Ist der Osten für die Grünen noch zu retten?

Partei sucht Strategie:Ist der Osten für die Grünen noch zu retten?

Patricia Wiedemeyer
von Patricia Wiedemeyer
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Die Grünen spielen im Osten kaum noch eine Rolle. Parteichef Banaszak will den Osten "nicht aufgeben" und wieder einen "Fuß in die Tür" bekommen. Nur: Wie soll das gelingen?

Felix Banaszak
Grünen-Chef Felix Banaszak will im Osten wieder "einen Fuß in die Tür" bekommen.
Quelle: dpa

"Nein, wir geben den Osten nicht auf, wir müssen mehr zuhören, wir müssen stärker gesamtdeutsch handeln", sagt Felix Banaszak, Bundesvorsitzender der Grünen im ARD-Sommerinterview. Doch wie soll das gehen?
In den ostdeutschen Bundesländern spielen Bündnis 90/Die Grünen kaum noch eine Rolle, obwohl sie den ostdeutschen Namen Bündnis 90 noch im Namen tragen. Die Partei gilt vor allem im Osten als Sündenbock für alle Probleme des Landes. In Brandenburg bekam sie 2024 nur 4,1 Prozent, in Thüringen 3,2 Prozent.
Diana Zimmermann (l), Moderatorin des politische Hauptstadtmagazin «Berlin direkt», spricht im ZDF-Sommerinterview mit der Grünen-Vorsitzenden Franziska Brantner.
Die Grünen versuchen sich in der Opposition klarer zu positionieren. Im ZDF-Sommerinterview kritisierte Co-Parteichefin Brantner vor allem die Union für ihre Energiepolitik.20.07.2025 | 1:36 min

Thüringer Grüne schreiben Brandbrief

Die Grünen werden beschimpft, bespuckt, erhalten Morddrohungen - trauriger Alltag für grüne Politiker im Osten. In einem Brandbrief, einem sehr eindringlichen Schreiben, wenden sich Thüringer Grüne an den Parteivorstand. Sie beschreiben, dass "Grün- Sein" im ländlichen Thüringen gefährlich geworden sei, beruflich wie privat. Dort, wo die AfD bis zu 40 Prozent erhält.
Den Grünen fehlt es vor allem im Osten an Infrastruktur, hauptamtlichen Mitarbeitern und Ansprechpersonen - jetzt, da sie in Sachsen, Thüringen und Brandenburg aus den Landesregierungen ausgeschieden sind.
Fraktionsklausur Grüne: Oppositions-Strategie im Fokus
Statements vor der Klausur der Grünenfraktion der beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann30.06.2025 | 8:44 min

Nur sieben Abgeordnete aus dem Osten

Banaszak kündigt an, ein Bürgerbüro in Brandenburg an der Havel einzurichten, fordert alle Bundestagsabgeordneten seiner Fraktion auf, mehr Präsenz im Osten zu zeigen. Doch schon in der eigenen Fraktion ist der Osten nicht wirklich präsent. Von 85 Abgeordneten kämen nur sieben aus dem Osten.
Zudem wird ein Vorstandsbeirat Bündnisgrüner Osten eingerichtet, der den Vorstand regelmäßig und langfristig in Bezug auf ostdeutsche Belange unterrichten soll. Es klingt ein wenig so wie das, was in Berlin allzu oft praktiziert wird: Wenn man nicht weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis. Oder man installiert eine Expertenkommission.
SGS Gellinek - Banaszak
Die Grünen hätten sich vorgenommen, „die Regierung zu unterstützen, wo es notwendig und richtig ist, weil es dem Land hilft“, so Grünen-Co-Chef Felix Banaszak.14.05.2025 | 4:54 min

Piechotta kritisiert Ost-Besuch von Wessis

Banaszaks ostdeutsche Fraktionskollegin Paula Piechotta reagiert prompt. Auf Instagram schreibt sie:

Wenn man diesen Befund ernst nimmt, dann sind mehr Wessis auf Besuch im Osten vielleicht nicht das beste Erfolgsrezept, sondern ein Aufbrechen dieses Negativ-Images in der bundesweiten Wahrnehmung.

