Asyl-Leistungen als Kredit: Ist das rechtlich möglich?

FAQ

Vorschlag aus Thüringer SPD:Asyl-Leistungen als Kredit: Geht das rechtlich?

von Leon Fried
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Zwei Thüringer SPD-Landräte wollen Sozialleistungen für Geflüchtete nur noch als zinsloses Darlehen auszahlen. Die Idee spaltet die Politik. Wäre sie rechtlich überhaupt umsetzbar?

10.06.2025, Bayern, Zirndorf: Zwei Bewohner gehen in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Bayern über das Gelände.
Asyl-Leistungen künftig als zinsloses Darlehen? (Symbolbild)
Quelle: dpa

Der Vorstoß zweier SPD-Landräte aus Thüringen, Asyl-Leistungen nur noch als Darlehen zu gewähren, sorgt für Debatten: Die SPD-Politiker Matthias Jendricke und Marko Wolfram hatten vorgeschlagen, Sozialleistungen für volljährige Asylbewerber, anerkannte Geflüchtete und Ausländer aus Nicht-EU-Ländern künftig als zinsloses Darlehen auszuzahlen.
"Wir brauchen endlich wieder einen echten Reformwillen der Berliner Politik und kein Herumdoktern an einem zunehmend dysfunktionalen System", sagte der Nordhäuser Landrat Jendricke dem Magazin "Stern".

Wer in unser Land kommt und hier bisher nichts eingezahlt hat, darf Sozialleistungen nur noch als zinsloses Darlehen bekommen.

Matthias Jendricke, SPD-Politiker

Das Bild zeigt symbolische Antragsformulare für das Bürgergeld sowie Geldmünzen und symbolische Spielzeugfiguren in Form von Bauarbeitern.
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Der Vorstoß der beiden Thüringer SPD-Politiker stößt auf Zustimmung und Kritik. Doch wäre er rechtlich überhaupt umsetzbar? Wichtige Fragen und Antworten zur Rechtslage:

Wie ist die Rechtslage aktuell?

Welche finanziellen und materiellen Hilfen Asylbewerber in Deutschland erhalten, regelt das Asylbewerberleistungsgesetz. Geflüchtete, die ihren Lebensunterhalt nicht durch eigenes Einkommen oder Vermögen bestreiten können, erhalten danach sowohl Geld- als auch Sachleistungen. Zuletzt wurden die Sätze gesenkt.
Seit dem 1. Januar 2025 erhalten Alleinstehende, die außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften wohnen, monatlich 441 Euro. Vorher waren es 460 Euro. Das ist weniger als die Leistung, die Bürgergeld-Empfänger erhalten. Hier liegt der Regelsatz aktuell bei 563 Euro im Monat.
Sobald ein Asylantrag positiv beschieden wurde, Migranten also als Flüchtlinge anerkannt werden, steigen die Sozialleistungen. Sie entsprechen dann den Bürgergeldsätzen. Gleiches gilt, wenn Migranten sich seit 36 Monaten in Deutschland aufhalten. Andere Regeln gelten dagegen für Geflüchtete aus der Ukraine. Weil sie unter die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie der EU fallen, müssen sie aktuell in Deutschland kein Asylverfahren durchlaufen. Sie haben deshalb auch ohne Wartezeit einen Anspruch auf Bürgergeld.
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Allerdings haben sich Union und SPD im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass Neuankömmlinge aus der Ukraine künftig kein Bürgergeld mehr bekommen sollen, sondern die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber. Zuletzt gab es innerhalb der Koalition Diskussionen darüber, ob die Regelung auch für Ukrainer gelten soll, die sich schon seit längerem in Deutschland aufhalten.
Auch Ausländern, die aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht haben, kann ein Anspruch auf Bürgergeld zustehen. Dazu müssen sie zum einen schon länger als drei Monate in Deutschland sein, zum anderen darf ihnen ihr Aufenthaltstitel nicht allein zum Zweck der Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatzsuche erteilt worden sein.

Asyl-Leistungen als Kredit: Ist eine solche Regelung rechtlich möglich?

Genau wie alle deutschen Staatsbürger haben auch Ausländer mit entsprechendem Aufenthaltstitel sowie Asylbewerber in Deutschland einen Anspruch auf Sozialleistungen, die ihr Existenzminimum sichern. Dieser Anspruch ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Grundgesetz - genauer gesagt, aus der Menschenwürdegarantie und dem Sozialstaatsprinzip.
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Existenzsichernde Leistungen werden grundsätzlich als Zuschuss gewährt. Das heißt, dass die Empfänger auch dann nichts zurückzahlen müssen, wenn es ihnen irgendwann finanziell besser geht. Eine Regelung, wonach Sozialleistungen zurückerstattet werden müssen, wäre mit dem Grundgesetz dagegen nicht vereinbar, sagt Constantin Hruschka, Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Freiburg.

Müssten Leistungen, die das existenzsichernde Minimum gewährleisten, zurückgezahlt werden, würde für die Berechtigten ein Anreiz geschaffen, auf ihren Anspruch zu verzichten und ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu führen.

Constantin Hruschka, Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Freiburg

Das sei verfassungswidrig, so Hruschka. Ob es sich um Sozialleistungen für Deutsche, Ausländer mit Aufenthaltstitel oder Asylsuchende handelt, macht dabei keinen Unterschied, denn der Schutz des existenzsichernden Minimums ist ein Menschenrecht, das für jeden gilt.
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Das wirft allerdings die Frage auf, weshalb mittellosen Studierenden, die eine Ausbildungsförderung erhalten, zugemutet werden kann, einen Teil der Hilfe zurückzahlen zu müssen. So regelt es nämlich das Bundesausbildungsförderungsgesetz, das viele unter dem Namen BAföG kennen. Hruschka weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ausbildungsförderung eine andere Zielsetzung verfolgt als die Sozialhilfe:

Dass das BAföG als Darlehen und nicht als Zuschuss gewährt wird, liegt daran, dass es eben nicht nur die Existenz sichern, sondern zusätzlich eine auf längere Dauer angelegte, qualifizierende Ausbildung gewährleisten soll, die später potenziell zu einem höheren Einkommen führt.

Constantin Hruschka, Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Freiburg

Aus diesem Grund hat auch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2022 entschieden, dass die Ausgestaltung der Ausbildungsförderung mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Wenn jemand wegen fehlender finanzieller Mittel nicht die Möglichkeit hat, einem Studium nachzugehen, sondern er stattdessen eine Arbeit aufnehmen muss, berühre das nicht die Menschenwürde, so die Richter. Deshalb darf das BAföG dann auch als Darlehen gewährt werden, ohne dass das Recht auf Sicherung des Existenzminimums verletzt wäre.
Im Ergebnis erscheint es mehr als zweifelhaft, ob eine Ausgestaltung der Sozialhilfe für Ausländer in Anlehnung an das Modell der Ausbildungsförderung mit den Anforderungen des Grundgesetzes vereinbar wäre.
Leon Fried, Redakteur in der ZDF-Fachredaktion "Recht und Justiz".

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