Luftschlag gegen Hamas-Spitze:Welche Folgen hat Israels Angriff in Katar?
Israel hat die Hamas-Führung in Doha gezielt mit einem Luftschlag angegriffen. ZDF-Korrespondent Thomas Reichart und Nahostexperte Sascha Bruchmann über die Folgen.
Israels Militär hat einen gezielten Angriff auf einen Anführer der Hamas im Emirat Katar verübt. Dort wird eigentlich über einen Waffenstillstand verhandelt. ZDFheute live ordnet ein.
09.09.2025 | 24:28 minIsrael hat eigenen Angaben zufolge die Führungsspitze der islamistischen Hamas in Doha, der Hauptstadt des Golfstaats Katar, angegriffen. "Jahrelang leiteten diese Mitglieder der Hamas-Führung die Operationen der Terrororganisation, sind direkt für das brutale Massaker vom 7. Oktober verantwortlich und orchestrierten und steuerten den Krieg gegen den Staat Israel", teilte das israelische Militär mit.
Wie ist der Zeitpunkt des israelischen Militärschlags einzuordnen und welche Konsequenzen hat er für den Gaza-Krieg und die laufenden Bemühungen um eine Waffenruhe? ZDF-Korrespondent Thomas Reichart und Nahostexperte Sascha Bruchmann geben bei ZDFheute live eine erste Einschätzung.
Nach Israels Angriff in Doha will sich Katar als Vermittler im Verhandlungsprozess zwischen Israel und der Hamas zurückziehen, erklärt ZDF-Korrespondent Thomas Reichart.
09.09.2025 | 3:20 minWas ist bislang über den israelischen Militärschlag bekannt?
Einen solchen Angriff habe es noch nie gegeben, erklärt ZDF-Korrespondent Thomas Reichart. Bislang sei die Vermutung, dass zum Zeitpunkt des Angriffs eine hochrangige Hamas-Delegation in Doha zusammengekommen ist, um über den jüngsten Vorschlag für eine Waffenruhe in Gaza zu sprechen, "der von Donald Trump vorgelegt wurde".
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe zwar öffentlich betont, dass allein Israel den Luftschlag gegen die Hamas-Spitze initiiert und durchgeführt habe. Es sei aber "kaum vorstellbar", dass Israel eine solche Operation ohne das Wissen der USA durchgeführt hat. Auch Nahostexperte Bruchmann sagt, dass es schwierig zu verstehen sei, wie die Amerikaner nichts davon gewusst hätten, "zumindest nicht vom Luftlagebild". Auf Nachfrage eines Journalisten bestätigte am Abend Karoline Leavitt, die Sprecherin des Weißen Hauses, dass die USA am Dienstagmorgen über den Angriff Israels in Doha informiert worden seien.
Das Timing kommt für uns als Beobachter völlig überraschend.
Thomas Reichart, ZDF-Korrespondent
"Die Optionen, die im Moment auf dem Tisch lagen, die gestern zum Beispiel die israelischen Medien vollständig beschäftigt haben, war dieser amerikanische Plan eines Waffenstillstands, eines umfassenden Deals", erklärt Reichart. Dieser Plan habe beinhaltet, dass zu Beginn einer 60-tägigen Waffenruhe alle lebenden israelischen Geiseln freikommen sollten und im Gegenzug Tausende palästinensische Häftlinge freigelassen werden. Auch weitere Verhandlungen über eine Zeit nach dem Gaza-Krieg sollen Teil des Deals gewesen sein.
Karte, Katar, Doha
Quelle: ZDFEin Luftschlag, wie ihn Israel nun durchgeführt hat, habe eine erhebliche logistische Vorbereitung gebraucht, schätzt Reichart ein.
In Doha hat das Politbüro der Hamas seinen Sitz. Nahostexperte Sascha Bruchmann erklärt, ein Teil dieses Gebäudes sei getroffen worden. Konkrete Aussagen seien allein anhand der Bilder derzeit schwierig zu treffen. Die Gegend, in der sich das getroffene Gebäude befindet, sei eine Wohngegend nördlich der sogenannten West Bay in Doha. Dort gebe es einige Mehrfamilienhäuser mit eigenen Mauern, also abgeschottete Komplexe, aber auch Botschaften seien in der Nähe.
