Zehn Jahre Bataclan: Frankreich und die Terrorgefahr heute

Interview

10 Jahre nach Bataclan-Attentat in Paris:Wie groß ist heute die islamistische Gefahr in Frankreich?

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Warum sich heute weniger junge Menschen in Frankreich islamistisch radikalisieren - und welche Fehler der Staat dennoch macht, erklärt der Pariser Soziologe Bartolomeo Conti.

Zehn Jahre nach dem Bataclan-Attentat

Vor zehn Jahren richteten islamistische Terroristen in dem Pariser Konzertsaal Bataclan ein Blutbad an, bei dem 130 Menschen starben. Auch heute noch fühlen sich viele verunsichert.

13.11.2025 | 2:39 min

Panik, Schreie, Schüsse. Verletzte und Tote auf Café-Terrassen und in der Konzerthalle Bataclan. Die dramatischen Bilder vom 13. November 2015 in Paris und in Saint-Denis haben sich in das kollektive Gedächtnis der Französinnen und Franzosen eingebrannt. Genau 10 Jahre nach den islamistischen Anschlägen stellt sich Frankreich die Frage, welche Lehren gezogen wurden.

Forschende haben sich mit post-traumatischen Belastungsstörungen von Überlebenden und Angehörigen beschäftigt und aufgearbeitet, ob es Frankreich gelungen ist, die Terrorgefahr zu bändigen.

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Ein Schlüssel zum Erfolg: eine stärkere Nachverfolgung von Gefährdern. Bartolomeo Conti hat sich genau angeschaut, wie sich junge Menschen radikalisieren. Im Gespräch mit der ZDFheute bewertet der Soziologe der Pariser Hochschule für Sozialwissenschaften (EHESS) das Vorgehen des französischen Staats.

ZDFheute: Wie viele islamistische Gefährder befinden sich zehn Jahre nach den Anschlägen noch in Frankreich?

Bartolomeo Conti: Es ist schwierig, eine genaue Zahl zu definieren. Die französischen Behörden stufen mehrere tausende Personen als potentielle Gefährder ein. Das sind Personen mit ganz unterschiedlichen Profilen. Einige hundert Menschen wurden im Zusammenhang mit Terrordelikten verurteilt.

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In den Jahren 2012 bis 2017 hat der "Islamische Staat" (IS) in Europa und speziell in Frankreich eine ganze Reihe von jungen Menschen fasziniert. Aber ab 2017, als der IS begann, zusammenzubrechen, haben sich auch weniger Menschen mit dessen Ideologie identifiziert.

Bei den Anschlägen vom 13. November 2015 haben mehrere Attentäter der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) an verschiedenen Orten in Paris und Saint Denis 130 Menschen getötet und hunderte Personen verletzt. Im bislang größten Terrorprozess in der Geschichte Frankreichs 2022 hat die Pariser Justiz 20 Beteiligte zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt. Der Hauptattentäter Salah A. sitzt seitdem lebenslänglich im Gefängnis.

Seit der Anschlagsserie überwachen Patrouillen von Soldatinnen und Soldaten in Paris die Sicherheit an sensiblen Orten wie Bahnhöfen. Taschenkontrollen an Eingängen zu Museen und öffentlichen Gebäuden sind Teil des französischen Alltags.


ZDFheute: Was haben Sie bei französischen Rückkehrern aus dem Irak und Syrien beobachtet?

Bartolomeo Conti: Die Bewunderung, die der IS noch 2015 erlebt hat, ist schon seit 2018 oder 2019 nicht mehr da. Das Versprechen, ein Staatsgebiet mit islamistischer Ideologie zu bilden, ist verpufft. Die jungen Auswanderer aus Frankreich haben viel Gewalt gesehen, zum Teil auch in Gefängnissen. Viele Franzosen sind komplett desillusioniert aus Syrien zurückgekommen.

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ZDFheute: Die islamistische Ideologie hat also an Wirkkraft verloren. Hat auch der französische Staat seinen Anteil daran, dass sich weniger Menschen radikalisieren?

Conti: Man muss sich anschauen, warum junge Menschen sich radikalisieren: soziale Ungerechtigkeit, einschneidende Erlebnisse in den Biographien sind wesentliche Faktoren. Und dann fühlen sich diese jungen Menschen schneller von Botschaften angezogen, die Terrororganisationen wie der IS verbreitet hat. Wichtig ist zu verstehen, warum Menschen sich entschieden haben, mit der Familie und der Gesellschaft zu brechen.

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Man braucht Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die den jungen Leuten zuhören. Heute gibt es zwar weniger radikalisierte Menschen. Aber die Gefahr ist, das es wieder mehr werden, wenn die Strukturen sich in der Gesellschaft nicht grundlegend verändern. Die Frage ist: wie schafft man mehr soziale Bindungen in den Stadtvierteln.

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ZDFheute: Das klingt so, als habe sich der französische Staat darauf konzentriert, Attentate zu vereiteln.

Conti: Der Staat hat mit mehr Sicherheitsvorkehrungen auf die Anschlagsserie reagiert. Mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen im Bereich der Prävention. Aber Prävention heißt in diesem Fall, dass Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen wurden, alle Anzeichen einer möglichen Radikalisierung im eigenen Umfeld zu melden.

Das hat auch zu desaströsen Nebenwirkungen geführt, etwa im privaten Bereich. Personen haben fälschlicherweise ihre Nachbarn verdächtigt und gemeldet.

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ZDFheute: Der inländische Geheimdienst überwacht potentielle Gefährder. Es heißt, Dutzende Attentate habe er so vereitelt. Ein Erfolg?

Conti: Die Geheimdienste haben im Anti-Terrorkampf seit 2015 eine wichtige Rolle gespielt. Sie haben Telefonate abgehört, Netzwerke ausfindig gemacht und den Bewegungsradius von verdächtigen Personen überwacht. Sicherlich waren sie in ihrer Arbeit effektiv.

Ich kann zwar nicht überprüfen, was das Innenministerium sagt, aber die Zahl der vereitelten Anschläge spricht für sich. Die Antwort des Staates ist Ordnung und Sicherheit. Und die funktioniert.

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Das Interview führte Luis Jachmann, ZDF-Studio Paris

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