Überlastete Sozialsysteme:Das Renten-Dilemma von Schwarz-Rot
von Stefanie Reulmann
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Das Rentensystem ist finanziell am Anschlag. Damit die Kosten und damit die Lasten für kommende Generationen nicht weiter ansteigen, braucht es dringend eine Reform - aber wie?
Quelle: SVEN SIMON
Schon längst reicht das, was in die Rentenkassen eingezahlt wird, nicht mehr aus. Der Bund muss Zuschüsse aus Steuermitteln ins System pumpen, um die laufenden Rentenzahlungen zu gewährleisten.
Rentenkommission: Ergebnis bis Mitte 2027
Bereits heute fließt ein Viertel des Bundeshaushaltes jährlich ins Rentensystem. Das könnte noch mehr werden, denn die Lebenserwartung steigt und damit auch die Bezugsdauer der Renten. Gleichzeitig gibt es immer weniger Beitragszahler. 1962 kamen noch sechs Beitragszahler für einen Rentner auf, aktuell sind es nur noch gut zwei. Und bis zum Jahr 2036 gehen noch rund 20 Millionen Baby-Boomer in Rente.
Im Koalitionsvertrag hat sich Schwarz-Rot darauf geeinigt, eine Rentenkommission einzusetzen. Diese soll bis Mitte 2027 ein Ergebnis vorlegen.
Kabinett entscheidet über Haltelinie und Mütterrente
Erste Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag sollen aber bereits am Mittwoch das Kabinett passieren. Die SPD hat eine gesetzlich festgeschriebene Haltelinie beim Rentenniveau durchgesetzt. Bis zum Jahr 2031 soll es nicht unter 48 Prozent sinken. Der Koalitionspartner CSU will sein umstrittenes Herzensprojekt Mütterrente ausweiten. Kostenpunkt: Vier bis fünf Milliarden.
Die heftige Kritik daran hat Parteichef Markus Söder im ZDF-Sommerinterview entschieden zurückgewiesen. Er finde das den Frauen gegenüber "schäbig" und ärgere sich sehr, denn "viele haben damals, in der Zeit als sie ihre Kinder erzogen haben, keine Möglichkeit zum Arbeiten gehabt", sagt er.
Wirtschaftsweiser kritisiert teure Vorhaben
Beide Vorhaben tragen zwar zur Sicherung der Renten bei, aber sie passen "nicht gut zur Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung", sagt der Wirtschaftsweise Martin Werding im ZDF. Eine Haltelinie von 48 Prozent beim Rentenniveau sei auf Dauer weder über Steuermittel noch über Beitragsmittel finanzierbar. "Insofern sollte man es lieber lassen", sagt er.
Auch der Beitragssatz, der aktuell stabil bei 18,6 Prozent liegt, wird langfristig nicht unter 20 Prozent bleiben können. Bis 2035 sollen die Rentenversicherungsbeiträge Prognosen zufolge um 2,6 Prozent steigen.
Forderung nach höherem Renteneintrittsalter
Um wieder mehr Geld in die Rentenkassen zu spülen, könnte man auf Rentenerhöhungen verzichten, also de facto Rentenkürzungen vornehmen oder das Renteneintrittsalter erhöhen. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, CDU, hat gefordert, das Renteneintrittsalter angesichts der demografischen Entwicklung "auf 70 Jahre" zu erhöhen. "Es ist unbestritten, dass wir länger arbeiten müssen. Das bestreitet im Kern keiner", sagt sie.
Der Wirtschaftsweise Werding hält Reiches Vorschlag für richtig. Die Regelaltersgrenze müsse an die steigende Lebenserwartung angepasst werden. Es gehe aber "nicht darum, sprunghaft auf 69 oder 70 Jahre zu gehen", sondern es würde "alle 10 Jahre ein halbes Jahr Erwerbszeit dazukommen", sagt er.
Wenn wir also 2031 bei 67 Jahren sind, wären wir Anfang der 50er-Jahre bei 68 für Menschen, die anderthalb Jahre länger leben als heute.
Martin Werding, Sachverständigenrat für Wirtschaft
Innerhalb der Regierungskoalition, aber auch unionsintern kommt Reiches Vorschlag nicht gut an. Nicht die Lebensarbeitszeit, sondern die hohe Teilzeitquote in Deutschland sei das Problem, sagt CDA-Bundesvize Christian Bäumler.
Wirtschaftsweise lobt Reiches Vorschlag
"Sehr mutig" findet die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, ebenfalls Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft, den Vorschlag Reiches. Sie sei besorgt, dass "dieser Realismus selbst in großen Teilen der CDU scheinbar auf Gegenwehr stößt". Grimm sagt, man müsse den Menschen "reinen Wein einschenken":
Es ist ja besser, wenn man jetzt machbare Reformen vornimmt, als wenn man das System vor die Wand laufen lässt, und irgendwann eben die Finanzierbarkeit nicht mehr gegeben ist.
Veronika Grimm, Sachverständigenrat für Wirtschaft
Bei der SPD lehnt man den Vorschlag ab. Parteichefin Bärbel Bas bezeichnet es als eine "Scheindebatte". Viele Menschen würden bereits heute das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht erreichen, für sie sei das dann eine Rentenkürzung, sagt Bas. Auch eine Frühverrentung nach 45 Arbeitsjahren müsse weiter möglich sein.
Bas: Mehr Menschen müssen einzahlen
Um das Rentensystem dauerhaft zu stabilisieren, müssten mehr Menschen in die Rentenkassen einzahlen, sagt Bas. Als Arbeitsministerin werde sie Maßnahmen am Arbeitsmarkt ergreifen, um Frauen aus der "Teilzeitfalle" zu holen oder ausländische Fachkräfte zu gewinnen.
Ein weiterer Vorschlag: Bas fordert, dass auch Beamte künftig in die Rentenkassen einzahlen sollen. Das bringe keine Kostenersparnisse, sagt die Wirtschaftsweise Grimm im ZDF: "Die Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung zu integrieren, ist wie linke Tasche, rechte Tasche." Mit einzelnen Maßnahmen könne man nicht erreichen, "dass die Kosten sinken, aber zumindest, dass die Sozialausgaben nicht so stark ansteigen, wie es zu befürchten ist", so Grimm.
Quelle: dpa
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