Ein Jahr nach Vergewaltigungsprozess:Der Fall Pelicot: Was sich in Frankreich getan hat
von Anne Arend und Carolin Auen, Paris
Der Prozess, über den monatelang die ganze Welt sprach. Ein Blick auf das, was sich gesellschaftlich wie politisch seit dem Urteil im Fall Pelicot verändert hat.
Jahrelang wurde Gisèle Pelicot von ihrem Ehemann und dutzenden anderen Männern sexuell missbraucht. Ein Jahr nach dem Prozess trauen sich in Frankreich mehr Frauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
17.12.2025 | 6:26 minVor einem Jahr, am 19. Dezember 2024, endete im französischen Avignon ein Prozess, der weltweit Schlagzeilen machte. Gisèle Pelicot, deren Ehemann sie jahrelang betäubte, vergewaltigte und von dutzenden Männern vergewaltigen ließ, trat vor die Presse: "Ich denke an all die Opfer, die nicht gehört werden, deren Geschichten im Dunkeln verharren. Ich will, dass ihr wisst, dass wir den gleichen Kampf führen."
Warum der Pelicot-Prozess Geschichte schrieb
Ganz bewusst entschied sich Gisèle Pelicot für eine öffentliche Verhandlung. Ein Schritt, den die meisten Vergewaltigungsopfer scheuen. Ihr Ziel: sichtbar machen, was die Männer ihr angetan haben, und damit einen schonungslosen Diskurs über sexualisierte Gewalt anstoßen.
Die Scham muss die Seite wechseln.
Gisèle Pelicot
Der Satz wurde zum Symbol einer Bewegung. Millionen Frauen solidarisierten sich mit Pelicot.
Das Gericht verurteilte im Dezember 2024 Dominique Pelicot und 50 Mitangeklagte im zu mehrjährigen Haftstrafen. Im Oktober 2025 endete der letzte und einzige Berufungsprozess.
Gestärkter Zusammenhalt zwischen den Frauen
Gabrielle streift sich die Boxhandschuhe über. Sie hat sich für ein Probetraining angemeldet, organisiert von einem Verein, der sich in Nîmes für die Rechte von Frauen einsetzt. Den Teilnehmerinnen geht es weniger um Fitness. Gabrielle will ihr Selbstvertrauen zurückgewinnen.
Ihre Ehe war von Gewalt geprägt. Nach 25 Jahren hat sie den Absprung geschafft:
Ich habe hier ein Netzwerk von Frauen. Wir unterstützen einander, ohne uns zu bewerten.
Gabrielle
Der Zusammenhalt sei gestiegen. Und bei den Vereinen, die sich für Opfer sexualisierter Gewalt einsetzen, steigt die Nachfrage.
Vor einem Jahr zog Gisèle Pelicot gegen ihren damaligen Ehemann und viele weitere Männer vor Gericht. Sie öffnete eine neue Perspektive auf Missbrauch: Täter müssen sich schämen, nicht Betroffene
16.12.2025 | 2:19 minMehr Opfer suchen Hilfe seit dem Prozess
Béatrice Bertrand Leiterin des Frauenrechtszentrums CIDFF der Region Gard, berichtet, dass sich die Arbeit verdoppelt habe.
Es gibt ganz klar eine Zeit vor Pelicot und eine Zeit nach Pelicot.
Béatrice Bertrand, Leiterin Frauenrechtszentrum CIDFF
"Es ist gut, dass die Frauen anfangen, über sexualisierte Gewalt zu sprechen. Wir müssten viel mehr Sprechstunden anbieten und Personal einstellen. Aber es scheitert derzeit an den finanziellen Mitteln." Und so ist sie derzeit vor allem damit beschäftigt, Geld aufzutreiben, bei der Stadt, der Region, dem Land.