Teile der Hamas-Führung sollen Ziel eines israelischen Angriffs in der katarischen Hauptstadt Doha gewesen sein. Katar und weitere arabische Staaten verurteilen den Militärschlag.
09.09.2025 | 2:03 minWas bedeutet der Angriff für die Hamas?
Im Detail sei das nicht zu beantworten, so Nahostexperte Bruchmann. Der Angriff galt offenbar der Führungsspitze, die in Doha lebt. Noch sei unklar, wer getroffen wurde und wer überlebt hat.
Die Hamas agiere zurzeit wie eine "Guerilla", erklärt Bruchmann. Nur weil sie keinen organisierten Widerstand mehr im Sinne einer militärischen Großorganisation leisten könne, heiße das nicht, dass sie nicht mehr kämpfen könne. Wehrlos sei die Hamas nicht. Wie es nach dem Angriff in Doha weitergehe, sei unklar.
Die interne politische Machtbalance wird dadurch beeinflusst, wer überlebt hat.
Sascha Bruchmann, Nahostexperte
Israel sei mit dem Schlag auf die Hamas-Führung in Doha ein großes Risiko eingegangen. Ob es sich bei Verhandlungen auszahle, sei noch unklar, so Nahostexperte Sascha Bruchmann.
09.09.2025 | 18:56 minWelche direkten Auswirkungen hat der Angriff?
Zunächst sei der israelische Militärschlag gegen die Hamas-Spitze in Doha auch ein "schwerer Bruch der katarischen Souveränität", betont ZDF-Korrespondent Reichart. Katar hatte im Gaza-Krieg und den Verhandlungen zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas eine Vermittlerrolle inne. Mit dem israelischen Angriff erlebe man nun einen "dramatischen Einschnitt", so Reichart.
Denn: Katar habe umgehend klargemacht, dass es sich von dieser Rolle zurückziehen werde. Auch Bruchmann bekräftigt die Brisanz eines Luftschlags gegen einen souveränen Drittstaat. Das Hamas-Politbüro habe dort seinen Sitz, weil man geglaubt habe, dass das Land sicher sei. Dieses Bild sei bewusst auch Teil der katarischen Außenpolitik.
Die weiteren Auswirkungen - auch auf den Gaza-Krieg insgesamt - seien zum aktuellen Zeitpunkt "absolute Spekulation", sagt Bruchmann. Die Intention Israels sei es gewesen, klarzumachen: "Es gibt keinen sicheren Hafen für euch. Ihr müsst mit uns verhandeln, weil es gibt keinen Ort auf der Welt, in dem ihr von den Konsequenzen des Krieges geschützt bleibt."
Als Vermittler im Nahostkonflikt steht Katar in einer besonderen Position. Das Emirat unterstützt Terrorgruppen und ist gleichzeitig ein wichtiger Partner der USA in der Region.
09.09.2025 | 2:01 minKommunikation sei aber nicht immer das, was A sagt, sondern auch das, was B versteht. Die Reaktionen anderer Staaten in der Region auf Israels Luftschlag zeige, dass Israel vor allem als Aggressor wahrgenommen werde, erklärt Bruchmann. "Israel ist ein riesengroßes Risiko eingegangen", betont der Nahostexperte. Was das nun im Detail mit sich bringe, sei noch unklar.
Wie verändert Israels Luftschlag das Verhältnis zu seinen Nachbarn?
"Alle haben mehr oder weniger Angst vor einem mehr expansiven oder mehr offensiven Israel", ordnet Bruchmann ein. Israel erkläre sein Vorgehen mit dem Angriff am 7. Oktober und damit, dass es sich verteidigen müsse. Aber die israelischen Aktionen würden nicht defensiv, sondern offensiv wahrgenommen.
Die Beziehungen zum Libanon, zu Ägypten, zu Jordanien und zu Syrien seien ohnehin angespannt.
Die Interviews bei ZDFheute führte Philip Wortmann. Zusammengefasst hat sie Laura Mertes.
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