Paula Piechotta, Grüne

Dabei bezieht sie sich auf eine Analyse des Rechtsextremismus-Experten David Begrich aus Sachsen-Anhalt. Er sagt:

Die Grünen werden im Osten nicht nur abgelehnt, sondern gehasst. Sie gelten als elitäre Wessi-Partei.

David Begrich, Rechtsextremismus-Forscher

Bildmontage: Panzer, Demo-Plakat mit Aufschrift: Kriegstreiber, farbverschmierter Joschka Fischer
1983 fordern die Grünen Abrüstung: 500.000 demonstrieren in Bonn gegen US-Raketen. 40 Jahre später werden sie wegen ihrer Ukraine-Politik als „Kriegstreiber“ kritisiert.20.05.2025 | 35:05 min

Auch Parteispitze ist westdeutsch

Elitäre "Wessi-Partei", Großstadt Partei, Akademiker-Partei, Verbotspartei, so das Image. Dieses Image zu widerlegen, dürfte schwierig werden. Denn in der Fraktion sind kaum Abgeordnete aus den östlichen Ländern vertreten, im Parteivorstand vor allem Wessis und die vier wichtigsten Vertreter der Grünen kommen allesamt aus dem Westen: die zwei Parteivorsitzenden und die beiden Fraktionsvorsitzenden.
Auch Union, SPD und FDP wird nachgesagt, "Wessi-Parteien" zu sein. Auch sie sind anders als die AfD zu wenig im Lande unterwegs, zu wenig präsent auf den Marktplätzen, in den ländlichen Regionen im Osten, so die Kritik. Aber das alleine ist es nicht. Bei den Grünen kommen die Inhalte dazu. Die Grünen stehen für Klimaschutz, damit ist im Osten schwer zu punkten.
Generaldebatte im Bundestag - Katharina Dröge, aufgenommen am 09.07.2025
Grünen-Fraktionschefin Dröge übt heftige Kritik an der Klimapolitik der Regierung. Im Umgang mit der Stromsteuersenkung habe sich die Regierung wie ein "unsortierter Hühnerhaufen" verhalten.09.07.2025 | 16:07 min

Keine Gewinnerthemen im Osten

Ihr zweites Thema, die Migration, ist ebenfalls kein Gewinnerthema im Osten. Die Grünen stehen für die Energiewende, für Transformation, für das Heizungsgesetz von Robert Habeck. Doch viele Bürger der ehemaligen DDR haben genug von Transformation und Wandel. Viele von ihnen haben damit keine guten Erfahrungen gemacht.  
Programmatische Schlüsse wolle man daraus ziehen, weg vom Image der Verbotspartei, sagt der Parteivorsitzende. Doch wie das im Detail aussehen soll, bleibt offen.
Auf dem Bild sieht man eine Baustelle auf der Straße.
Was heißt kommunale Wärmeplanung konkret? Wir haben ein Beispiel aus Baden-Württemberg, wo beispielsweise in Mannheim die größte Flusswärmepumpe Europas betrieben wird. 17.11.2023 | 1:50 min

Den Grünen fehlen Köpfe

Hinzu kommt, dass die Symbolfiguren der vergangenen zehn Jahre, Annalena Baerbock und Robert Habeck, nicht mehr da sind. Sie haben die Partei zu ungeahnten Höhen in den Umfragen geführt und zu relativ guten Wahlergebnissen, haben sie zur Regierungspartei gemacht. Doch die Ampel-Jahre haben viele Wähler verprellt, vor allem im Osten.
Jetzt fehlen Köpfe, mit denen die Grünen im Osten punkten können und Personal, das noch bereit ist, auf die Marktplätze zu gehen und sich Hass und Hetze auszusetzen. Vielleicht fehlen aber auch die richtigen Themen. Ein Dilemma, das mit einer geplanten Ost-Konferenz im Herbst sicherlich nicht zu lösen ist.
Im nächsten Jahr stehen zwei Landtagswahlen in Ostdeutschland an: Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Höchste Zeit, wirklich zu handeln.
Patricia Wiedermeyer ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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