Vor der Europawahl 2024: Die Grünen machen sich selber Mut

Grüner Länderrat in Potsdam:Ständiger Steh-Applaus und bloß kein Streit

Bernd Benthin
von Bernd Benthin
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Die Grünen treffen sich zum kleinen Parteitag vor der Europawahl. Es drohen Verluste und ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der AfD. Für den Wahlkampf klatscht sich die Partei Mut an.

Die erste Rede ist noch nicht gehalten, da gibt es schon den ersten, frenetischen Steh-Applaus. Dafür reicht schon, dass die Spitzengrünen (Ricarda Lang, Omid Nouripour, Annalena Baerbock, Robert Habeck) in die Potsdamer Schinkelhalle einziehen, gemeinsam mit der grünen EU-Spitzenkandidatin Terry Reintke. Auf Zwischenjubel und Standing-Ovations kann sich hier heute wirklich jede Hauptrednerin und jeder Hauptredner verlassen. Die knapp hundert Delegierten sind nicht für den inhaltlichen Streit angereist.
Heute geht es darum, sich selbst Schwung und Mut zuzuklatschen für die letzten Meter des Europa-Wahlkampfs.

Der Streit bleibt draußen

Der Länderrat ist eine grüne Besonderheit. So etwas wie ein kleiner Parteitag, voll beschlussfähig und zugleich Bindemittel zwischen Bundespartei, Fraktionen und Landesverbänden. So ein Länderrat kann in ganz unterschiedlichen Betriebstemperaturen stattfinden. Im letzten Jahr in Bad Vilbel etwa war der Frust groß. Die Basis war unzufrieden mit Entscheidungen in Berlin und Brüssel: Mit längerer Laufzeit für Atomkraftwerke, mit Asylentscheidungen der Europäischen Union.
Eigentlich sind seitdem die Gründe für grünen Ärger nicht weniger geworden. Schließlich fehlt der Regierung jetzt auch noch das Geld für viele grüne Herzensangelegenheiten und der FDP-Finanzminister mahnt gerade die Grünen zu mehr Haushaltsdisziplin. Darüber aber heute kein Wort. Der Streit muss draußen bleiben. Stattdessen viel Selbstvergewisserung und Pathos.

"Grün vor Blau" - Warnung vor dem Rechtsruck

Bei der letzten Europawahl vor fünf Jahren konnten die Grünen ein Rekordergebnis einfahren. 20,5 Prozent - deutlich mehr als die SPD, fast doppelt so viel wie die AfD. Jetzt aber drohen große Verluste. Das ZDF-Politbarometer sieht die Partei diesmal bei 15 Prozent - Kopf an Kopf mit der AfD. Trotz Krah, trotz Bystron.
Die AfD war dann auch der der ständig präsente, unsichtbare Gegner in der Halle. Es gehe darum, Rechtsextreme in die Schranken zu weisen, sagt die Bundegeschäftsführerin Emily Büning. Nach der Wahl müsse es heißen "Demokraten vor Faschisten. Grün vor Blau." Der Parteivorsitzende Nouripour buchstabiert das AfD-Parteikürzel als "Armut für Deutschland".
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Außenministerin Baerbock spricht an, dass auch und gerade für ihre Partei die Zeiten rauer würden. So viele Sicherheitskräfte wie jetzt in der Halle hätte es früher nicht gegeben - hätte man früher nicht gebraucht. Betretene Ruhe herrscht, als die Wahlkämpferin Anne-Katrin Haubold ihre Erlebnissen in Dresden schildert. Sie war dabei, als ein Parteifreund zusammengeschlagen wurde, der gerade Plakate kleben wollte.
Haubold und auch viele andere Rednerinnen und Redner betonen, dass ihnen der Wahlkampf trotzdem noch Spaß mache, auch wenn das Klima rauer würde. Für sie sei Wahlkampf "die schönste Jahreszeit" sagt eine Delegierte aus dem Norden. Mut-Machen vor einem heißen Wahlherbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Die ewige Habeck-Baerbock-Frage

Im Vorfeld dieses Länderrats war gemutmaßt worden, ob sich denn auch etwas ablesen lassen würde in der ewigen Habeck-Baerbock-Frage. Wer wird grüner Kanzlerkandidat beziehungsweise dann doch wieder grüne Kanzlerkandidatin? Kleinere Spitzen mag es gegeben haben, aber Favoriten wurden hier keinesfalls gekürt. Am Applaus konnte man ohnehin wenig ablesen - den gab es im Überfluss, für alles und jeden.
Bernd Benthin ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.

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