2024 hat sich laut Polizei die Anzahl antisemitischer Straftaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum verdoppelt. Auch Makkabi Frankfurt ist betroffen.
18.12.2024 | 1:01 minZDFheute: Welche Auswirkungen hatte der 7. Oktober auf die internationale Fußballkultur?
Gerczikow: Der 7. Oktober hatte massive Auswirkungen auf den Fußball. Zum einen hat sich die Sicherheitslage für Makkabi-Vereine in Deutschland deutlich verschärft. Das gilt auch für israelische Vereine und ihre Fans, die bereits vor dem 7. Oktober von Antisemitismus betroffen waren.
Doch das Ausmaß nach dem 7. Oktober war enorm. Häufig wurden politische Konflikte als Fußballkonflikte ausgetragen. In Amsterdam etwa kam es zu antisemitischen Hetzjagden, die in Chatgruppen gegen Maccabi-Tel-Aviv-Fans organisiert wurden.
In Großbritannien erlebten wir, dass die Stadt Birmingham israelischen Gästefans beim Spiel gegen Maccabi Tel Aviv kollektiv die Einreise verweigerte.
In vielen Stadien außerhalb Deutschlands kam es zu antiisraelischen Protesten, vor allem aus eher linkspolitischen Fangruppen.
Ruben Gerczikow, Autor
Seit dem 7. Oktober 2023, dem Angriff der Hamas auf Israel, hat sich die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland verdoppelt. Wie gehen Holocaust-Überlebende damit um?
23.01.2025 | 43:30 minZDFheute: Wie reagierten die Fanszenen in Deutschland?
Gerczikow: In Deutschland fiel die Reaktion anders aus. Viele Fanszenen, von der Bundesliga bis in den Amateurbereich, zeigten Solidarität mit den israelischen Geiseln und positionierten sich deutlich gegen Antisemitismus.
Besonders hervorzuheben ist die Fanszene von Werder Bremen: In Erinnerung an ihre Freundschaften zu Hapoel Jerusalem und Maccabi Haifa gedachten die Fans immer wieder Hersh Goldberg-Polin und Inbar Haiman, die in der Geiselhaft der Hamas ermordet wurden. Hershs Ermordung hat viele Menschen im Fußball tief bewegt.
Bemerkenswert ist, dass selbst rivalisierende oder als unpolitisch geltende Fangruppen, die mit Werder Bremen sonst keine Verbindung haben, seiner gedachten.
Ruben Gerczikow, Journalist
Das Interview führte ZDFheute-Redakteurin Ninve Ermagan.
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