Asylverfahren: Neue Regierung will aufs Tempo drücken

Nur jede fünfte erfolgreich:Koalition will mehr Tempo bei Asylklagen

Fabian Medler
von Fabian Noah Medler
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130.000 Asylverfahren aus 2024 bringen die Gerichte an ihre Grenzen - Rückführungen scheitern oft. Die neue Koalition will schnellere Urteile und eine Reform des Asylprozessrechts.

Prozessakten in einem Gerichtssaal
Erstmals seit Jahren ist Deutschland nicht das Hauptzielland für Asylsuchende in Europa. Während die Zahlen sinken, steigt die Anzahl der Asylklagen.10.04.2025 | 2:33 min
Künftig sollen Gerichte sich bei Asylverfahren auf das konzentrieren, was auf dem Tisch liegt: Beweise, die von Klägern oder Behörden vorgelegt werden. Geht es nach dem neuen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sollen richterliche Ermittlungen entfallen.
Das Ziel: Verfahren deutlich beschleunigen, Rückführungen damit erleichtern - und so die Justiz entlasten. Denn solange ein Verfahren läuft, ist eine Abschiebung bei Klägern aus "nicht-sicheren-Herkunftsländern" rechtlich häufig unmöglich.

Sichere Herkunftsstaaten sind nach deutschem Asylrecht Länder, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung drohen (Paragraf 29a Asylverfahrensgesetz).

In Deutschland gelten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) derzeit folgende Staaten als sichere Herkunftsländer: die EU-Mitgliedsländer, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Republik Moldau, Senegal und Serbien.

Jeder Dritte klagt, meist ohne Erfolg

Die Zahl der Verfahren steigt rasant: Über 130.000 neue Klagen und Eilverfahren wurden 2024 an den Verwaltungsgerichten im Land eingereicht, wie ZDF-Recherchen zeigen. Auch für 2025 rechnen Experten mit einem weiteren Anstieg.
Denn etwa jeder dritte Asylbewerber zieht vor Gericht - oft aufgrund einer Ablehnung oder in der Hoffnung auf einen besseren Schutzstatus. Doch die Erfolgsaussichten sinken: Nur noch rund jeder fünfte Kläger (18 Prozent) bekam vor Gericht im letzten Jahr Recht - zwei Jahre zuvor waren es noch doppelt so viele (36 Prozent).
Grafik: Asylgerichtsverfahren

Schnelligkeit von Asylverfahren oder Genauigkeit?

"Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz muss im Asylrecht der Beibringungsgrundsatz werden." So steht es im neuen Koalitionsvertrag. Das bedeutet: Die Verwaltungsgerichte sollen in Asylsachen künftig nicht mehr selbst Beweise erheben müssen, sondern nur noch das prüfen, was im Verfahren eingebracht wird.
Der Rechtsstaat brauche kein Verfahren, "das sich über Monate oder Jahre hinzieht", sagte die baden-württembergische Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges dem ZDF. Eine ausschließliche Fokussierung auf den vorgebrachten Prozessgegenstand begrenze den zu überprüfenden Sachverhalt, und Verfahren würden dadurch schneller werden.
Archiv: Flüchtlinge am 08.10.2014 in Karlsruhe
Das Thema Migration hat den Bundestagswahlkampf dominiert - Union und SPD haben sich auf Verschärfungen in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. 09.04.2025 | 2:24 min

Rechtsexperte vermutet Verstoß gegen Völkerrecht

Das stößt auf rechtliche Bedenken: Asylrechtsexperte Constantin Hruschka warnt vor einem Bruch mit völker- und europarechtlichen Grundlagen.

Ob es rechtlich umsetzbar ist, würde ich klar mit Nein beantworten.

