Journalist über Erfahrungen an der Front:"Habe an Arme gegriffen, um zu sehen, ob noch alles dran ist"
von Bernd Bachran
Drohnenangriff, Tote und Verwundete: Ibrahim Naber schildert bei "Markus Lanz" seine Erlebnisse an der ukrainischen Front - und kritisiert die deutsche Verteidigungsfähigkeit.
Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 5. November 2025 in voller Länge.
06.11.2025 | 45:32 minEindrücklich schilderte "Welt"-Chefreporter Ibrahim Naber am Mittwochabend bei "Markus Lanz" seine Erlebnisse an der ukrainischen Front: Am 13. Oktober wurde er gemeinsam mit zwei Kollegen und drei ukrainischen Soldaten rund 30 Kilometer hinter der russischen Linie von einer russischen Lancet-Drohne getroffen.
Während ein Soldat starb und weitere Beteiligte schwer verletzt wurden, kam Naber selbst mit leichten Verletzungen davon. Seine Schilderungen gaben einen seltenen, unmittelbaren Einblick in die Gefahren, denen Soldaten, aber auch Reporter, im Krieg ausgesetzt sind.
Im ersten Moment habe ich nichts mehr verstanden. Es schlägt ein, ich werde durch die Gegend geschleudert und lande irgendwo, wo ich vorher nicht stand.
Ibrahim Naber, "Welt"-Chefreporter
Naber weiter: "Das Erste, was ich gemacht habe, ich habe an meinen Kopf gegriffen, an meinen Oberschenkel gegriffen, habe an meine Arme gegriffen, um zu sehen, ob noch alles dran ist."
Im südukrainischen Cherson wird von Russland nicht nur mit Artillerie und Raketen geschossen: Seit mindestens anderthalb Jahren ist noch eine Gefahr hinzugekommen: Drohnen, die gezielt Menschen jagen.
29.10.2025 | 1:51 minDer Vorfall verdeutlicht, wie sehr sich die Natur des Krieges durch den Einsatz von Drohnen - nicht nur in der Ukraine - verändert hat. Dennoch, so Lanz, herrsche in Deutschland häufig die Vorstellung, der Konflikt sei weitgehend festgefahren: Die Front bewege sich kaum, es gebe nur geringe Verschiebungen, im Grunde einen nahezu eingefrorenen Zustand.
Naber: "Todeszone" wird immer größer
Dem widersprach Ibrahim Naber energisch, "weil ganz konkret jeden Monat ukrainisches Territorium verloren" gehe. "2.500 Quadratkilometer wurden in den vergangenen fünf bis sechs Monaten durch die russische Armee erobert. Pro Monat erobert die russische Armee etwa die Fläche Münchens, ein bisschen mehr sogar", so der Journalist.
Ibrahim Naber sprach von einer "Todeszone", die immer größer werde und damit einhergehend auch eine ständige Veränderung für die Arbeit der Reporter vor Ort bringe. "Es gibt eine unmittelbare Todeszone, die beträgt mittlerweile 15 bis 20 Kilometer. In diesem Bereich gibt es Hunderte, in manchen Städten Tausende Kamikaze-Drohnen, handtellergroß. Die kosten ein paar Hundert Euro und die stürzen sich auf jeden Panzer, auf jeden einzelnen Soldaten, auf alles, was sich dort bewegt," so Naber.
In Cherson leben weiterhin rund 65.000 Menschen, die unter ständigem Beschuss und Jagd der russischen Truppen stehen. Der Alltag ist für sie lebensgefährlich, berichtet Anne Brühl.
28.10.2025 | 1:33 minLaut Naber weiten sich diese Todeszonen stetig aus - durch die zunehmende Reichweite der Drohnen und das anhaltende Vorrücken der russischen Armee. Inzwischen geraten selbst große Städte im Osten der Ukraine, die zuvor außerhalb der russischen Schlagdistanz lagen, in deren Reichweite.
Ist Deutschland vorbereitet?
Nach den eindrücklichen Beschreibungen und Erläuterungen Ibrahim Nabers wollte Markus Lanz von diesem wissen: "Sind wir [Deutschland] vorbereitet, auch im Kopf auf das, was da möglicherweise droht?"
Naber sprach davon, dass er sehe, dass es im Verteidigungsministerium zwar viele Menschen gebe, die intensiv darüber nachdächten, wie die Bundeswehr neu aufgestellt werden könne. Zugleich sei man jedoch noch weit davon entfernt, tatsächlich kriegstüchtig oder abwehrbereit zu sein.
Wir sind - Stand jetzt - nicht verteidigungsbereit. Wir können uns nicht dagegen wehren, wenn plötzlich Hunderte russische Langstreckendrohnen Richtung Westeuropa fliegen.
Ibrahim Naber, "Welt"-Chefreporter
Naber weiter: "Und auch die Vorzeigebrigade in Litauen, die gerade aufgebaut wird, hätte auf einem modernen Gefechtsfeld aktuell keine Chance."
In kaum einer anderen ukrainischen Stadt wird so intensiv über Herkunft und Identität gestritten wie in Odessa. Nach der Absetzung des Bürgermeisters wegen eines mutmaßlich russischen Passes wird erneut deutlich, wie tief die Spannungen in der Hafenstadt am Schwarzen Meer reichen.
03.11.2025 | 4:31 minNaber: Es mangelt an Drohnen
Naber betonte, es mangele an moderner Drohnentechnik und an Drohnen. Das bedeute nicht, dass keine Kampfpanzer mehr angeschafft werden dürften - auch diese hätten weiterhin Bedeutung und Wert. "Aber unser Fokus ist falsch gesetzt."
Er sagte, Russland hätte in diesem Krieg viel dazugelernt und werde unter anderem beim Stören von Drohnen immer besser. Auch beim Einsatz von Glasfaserdrohnen - also Drohnen, die an der Schnur über Kilometer durch Gebiete fliegen - hätten sie Fortschritte erzielt. "Da sind die Russen wirklich an einem Punkt, wo wir aufholen müssen und zwar sehr schnell", so Naber.
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