Expertin zu Massendemo in London:Darum hat der Rechtsruck sich "angekündigt"
"Stoppt die Boote": Zehntausende demonstrieren in London gegen Migration - an der Seite Rechtsextremer. Ein Rechtsruck mit Ansage, findet Expertin Ebner. Die Politik habe versagt.
Die Proteste in Großbritannien entstünden auch, weil rechte Parteien im Land die Sorgen der Bevölkerung instrumentalisierten, sagt Extremismusforscherin Julia Ebner.
14.09.2025 | 11:23 min"Stoppt die Boote", "Schickt sie heim" und "Genug ist genug, rettet unsere Kinder" - das waren die Botschaften auf ihren Transparenten: Weit über 100.000 Menschen zogen durch London, um bei einer der größten rechten Demonstrationen in Großbritannien seit vielen Jahren gegen irreguläre Migration sowie angebliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit zu demonstrieren.
Ein Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft in Großbritannien habe sich "auf jeden Fall in den letzten paar Jahren schon angekündigt" erklärt Julia Ebener, Extremismus- und Terrorismusforscherin beim Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London gegenüber dem ZDF.
Das passt natürlich auch insgesamt zur Lage in Großbritannien, wo mehrfach wirtschaftliche Sorgen in den letzten Jahren entstanden sind, vor allem in den sozial schlechter gestellten Bevölkerungssegmenten.
Julia Ebener, Extremismus- und Terrorismusforscherin
In London sind mehr als 100.000 Menschen auf die Straße gegangen, um für eine schärfere Asylpolitik zu demonstrieren. Auch der Tod von US-Aktivist Charlie Kirk hatte mobilisiert.
13.09.2025 | 2:37 minExpertin: Auch "neue Zielgruppen" mit Demo erreicht
Viele der Teilnehmer waren aus anderen Städten im Königreich angereist und folgten dem Aufruf des rechtsextremen britischen Aktivisten Tommy Robinson. Robinson, der mit wahrem Namen Stephen Yaxley-Lennon heißt, ist der Gründer der rechtsextremen English Defence League. Er wurde bereits mehrfach verurteilt - 2018 und 2024 war er zeitweise auch im Gefängnis.
Unter den Teilnehmenden waren "vor allem seine loyalen Anhänger aus Großbritannien", so Ebner. Aber: "Er hat es aber auch geschafft, zusätzlich an neue Zielgruppen heranzukommen". Dies seien insbesondere "Menschen, die Ängste haben, die frustriert sind mit der politischen Lage, die vielleicht auch wirtschaftliche Sorgen haben".
Wie Rechtspopulisten in Europa und den USA gezielt die Demokratie untergraben analysiert Peter R. Neumann in seinem Buch. Wir sprechen mit ihm.
04.09.2025 | 9:29 minVertrauensverlust bei Parteien der politischen Mitte
Für viele stehe dabei das Thema Migration im Vordergrund, "aber es wurden auch andere Themen wie zum Beispiel Gender, Klima, die politischen Eliten und auch Meinungs- und Redefreiheit zum Thema gemacht", so die Extremismusforscherin.
Als weitere Ursachen für den großen Zulauf der Bewegung sieht Ebner das Erstarken der Rechten auf Social Media und einen Vertrauensverlust der Parteien der Mitte seit dem Brexit im Jahr 2016: "Die Tatsache, dass man das Gefühl hatte, man kann der Politik und den Parteien, die in den letzten Jahren an der Macht waren, nicht vertrauen und es gehen die Probleme so weiter."
Das, denke ich, hat einen großen Beitrag dazu geleistet, dass auch gestern so viele Menschen in den Straßen waren.
Julia Ebener, Extremismus- und Terrorismusforscherin
In Großbritannien liegt die rechte Partei "Reform UK" vom Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage seit Monaten vorn. Sie versucht vor allem, Stimmung gegen geflüchtete Menschen zu machen.
05.09.2025 | 1:45 minEbner: Motive der Menschen verstehen
Um der Polarisierung in Großbritannien entgegenzuwirken, müsse man "verstehen, was die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen auch dazu bringt, sich zum Beispiel rechtsextremistischen Bewegungen anzuschließen", so die Forscherin.
"Und ich denke, hier gibt es noch viel zu wenig differenziertes Verständnis dafür, was eben diese unterschiedlichen Menschen, die gestern auch zum Beispiel vor Ort waren, motiviert und was ihre größten Anliegen sind."
Das Interview führte ZDFheute-live-Moderator Christian Hoch, zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakteur Silas Thelen.
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