Auch, um mehr Prävention und Aufklärungsarbeit in Schulen anbieten zu können. Der Wunsch, die Gesellschaft zu verändern, treibe sie an, hat Gisèle Pelicot während des Prozesses 2024 gesagt. Eine zentrale Rolle spielt dabei Erziehung. Wie Kinder und Jugendliche an das Thema Sexualität herangeführt werden. Und an die Grenzen in einer Paarbeziehung.
Eine Studie zum Thema sexualisierte Gewalt an Schulen hat 133 Betroffene über ihre Erfahrungen befragt. Das Ergebnis: Rund 80 Prozent aller Opfer sind weiblich.
03.12.2025 | 1:40 minReform des Sexualstrafrechts
Denn auch das legte der Pelicot-Prozess offen: Die unter Männern noch immer weit verbreitete Haltung, über den Körper einer Frau und Ehefrau verfügen zu können.
Auch die Politik reagierte deshalb auf den Fall Pelicot. Anfang November stimmte das Parlament für eine Reform des Sexualstrafrechts. In Frankreich gilt nun das Prinzip: Nur ja heißt Ja. Bleibt die Zustimmung zum Geschlechtsverkehr aus, ist es eine Vergewaltigung. Wie wirksam diese Anpassung des Gesetzes ist, darüber herrscht allerdings Uneinigkeit. Kritiker*innen fordern stattdessen, den Fokus auf konkrete Maßnahmen zu legen.
Kostenlose Tests zum Nachweis von K.O.-Tropfen
Erste Ansätze gibt es bereits: Das Problem der "chemischen Unterwerfung", wie der sexuelle Missbrauch unter Einsatz von K.o.-Tropfen und Betäubungsmitteln in Frankreich genannt wird, ist seit dem Prozess von Gisèle Pelicot ebenfalls auf die politische Agenda gerückt. Mitte Dezember 2025 folgt eine Ankündigung des Gesundheitsministeriums: "Indem wir die Hürde der Strafanzeige für den Zugang zu medizinischer Versorgung und medizinischen Beweisen beseitigen, bekräftigen wir einen einfachen politischen Grundsatz: Der Schutz der Opfer hat oberste Priorität", erklärt Frankreichs Gesundheitsministerin Stéphanie Rist.
Konkret heißt das: Ab Januar 2026 werden Tests auf Betäubungsmittel schon bei Verdacht, unabhängig von einer Anzeige, kostenlos angeboten. Zunächst nur in drei Regionen Frankreichs, etwa im Großraum Paris, in einer Pilotphase von drei Jahren.
Unsichtbar und geruchlos kursieren K.O.-Tropfen seit Jahrzehnten in Clubs, Bars und Wohnungen. Die Opfer erinnern sich kaum und zeigen mutmaßliche Straftaten oft nicht an.
05.11.2025 | 1:55 minGesellschaftlicher Wandel nur langsam
Ob all das ausreicht, um die Gesellschaft nachhaltig zu verändern,da ist die Philosophin Manon Garcia skeptisch. Sie hat den Prozess begleitet und das Buch "Mit Männern Leben" darüber geschrieben:
Sexualisierte Gewalt endet erst, wenn Männer nicht mehr meinen, sie hätten das Recht, den Körper einer Frau zur sexuellen Befriedigung zu benutzen.
Manon Garcia, Autorin und Philosophin
Indem immer wieder über diese Themen gesprochen wird, im privaten Umfeld, der Politik und den Medien, könne sich eine Gesellschaft ändern. Der Fall Gisèle Pelicot hat die Kultur des Schweigens durchbrochen, doch das ist nur ein erster Schritt im Kampf gegen Missbrauch und Vergewaltigung.
"Ein Junge hat einen Drink ausgegeben. Wir haben getanzt, dann wird es dunkel mit meinen Erinnerungen. Wie eine Art Filmriss." Am Morgen wacht Nina halb bekleidet im Park auf. Was ist passiert?
29.05.2025 | 28:52 minSie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.
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