Forderung nach höheren Löhnen:Italiener im Streikmarathon
von Valerie Braig, Rom
Es ist der vierte Generalstreik in vier Monaten. Tausende Italiener fordern einen Kurswechsel der Regierung. Trotz allem steigt die Zustimmung für Premierministerin Giorgia Meloni.
Italiens größter Gewerkschaftsbund wirft der Regierung Meloni vor, wichtige Bereiche wie Gesundheitswesen, Schulen oder die Pflege zu vernachlässigen. Zehntausende protestieren.
12.12.2025 | 2:39 minEinige Schulen, öffentliche Verkehrsmittel sowie Gesundheitsdienste funktionieren heute in Italien wieder nur eingeschränkt. Erneut hat die größte italienische Gewerkschaft CGIL landesweit zu Demonstrationen, Mahnwachen und Kundgebungen aufgerufen. Von der Alpenregion bis Sizilien fordern die Streikenden höhere Löhne angesichts der Inflation sowie eine Steuerreform.
Gewerkschaftschef: "Regierung gibt keine Antworten"
CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini möchte niedrigere Steuern für Arbeitnehmer und Rentner und höhere Steuern auf Kapital- und Immobilienerträge und große Vermögen. "Zu all diesen Themen hat uns die Regierung keine Antwort gegeben", so Landini gegenüber ZDFheute. Die Steuerlast werde nur von einem Teil des Landes getragen und sei daher "nicht mehr gerecht, nicht mehr fair und nicht mehr akzeptabel".
Nach landesweitem Generalstreik und Großdemo im November wird in 100 italienischen Städten erneut gestreikt.
12.12.2025 | 2:05 minPrekäre Arbeitsbedingungen treiben junge Italiener ins Ausland
Es sei kein Zufall, dass jedes Jahr mehr als 100.000 junge Hochschulabsolventen Italien verlassen, um im Ausland zu arbeiten. "Warum verlassen sie Italien? Weil sie hier schlecht bezahlt werden und in prekären Verhältnissen leben." Auch dies sei ein Grund für den Generalstreik, erklärt Landini.
Die niedrigen Gehälter im öffentlichen Sektor führen in Großstädten wie Rom unter anderem dazu, dass sich viele Lehrkräfte nur ein WG-Zimmer leisten können. Lucia Caniato ist seit acht Jahren Lehrerin an einer Mittelschule und erzählt im Interview mit ZDFheute, dass sie es sich erst vor Kurzem leisten konnte, in eine eigene Wohnung zu ziehen.
Schon im April 2025 gab es Proteste in Italien: Die Menschen gingen gegen das Sicherheitsgesetz der Regierung Meloni auf die Straße, das härtere Strafen, auch für friedliche Proteste, vorsieht. Es wurde per Dekret eingeführt.
07.04.2025 | 2:00 minDie vielen Kompromisse, zu denen italienische Lehrkräfte aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen gezwungen sind, findet Caniato unhaltbar. Zudem habe sie in ihren acht Jahren als Lehrerin "vier oder fünf verschiedene Bildungsminister" erlebt - jeder mit eigener Agenda. Die Stimmung unter den Lehrkräften sei düster, da die vielen Probleme im Schulbereich in den vergangenen Jahren zu großen Spaltungen im Kollegium geführt hätten.
Auf den heutigen Generalstreik blickt Caniato kritisch, denn nur wenige Lehrkräfte nehmen daran teil. Das liege auch daran, dass viele überlastet sind und keine Energie mehr haben, um protestieren zu können.
Wir leben in einem Land, in dem man trotz Arbeit arm ist und das bedeutet, dass etwas nicht stimmt.
Maurizio Landini, Generalsekretär der Gewerkschaft CGIL
So fasst CGIL-Generalsekretär Landini die Lage in Italien unter der Regierung Melonis zusammen. Insbesondere betreffe diese Ungleichheit Frauen und junge Menschen, die sich in besonders prekären Arbeitsverhältnissen befinden. Der Generalstreik soll deutlich machen, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer Italiens mit der aktuellen Politik nicht einverstanden ist, so Landini.
Unterfinanzierung und starker Personalmangel belasten Italiens Gesundheitssystem. Das Budget wurde 2024 stark gekürzt. Ärzte und Pflegepersonal protestierten.
20.11.2024 | 2:12 minMeloni bleibt trotz Kritik beliebt
Trotz des Unmuts vieler Italiener gilt Premierministerin Giorgia Meloni nach wie vor als starke Führungsfigur. "In den Umfragen hat sie heute eine höhere Zustimmung als zum Zeitpunkt ihrer Wahl", erklärt der Politikwissenschaftler Lorenzo Castellani gegenüber ZDFheute. "Das liegt daran, dass die gespaltene Opposition oft schwach ist und Meloni ihre Karten auf europäischer und internationaler Ebene sehr gut ausgespielt hat.
Ihre Wählerschaft, die Mitte-Rechts-Wähler, fühlte sich in keiner Weise von Meloni betrogen. Auch deshalb, weil Italien bereits seit 20 Jahren ein sehr geringes Wachstum verzeichnet und die Italiener sich daran gewöhnt haben, so Castellani. Das niedrige Wachstum seit der Pandemie basiere auf niedrigen oder prekären Löhnen. "Da es also keine stärkeren und risikoreicheren Wachstumspolitiken gibt, ist es sehr schwierig, ein Wachstum der Löhne zu erzielen", bemerkt Castellani.
In Italien bleiben Regierungen im Schnitt etwas über ein Jahr im Amt. Seit Oktober 2022 ist Giorgia Meloni Ministerpräsidentin. Im Oktober diesen Jahres erreichte sie die längste Amtszeit nach Berlusconi.
20.10.2025 | 2:04 minMelonis neuer Haushaltsplan zielt indessen darauf ab, weiterhin große Reformen zu vermeiden und keine Risiken einzugehen. Der nächste Generalstreik dürfte daher nicht lange auf sich warten lassen.
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