Constantin Hruschka, Asylrechtsexperte

Der Staat sei auch ohne Hinweise der Betroffenen verpflichtet, zu prüfen, ob bei einer Abschiebung Gefahr für Leib und Leben droht. Das habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil zu Ungarn ebenso betont wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall eines Asylbewerbers gegen die Niederlande, so Hruschka gegenüber dem ZDF.
Nancy Faeser bei der Bundespressekonferenz zur Bilanz der Migrationspolitik in der aktuellen Legislaturperiode im Haus der Bundespressekonferenz.
Die scheidende Bundesinnenministerin Faeser blickte heute auf die Asylpolitik ihrer Amtszeit zurück. Und zieht dabei eine positive Bilanz. 01.04.2025 | 2:02 min

Mehr abgelehnte Bescheide: Mehr Asylklagen

Dass die Zahl der Klagen steigt, liegt laut Experten nicht an wachsendem Klagewillen, sondern an der beschleunigten Bearbeitung alter Anträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Folge: Mehr abgelehnte Asylbescheide, mehr Klagen - und weiter steigender Druck auf die Gerichte.
Zwar sind viele Verfahren inzwischen schneller abgeschlossen als noch vor wenigen Jahren, doch mit einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von über einem Jahr bleiben die Gerichte weit vom Zielwert von drei bis sechs Monaten entfernt.

Aktenberg in Gericht
Die durchschnittlichen Bearbeitungszeiten in den Bundesländern in Monaten:

Baden-Württemberg: 7,9
Bayern: 10,9
Berlin: 17,8
Brandenburg: 22,7
Bremen: 12,8
Hamburg: 12,4
Hessen: 24,5
Mecklenburg-Vorpommern: 11,8
Niedersachsen: 16,5
Nordrhein-Westfalen: 14,9
Rheinland-Pfalz: 5,4
Saarland: 8,5
Sachsen: 16,1
Sachsen-Anhalt: 8,3
Schleswig-Holtstein: 13,4
Thüringen: 11,3

Gerichte unter Druck: Digitalisierung als Chance

Ein Blick nach Baden-Württemberg zeigt, dass es auch schneller geht. Dort wurden Verfahren bestimmter Herkunftsländer zentral am Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe gebündelt.
Neben neuen Richterstellen spielt auch die Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Die Asylrichter werden in Baden-Württemberg von einem KI-ähnlichem Tool unterstützt, das bei der Aktenbearbeitung hilft.
Saskia Esken, SPD-Parteivorsitzende, im Berlin-direkt-Interview
In der Debatte um das Grundrecht auf Asyl spricht sich die SPD-Vorsitzende Esken im ZDF gegen eine Abschaffung aus.06.04.2025 | 5:57 min
Inzwischen liegt dort die durchschnittliche Bearbeitungszeit einer Klage bei rund neun Monaten (2024). Und ohne die bislang vorgeschriebene eigene Beweiserhebung könne es wahrscheinlich noch schneller gehen, so Asylrichter Tobias Hepperle.

Wenn nur auf Grundlage der Akten und der Anhörung entschieden wird, kann man innerhalb von zwei bis drei Monaten zu einer abschließenden Entscheidung kommen.

Tobias Hepperle, Vorsitzender Richter am VG Karlsruhe

Grenzkontrolle
Die neue Koalition plant eine restriktivere Migrationspolitik, unter anderem verschärfte Asylverfahren. Wie blickt Sachsen auf die neuen Koalitionspläne?11.04.2025 | 1:45 min

Koalitionsziel: Entlastung der Verwaltungsgerichte

Im Koalitionsvertrag ist neben dem Beibringungsgrundsatz auch ein "Pakt für den Rechtsstaat" angekündigt. Geplant sind Investitionen in neue Richterstellen, moderne Technik und effizientere Abläufe. "Wir werden […] gemeinsam mit den Ländern die Justiz zukunftsfest machen", heißt es dort.
Ob das ausreicht, um die Verwaltungsgerichte bundesweit zu entlasten, ist offen. Klar ist aber: Die wachsende Zahl an Verfahren und der politische Druck, sie schneller zu entscheiden, machen den Reformbedarf im Asylrecht deutlich spürbar. Wann die Pläne umgesetzt werden - und wie sich die europäischen Gerichte dazu äußern werden - bleibt abzuwarten.
Fabian Noah Medler, ZDF-Redaktion Recht und Justiz

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Quelle: dpa

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