Auktion von Holocaust-Dokumenten:"Menschenwürde ist nicht versteigerbar"
von Dorothée Esther Schmidt
Ein Entlassungsschein aus dem KZ, ein "Judenstern" oder ein antijüdisches Propaganda-Plakat: Die umstrittene Versteigerung von NS-Zeugnissen ist abgesagt, aber die Empörung bleibt.
Ein Auktionshaus in Nordrhein-Westfalen hat eine Versteigerung von NS-Dokumenten abgesagt. International gab es Kritik.
Quelle: ZDF/Dorothée Esther SchmidtUnter dem Motto "Menschenwürde ist nicht versteigerbar" haben sich am Montag ein paar Dutzend Demonstrierende vor dem Auktionshaus im nordrhein-westfälischen Neuss versammelt. Ursprünglich sollten dort Hunderte Zeugnisse des Holocausts aus der Sammlung eines privaten NS-Forschers in einer Online-Auktion versteigert werden.
Zum Verkauf standen KZ-Entlassungsschein und Propaganda-Plakat
Das machte viele hier fassungslos. "Wer hängt sich einen gebrauchten Davidstern ins Wohnzimmer und warum?", fragte sich Demonstrantin Helga mit Blick auf die sogenannten "Judensterne", die Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit an ihrer Kleidung tragen mussten.
In Internetarchiven fand sich am Montag noch, was von der Seite des Auktionshauses bereits verschwunden war: etwa ein Entlassungsschein aus dem KZ ab 400 Euro, ein "Judenstern" ab 350 Euro oder ein antijüdisches Propaganda-Plakat ab 600 Euro.
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27.01.2025 | 4:07 minAuktion in Neuss sorgte international für Kritik
Auch international sorgte die Auktion für Kritik. Das Internationale Auschwitz Komitee bezeichnete sie als "zynisches und schamloses Unterfangen". Die Dokumente seien ohne Rücksicht im Umgang mit den Persönlichkeitsrechten der Verfolgten und den schutzwürdigen Belangen von Nachkommen angepriesen worden, kritisierte das Fritz-Bauer-Institut.
Der polnische Außenminister Radosław Sikorski sprach von einem Skandal und suchte das Gespräch mit Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU). Dieser betonte laut der Deutschen Presseagentur eine "ethische Verpflichtung" gegenüber den Opfern, "derartige Dinge zu unterbinden".
"Die Erinnerung an die Opfer des Holocaust ist keine Ware und kann nicht kommerziell gehandelt werden", schrieb Sikorski auf X. Polen setze sich für die Rückgabe der Artefakte an das Museum Auschwitz ein.
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08.05.2025Wohin mit den Exponaten?
Nach Gesprächen der polnischen Botschaft, dem Auswärtigen Amt und der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf hatte der Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, Nathanael Liminski, das Gespräch mit dem Auktionshaus gesucht.
In dem Telefonat sei er vom Chef des Auktionshauses informiert worden, dass die Auktion abgesagt wurde. Das bestätigte am Montag ein Sprecher der Staatskanzlei dem ZDF.
Die Versteigerung von Relikten aus dem Zweiten Weltkrieg an sich ist nicht ungewöhnlich. So bietet etwa das Auktionshaus Hermann Historica aus München viele Gürtelschnallen oder Abzeichen mit SS- oder Hakenkreuz-Symbolen an. Der Käufer muss per Mausklick versichern, dass er mit dem Kauf staatsbürgerlich aufklären, verfassungswidrige Bestrebungen abwehren oder über geschichtliche Vorgänge berichten will. Viele Interessenten solcher Gegenstände aus dem Zweiten Weltkrieg sitzen offenbar im Ausland.
Ein Gesetz, das explizit solche Versteigerungen regelt, gibt es nicht. Trotzdem sind sich die Verbände der Auktionatoren einig: Wenn ein Verkauf sittenwidrig wäre oder post mortem gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßen würde, darf ein Auktionator aus Anstand nicht tätig werden.
Dr. Rupert Keim vom Bundesverband deutscher Kunstversteigerer weist dem ZDF gegenüber auch auf die Möglichkeit hin, solche Objekte aus dem Zweiten Weltkrieg direkt an öffentliche Institutionen, Dokumentationszentren oder Gedenkstätten zu übergeben oder zu verkaufen.
Nun gehe es darum, einen angemessenen Umgang mit den Exponaten zu finden. "Eine Idee war, Gedenkstätten und Stiftungen zu ermöglichen, die Dokumente zu erwerben", heißt es weiter. Liminski stehe weiter im Austausch mit dem Auktionshaus, so ein Sprecher des Ministers gegenüber dem ZDF.
Ich bin zuversichtlich, dass eine Lösung gefunden werden kann, die den Anliegen von polnischer Seite und seitens der Jüdischen Gemeinde gerecht wird.
Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei NRW
Auch der Kulturstaatsminister der Bundesregierung, Wolfram Weimer, begrüßte gegenüber dem ZDF die Absage der Auktion. Briefe oder Postkarten von verfolgten und ermordeten Juden dürften nicht versteigert werden wie Alltagsgegenstände, zitierte eine Sprecherin. Dokumente oder Gutachten von NS-Verbrechern seien nichts für private Sammlungen.
Diese zeitgeschichtlichen Dokumente von Leid und Verbrechen sind in Gedenkstätten, Museen und Forschungseinrichtungen richtig aufgehoben.
Wolfram Weimer, Kulturstaatsminister
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19.09.2025 | 0:45 minExperten und Journalisten aus Israel angereist
Vor dem Auktionshaus forderten die Demonstrierenden die Offenlegung der Herkunft der Objekte und die Übergabe an eine Stelle, die die Erinnerung an den Holocaust und die Schicksale der Verfolgten respektvoll aufrechterhält. Auch ein israelischer Fernsehsender war gekommen, um zu berichten. Vor allem der kommerzielle Aspekt einer Auktion empörte hier viele.
"Da ist Post, die eine Person, die in Haft war, an ihre Angehörigen geschickt hat. Und da geilen sich Menschen dran auf", sagte Aktivistin Rosa Maria Bianco.
Vor Ort waren auch David und Shimon Sabag, vom Holocaust-Museum Yad Ezer L'Haver in Haifa in Israel. Sie wollten die Holocaust-Zeugnisse mit nach Israel nehmen. "Wir sind der Meinung, dass sie in die richtigen Hände gelangen sollten und nicht verkauft und zu einem Geschäft gemacht werden sollten, sagte David Sabag.
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24.04.2025 | 2:03 minUnterstützt wurde ihr Anliegen durch einen Brief eines Mitglieds der Knesset, dem israelischen Parlament, der selbst Enkel von Holocaustüberlebenden sei.
Doch die kleine Gruppe vor dem Haus durfte das Gebäude nicht betreten, Gespräche mit Vertretern des Auktionshauses gab es am Montag nicht. David Sabag und Shimon Sabag wollen Deutschland jedoch nicht verlassen, bis sie ihre Mission erfüllt haben. Die Demonstrierenden fordern ein Gesetz, das den Handel mit persönlichen Dokumenten von NS-Verfolgten verbietet - damit vor allem Privatpersonen nicht mehr mitbieten können.
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